Geniales Ballgefühl im Mittelfeld
Ein Leben für den Fußball: Vom Simmeringer »Käfig-Kicker« an die Spitze der Sportwelt: Herbert Prohaska, »Österreichs Fußballer des 20. Jahrhunderts«, überrascht jetzt mit simplen, prägnanten – grammatikalisch oft eigenwilligen – TV-Analysen.
Genüsslich macht Prohaska international gefürchtete Abwehrrecken zur Schneck’n.
Mit seinem ersten Taschengeld geht Herbert Prohaska in ein Übersetzungsbüro. Man soll seinen Autogrammwunsch an sein Idol Pele´ ins Portugiesische übersetzen. Eine Antwort aus Brasilien kommt nie. Kein Wunder: „Ich hab’ ja 50 Bilder ins Kuvert gesteckt, die Pele´ hätte unterschreiben sollen.“
Herbert, der ehemalige Käfig-Kicker, später als „Österreichs Fußballer des 20. Jahrhunderts“gekürt, wächst in Wien-Simmering, in der Hasenleiten, auf. Papa Alfred ist Hilfsarbeiter, fährt mit der ersten Tramway zur Arbeit, schleppt den ganzen Tag schwere Metallteile. Mama Leopoldine arbeitet zunächst in einer Spinnerei, danach als Bedienerin. Gemeinsam mit dem Großvater leben die Prohaskas in einer Zwei-Zimmer-Wohnung ohne Fernseher, Telefon und Warmwasser, aber Schimmel an den Wänden. Bis zu seinem zwölften Lebensjahr schläft der Bub in der Mitte des Betts seiner Eltern. Dennoch ist er „das glücklichste Kind, das man sich vorstellen kann. Urlaub gab es nicht, das war mir sehr recht, weil ich sowieso nur eines wollte – Fußball spielen.“
Michael Horowitz
Bei seinem ersten Verein Vorwärts XI ist Herberts Vater Nachwuchstrainer. Sein neunjähriger Sohn darf noch nicht Meisterschaft spielen, erst ab zehn Jahren. Daher spielt er mit dem Spielerpass eines Buben mit dem Namen Mikolasch – der auf dem Foto eine Kappe trägt. Die Kopfbedeckung soll Schneckerls Lockenpracht bedecken. Doch bald erkennt man Herbert. Sein Ballgefühl in den Simmeringer Käfigen, den Keimzellen des Talents, ist zu bekannt. Oft kommt er blutverschmiert nach Hause. Der Vater empfängt ihn: „Wenn du weinst, spielst du morgen nicht mehr mit.“
Papa Prohaska ist überzeugt: „Fußballer ist kein Beruf. Lern zuerst was G’scheites, dann kannst’ spielen.“Herbert beginnt eine Lehre als Automechaniker auf der Simmeringer Hauptstraße, verdient 800 – bei der Austria mit 17 Jahren bereits 7000 Schilling. Dem Vater zuliebe tritt er zur Gesellenprüfung an und kommt irgendwie durch. Doch bald wird das Hobby Fußball zum Beruf.
1972 startet Prohaska seine Profikarriere bei Austria Wien, wird vierfacher Meister und dreifacher Cupsieger. Acht Jahre später wechselt er zu Inter Mailand und gewinnt im zweiten Jahr mit den Nerazurri, den Schwarz-Blauen, den italienischen Cup. Danach gelingt ihm gleich in der ersten Saison mit AS Roma der Gewinn der italienischen Meisterschaft. Später folgt die Rückkehr zur Wiener Austria, und er gewinnt drei weitere Meistertitel. 1989 beendet Prohaska, der 789 Partien in dem Austria-Dress mit der Nummer 8 absolviert und bereits im Alter von 19 Jahren im Nationalteam debütiert hat, seine Spielerkarriere.
Sechs Jahre lang ist er Nationaltrainer, als der er 1993 dem Wödmasta Ernst Happel folgt. Es ist eine Zeit wie auf der Hochschaubahn: Prohaska formt eine Mannschaft, die 1998 zur Weltmeisterschaft nach Frankreich fährt. In der Fifa-Weltrangliste schafft es Österreich auf Platz 17. Dem Höhenflug folgt das Debakel von Valencia: 0:9 gegen Spanien. Nach der historischen Niederlage tritt Herbert Prohaska als Teamchef zurück.
Bei der WM 1978 werden die Fußballer teilweise mit Videorekordern und Fernsehern bezahlt. Heute verdienen Messi oder Ronaldo jährlich mehr als 100 Millionen Euro. Herbert Prohaska gibt unumwunden zu: „Vom Sportlichen und Finanziellen her würde ich viel lieber heute spielen als damals . . .“Wer beim 100-Jahre-AustriaJubiläumsspiel vor zehn Jahren gegen eine Weltauswahl um Figo und Ronaldo seine präzisen Hereingaben sieht, ist überzeugt davon, dass der geniale Mittelfeld-Regisseur auch heute noch seinen Weg als Weltfußballer machen würde.
Gern erinnert er sich an seine Zeit in Italien. Auch an sein Mailänder Stammlokal. Eines Abends sitzt Adriano Celentano am Nachbartisch. Prohaska verzichtet darauf, den Schlagerstar zu behelligen. Doch der Kellner kommt an den Tisch und sagt: „Scusi, Signore Prohaska, haben Sie ein Foto dabei, Herr Celentano hätte so gern ein Autogramm von Ihnen.“