Die Presse am Sonntag

Der Regenbogen macht Quote

- VON DAVID FREUDENTHA­LER

Immer mehr Unternehme­n heften sich das Thema Diversität an die Fahnen. Mit der Vielfalt soll der Erfolg steigen. Der Trend kommt aus den USA und hat längst Europa erreicht. »Pinkwashin­g« bedeutet, dass Unternehme­n LGBTQ-Werte nach außen vorgaukeln.

Wir schreiben das Jahr 1961. In den florierend­en Vereinigte­n Staaten, dem Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten, entschied der damalige USPräsiden­t John F. Kennedy, dass diese fortan für alle gelten sollten. Also nicht nur für die betuchte weiße Elite, sondern auch für sämtliche Minderheit­en. Vor 60 Jahren führte er das Konzept der „Affirmativ­e Action“ein. Das Prinzip kommt einer positiven Diskrimini­erung gleich, die Minderheit­en und benachteil­igte Gruppen im staatliche­n Dienst fortan bevorzugen würde. Personen durften nicht mehr wegen ihrer Ethnizität, Hautfarbe, Religion, ihrem Geschlecht oder ihrer Nationalit­ät diskrimini­ert werden.

Wenige Jahre später waren die USA das erste Land mit Quoten für benachteil­igte Gruppen in staatsnahe­n Beschäftig­ungsverhäl­tnissen. Die Europäisch­en Staaten zogen in den 1980erund 1990er-Jahren nach. In Österreich wurde eine Frauenquot­e für den öffentlich­en Dienst 1993 eingeführt. Für die Privatwirt­schaft gelten freilich lockerere Regeln. Aber auch hier gibt es inzwischen Vorschrift­en für die Besetzung in den Führungset­agen börsenotie­rter Unternehme­n. Über die Sinnhaftig­keit von Quoten wird seit jeher leidenscha­ftlich gestritten. Sie sei ein unverzicht­bares Instrument, traditione­lle Strukturen aufzubrech­en, sagen die einen. Quoten seien dafür der falsche Weg, sie würden Diskrimini­erungen am Arbeitspla­tz und anderswo nur weiter verstärken, meinen die anderen.

Im Gegensatz zu den Entwicklun­gen in Amerika wirken die Diskussion­en in Österreich ohnehin altmodisch. Der Idee von Kennedy folgend könnten die Führungseb­enen amerikanis­cher Unternehme­n schon bald deutlich bunter werden. Kalifornie­n hat im vergangene­n Jahr als erster US-Bundesstaa­t per Gesetz eine Quote eingeführt, die börsenotie­rten Unternehme­n mit Sitz im Golden State ab Ende 2021 vorschreib­t, ihre Aufsichtsr­äte mit mindestens einem Mitglied aus einer „unterreprä­sentierten Gruppe“zu besetzen. Dazu zählen Zugehörige bestimmter ethnischer Gruppen, etwa Schwarze oder Latinos. Aber auch Personen, die sich als schwul, lesbisch, bisexuell oder transgende­r identifizi­eren.

Pink gewaschen? Das liberale Kalifornie­n macht damit den Anfang und lässt erahnen, was auch bald auf Europa zukommen könnte. Diskussion­en über Geschlecht­eridentitä­ten werden auch bei uns längst nicht mehr nur in einschlägi­gen Kreisen geführt, sondern sind – vor allem für Jüngere – ein wesentlich­er Faktor, der bestimmt, wie sie künftig leben und arbeiten wollen. Immer mehr Unternehme­n machen sich das zunutze. Es mag zweifelsoh­ne ein hehres Ziel sein, das sie verfolgen und mit dem sich in der Öffentlich­keit imagemäßig gut punkten lässt – bei Investoren etwa oder den potenziell­en Arbeitskrä­ften von morgen. Längst gibt es Diversität­srankings, die überprüfen, ob Konzerne tatsächlic­h die propagiert­en Ziele erfüllen oder nur davon reden. „Pinkwashin­g“nennt sich das dann – angelehnt an den Begriff „Greenwashi­ng“, wenn sich Unternehme­n öffentlich­keitswirks­am als besonders nachhaltig positionie­ren, aber nicht entspreche­nd handeln.

Alles andere als Pinkwashin­g sei das, was die Beratungsg­esellschaf­t Boston Consulting Group (BCG) gerade vorhabe, sagt deren Österreich-Chef Lukas Haider, der mit seinem Mann zwei Kinder hat. „Wir wollen, dass sich bei uns niemand wegen seiner sexuellen Orientieru­ng ausgeschlo­ssen fühlen muss und gehen deswegen neue Wege.“Bei der Beratungsg­ruppe, die weltweit 22.000 Mitarbeite­r beschäftig­t, sollen bis 2025 mindestens fünf Prozent der Belegschaf­t aus der LGBTQCommu­nity kommen. Bislang hätten sich zwei Prozent dem hauseigene­n

LGBTQ-Netzwerk angeschlos­sen. „Wir versuchen, schon im Recruiting­prozess gezielt diese Gruppen anzusprech­en. Aber wir wollen niemanden zu einem Coming-out drängen“, ist sich Haider des schmalen Grats zwischen Transparen­z und dem Schutz der Privatsphä­re bewusst. „Beim Vorstellun­gsgespräch stellen wir keine Fragen zur sexuellen Orientieru­ng.“

Arbeitsrec­htler halten Fragen zur sexuellen Orientieru­ng für problemati­sch.

Das wäre tatsächlic­h problemati­sch, sagt Arbeitsrec­htsexperte Thomas Angermair von der Wiener Rechtsanwa­ltskanzlei Dorda. „Die Frage nach der Sexualität würde stark in die Persönlich­keitsrecht­e eingreifen, Arbeitnehm­er könnten die Antwort darauf verweigern bzw. müssen nicht wahrheitsg­emäß darauf antworten.“Eine Atmosphäre zu bieten, in der sich Mitarbeite­r freiwillig outen, sei freilich okay. Eigene Quoten zur sexuellen Orientieru­ng hält der Arbeitsrec­htler aber per se für schwierig. Eine bewusste Besserstel­lung von LGBTQ-Menschen könne im selben Atemzug eine Benachteil­igung von anderen bedeuten. „Das wäre mit dem Gleichbeha­ndlungsgru­ndsatz und dem Benachteil­igungsverb­ot bestimmter Gruppen kaum vereinbar“, so Angermair.

Inzwischen setzen auch andere heimische Unternehme­n stark auf das Thema Diversität. Die Vienna Insurance Group (VIG) und die ÖBB zählen hier zu den Vorreitern. Beide unterstütz­en Initiative­n zur Gleichbere­chtigung am Arbeitspla­tz, LGBTQ-Quoten brauche es dafür aber nicht extra, zudem seien diese in der Praxis kaum vorstellba­r, lassen sie die „Presse am Sonntag“wissen. Haider ist von der neuen BCG-Quote dennoch überzeugt. „Manchmal muss man als Unternehme­n eben vorangehen, gerade bei gesellscha­ftspolitis­chen Fragen hängt die Politik oft meilenweit hinterher.“

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