Grüne: »Das tut kurz weh«
Erstmals in ihrer Geschichte werden die Wiener Grünen von einer Doppelspitze regiert. Deren Parteitag wurde aber von den Vorwürfen gegen Sebastian Kurz überschattet.
Nur etwa 200 Delegierte sind zum Parteitag der Wiener Grünen gekommen.
Peter Kristöfl steht auf der Bühne im Scheinwerferlicht und entschuldigt sich etwas zerknirscht: „Verzeihung, wenn ich etwas undeutlich spreche, aber mir wurde ein kaputter Zahn gezogen“, erklärt der Landesparteisekretär der Wiener Grünen. Kristöfl macht eine kurze Pause, dann folgt ein Lächeln: „Wenn etwas Korrumpiertes entfernt wird, tut das zwar kurz weh, aber es ist besser so.“
Das „kurz“betont Kristöfl derartig demonstrativ, dass im Saal kein Zweifel besteht: Gemeint sind Sebastian Kurz und die Chat-Protokolle, die beinahe zum Ende der türkis-grünen Bundesregierung geführt hätten. Und die Auslöser für Korruptionsermittlungen gegen den ÖVP-Bundesparteichef und nunmehrigen ÖVP-Klubchef im Parlament und dessen engstes Umfeld sind.
Der Witz über den zurückgetretenen Bundeskanzler ist Kristöfl gelungen – die Delegierten bei der 85. Landesversammlung der Wiener Grünen in der Messehalle applaudieren. Wobei die türkise Affäre (auch in den Reden danach) die grüne Landesversammlung dominieren wird.
Grundsätzlich können die Wiener Grünen entspannt in ihren Parteitag gehen. Es gibt erstmals seit langer Zeit keine internen Konflikte, die Regierungskrise auf Bundesebene ist (zumindest vorerst) vorbei, es herrscht das große Durchatmen – vor allem nach der späteren Wahl der ersten Doppelspitze in der Geschichte der Wiener Grünen: Judith Pühringer und Peter Kraus werden mit 83,6 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt.
Das ist für grüne Verhältnisse ein respektables Wahlergebnis. Eine Unzufriedenheit der Basis mit der grünen Regierungsbeteiligung im Bund ist daraus nicht abzulesen. Ebenso wenig ein Signal, dass die kritische Wiener Basis der grünen Regierungsmannschaft vorwirft, dass diese nicht auf einen vollständigen Rückzug von Kurz bestanden hat.
Eine seltsame Stimmung. Aber irgendetwas ist diesmal anders. Wer grüne Landesversammlungen kennt, dem fällt auf, dass diesmal nur sehr wenige gekommen sind. Rund 200 werden in dem Saal gezählt, obwohl eine neue Führung gewählt wird. Bei gewöhnlichen Landesversammlungen der Wiener Grünen sind im Schnitt etwa 500 Delegierte anwesend, bei der Wahl von Birgit Hebein wurden 2600 Stimmen abgegeben. Gleichzeitig fehlt im Saal die Euphorie, die Aufbruchsstimmung, die normalerweise die Kür einer neuen Parteispitze begleitet. Die Veranstaltung läuft eher nüchtern ab, eine kantige Kampfansage der Neo-Oppositionspartei gegen die rot-pinke Stadtregierung sucht man vergeblich.
„Wir haben einen Durchhänger“, formuliert es ein Delegierter der grünen Basis, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, gegenüber der „Presse am Sonntag“. Seit Langem sei klar gewesen, dass Birgit Hebein gehen müsse – man habe aber nicht dafür gesorgt, dass eine neue Führung fließend übernehmen könne.
Damit habe man nicht nur Zeit für grüne Politik vergeudet, auch die notwendige Ausrichtung der Wiener Grünen als Oppositionspartei sei bis jetzt nicht passiert, so der Delegierte: Viele hätten noch immer nicht überwunden, dass man keine Regierungspartei mehr sei. Und auch der Machtverlust innerhalb der österreichischen Grünen durch den Wegfall der Regierungsverantwortung in Wien schmerze, meint der Delegierte.
Wobei sich das am Samstag personell nicht niederschlug. Zu dem grünen Parteitag kam nicht nur Bundesparteichef Werner Kogler, sondern auch Gesundheits- und Sozialminister Wolfgang Mückstein, Sigi Maurer (Klubchefin im Parlament) saß am Podium, Justizministerin Alma Zadic´ wurde mit frenetischem Applaus empfangen. Wobei Kogler die grüne Linie mit Kritik an der ÖVP wieder bekräftigt: „Wer sich ungerecht behandelt fühlt, soll sich an den Rechtsstaat wenden, aber ihn nicht attackieren.“Gleichzeitig lobte Kogler grüne Regierungserfolge wie die Erhöhung des Budgets für die Justiz, das Klimaticket etc. Sein Signal an die Basis: Mit der ÖVP in einer Koalition ist es extrem schwierig, aber ohne Grüne in der Bundesregierung wäre es noch schwieriger für Umweltschutz, Justiz und andere Bereiche.
Die Stadtregierung wird von der grünen Doppelspitze nur sehr sanft kritisiert.
Der Moment für Pühringer und Kraus kommt. Gemeinsam treten sie auf die Bühne, wechseln sich beim gemeinsamen Statement ständig ab und strahlen Harmonie aus. Inhaltlich gibt es keine Überraschung mit den Themen Klimaschutz und Soziales. RotPink wird überraschend sanft kritisiert.
Die Doppelspitze ist aber manchem an der Basis nicht ganz geheuer. Bei der nachfolgenden Diskussion wird die Frage gestellt: Wer entscheidet am Ende? Und wer wird Spitzenkandidat bei der Wien-Wahl 2025. Dazu Kraus: Das werden wir uns gemeinsam mit euch ausmachen. Und damit war die kritische grüne Basis zufrieden.
Nebenbei wird mit einer besonderen Skurrilität aufgeräumt. Innerhalb von zwei Jahren sollen die Wiener Grünen erstmals ein Parteiprogramm erhalten. Sie hatten nie ein Parteiprogramm/Grundsatzprogramm geschrieben, es gab nur Wahlprogramme. Und während der zehnjährigen Regierungsbeteiligung in Wien hatte niemand Zeit. Daher hielt man sich an das Parteiprogramm der Bundesgrünen. Das ist aber in die Jahre gekommen: Dort findet sich kein einziges Mal das Wort „Internet“oder „Digitalisierung“, wie Kraus und Pühringer erklären. Anders formuliert: Das grüne Parteiprogramm wurde geschrieben, als das heutige Internet noch nicht existierte.