Der Regenbogen macht Quote
Immer mehr Unternehmen heften sich das Thema Diversität an die Fahnen. Mit der Vielfalt soll der Erfolg steigen. Der Trend kommt aus den USA und hat längst Europa erreicht. »Pinkwashing« bedeutet, dass Unternehmen LGBTQ-Werte nach außen vorgaukeln.
Wir schreiben das Jahr 1961. In den florierenden Vereinigten Staaten, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, entschied der damalige USPräsident John F. Kennedy, dass diese fortan für alle gelten sollten. Also nicht nur für die betuchte weiße Elite, sondern auch für sämtliche Minderheiten. Vor 60 Jahren führte er das Konzept der „Affirmative Action“ein. Das Prinzip kommt einer positiven Diskriminierung gleich, die Minderheiten und benachteiligte Gruppen im staatlichen Dienst fortan bevorzugen würde. Personen durften nicht mehr wegen ihrer Ethnizität, Hautfarbe, Religion, ihrem Geschlecht oder ihrer Nationalität diskriminiert werden.
Wenige Jahre später waren die USA das erste Land mit Quoten für benachteiligte Gruppen in staatsnahen Beschäftigungsverhältnissen. Die Europäischen Staaten zogen in den 1980erund 1990er-Jahren nach. In Österreich wurde eine Frauenquote für den öffentlichen Dienst 1993 eingeführt. Für die Privatwirtschaft gelten freilich lockerere Regeln. Aber auch hier gibt es inzwischen Vorschriften für die Besetzung in den Führungsetagen börsenotierter Unternehmen. Über die Sinnhaftigkeit von Quoten wird seit jeher leidenschaftlich gestritten. Sie sei ein unverzichtbares Instrument, traditionelle Strukturen aufzubrechen, sagen die einen. Quoten seien dafür der falsche Weg, sie würden Diskriminierungen am Arbeitsplatz und anderswo nur weiter verstärken, meinen die anderen.
Im Gegensatz zu den Entwicklungen in Amerika wirken die Diskussionen in Österreich ohnehin altmodisch. Der Idee von Kennedy folgend könnten die Führungsebenen amerikanischer Unternehmen schon bald deutlich bunter werden. Kalifornien hat im vergangenen Jahr als erster US-Bundesstaat per Gesetz eine Quote eingeführt, die börsenotierten Unternehmen mit Sitz im Golden State ab Ende 2021 vorschreibt, ihre Aufsichtsräte mit mindestens einem Mitglied aus einer „unterrepräsentierten Gruppe“zu besetzen. Dazu zählen Zugehörige bestimmter ethnischer Gruppen, etwa Schwarze oder Latinos. Aber auch Personen, die sich als schwul, lesbisch, bisexuell oder transgender identifizieren.
Pink gewaschen? Das liberale Kalifornien macht damit den Anfang und lässt erahnen, was auch bald auf Europa zukommen könnte. Diskussionen über Geschlechteridentitäten werden auch bei uns längst nicht mehr nur in einschlägigen Kreisen geführt, sondern sind – vor allem für Jüngere – ein wesentlicher Faktor, der bestimmt, wie sie künftig leben und arbeiten wollen. Immer mehr Unternehmen machen sich das zunutze. Es mag zweifelsohne ein hehres Ziel sein, das sie verfolgen und mit dem sich in der Öffentlichkeit imagemäßig gut punkten lässt – bei Investoren etwa oder den potenziellen Arbeitskräften von morgen. Längst gibt es Diversitätsrankings, die überprüfen, ob Konzerne tatsächlich die propagierten Ziele erfüllen oder nur davon reden. „Pinkwashing“nennt sich das dann – angelehnt an den Begriff „Greenwashing“, wenn sich Unternehmen öffentlichkeitswirksam als besonders nachhaltig positionieren, aber nicht entsprechend handeln.
Alles andere als Pinkwashing sei das, was die Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group (BCG) gerade vorhabe, sagt deren Österreich-Chef Lukas Haider, der mit seinem Mann zwei Kinder hat. „Wir wollen, dass sich bei uns niemand wegen seiner sexuellen Orientierung ausgeschlossen fühlen muss und gehen deswegen neue Wege.“Bei der Beratungsgruppe, die weltweit 22.000 Mitarbeiter beschäftigt, sollen bis 2025 mindestens fünf Prozent der Belegschaft aus der LGBTQCommunity kommen. Bislang hätten sich zwei Prozent dem hauseigenen
LGBTQ-Netzwerk angeschlossen. „Wir versuchen, schon im Recruitingprozess gezielt diese Gruppen anzusprechen. Aber wir wollen niemanden zu einem Coming-out drängen“, ist sich Haider des schmalen Grats zwischen Transparenz und dem Schutz der Privatsphäre bewusst. „Beim Vorstellungsgespräch stellen wir keine Fragen zur sexuellen Orientierung.“
Arbeitsrechtler halten Fragen zur sexuellen Orientierung für problematisch.
Das wäre tatsächlich problematisch, sagt Arbeitsrechtsexperte Thomas Angermair von der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Dorda. „Die Frage nach der Sexualität würde stark in die Persönlichkeitsrechte eingreifen, Arbeitnehmer könnten die Antwort darauf verweigern bzw. müssen nicht wahrheitsgemäß darauf antworten.“Eine Atmosphäre zu bieten, in der sich Mitarbeiter freiwillig outen, sei freilich okay. Eigene Quoten zur sexuellen Orientierung hält der Arbeitsrechtler aber per se für schwierig. Eine bewusste Besserstellung von LGBTQ-Menschen könne im selben Atemzug eine Benachteiligung von anderen bedeuten. „Das wäre mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Benachteiligungsverbot bestimmter Gruppen kaum vereinbar“, so Angermair.
Inzwischen setzen auch andere heimische Unternehmen stark auf das Thema Diversität. Die Vienna Insurance Group (VIG) und die ÖBB zählen hier zu den Vorreitern. Beide unterstützen Initiativen zur Gleichberechtigung am Arbeitsplatz, LGBTQ-Quoten brauche es dafür aber nicht extra, zudem seien diese in der Praxis kaum vorstellbar, lassen sie die „Presse am Sonntag“wissen. Haider ist von der neuen BCG-Quote dennoch überzeugt. „Manchmal muss man als Unternehmen eben vorangehen, gerade bei gesellschaftspolitischen Fragen hängt die Politik oft meilenweit hinterher.“