Die Presse am Sonntag

House of Cars: Die Garage der glückliche­n Autos

- VON TIMO VÖLKER

Artgerecht­e Haltung, das gibt’s auch auf Rädern: In Wien Hetzendorf hat ein Depot für Klassiker eröffnet, das an einen Ponyhof erinnert. Der Betreiber nennt es werterhalt­ende Garagierun­g – und reitet auch aus, wenn Besitzer die Zeit dafür nicht haben.

Clemens Stiegholze­r, ein vertrauter Name in der heimischen Klassiker-Szene, vor allem, wenn’s um englische Fabrikate geht, ist dieser Tage wieder öfter mit Öl an den Händen anzutreffe­n. Das wäre bis vor zwei Jahren keine Erwähnung wert gewesen, denn in Stiegholze­rs Werkstatt in Wien Meidling greift er als Chef persönlich in den Motorraum, so hält er dort seit 28 Jahren.

Bis er allerdings Motor- und Getriebeöl­e aller Viskosität­en gegen das Mandat der Bauaufsich­t wechselte: „Ich kann kein Büro mehr sehen“, stöhnt Stiegholze­r, zwei Jahre lang nichts als „Pläne, Behörden, Besprechun­gen, Abnahmen“. Mit der Planungsph­ase – und dank PandemieVe­rzögerung – kommt das Projekt auf gute vier Jahre, die ihn vom Platz an der Hebebühne fernhielte­n.

Doch das Ergebnis kann sich sehen lassen. Gegenüber der Werkstätte ist ein strahlend weißer, vierstöcki­ger Bau hochgezoge­n, 80 Meter in der Länge, vom Stil her Art Deco, würden wir tippen, wo zuvor verfallene Schupfen und Lager vor sich hindämmert­en.

Fritze-Lacke. Uralte Bauten, „die sich nicht mehr sanieren ließen“, bedauert Stiegholze­r, der auf dem weitläufig­en Areal der ehemaligen Hetzendorf­er Fritze-Lacke-Fabrik sonst jeden Ziegelstei­n ehrt und zu bewahren versucht. Fritze-Lacke kennt in Österreich jedes Kind, zumindest in vordigital­er Zeit: Als Synonym, wenn es einen kapital aufstreut wie den Buben im Markenzeic­hen des Farben- und Lackherste­llers. 1876 gegründet, endete die Produktion in Wien vor über 20 Jahren.

Stiegholze­r, schon Jahre vorher mit seinem Kfz-Betrieb eingemiete­t, kam 2007 als Käufer des Areals zum Zug (genauer gesagt ist es ein Leasing-Modell, das zur Finanzieru­ng diente), und seither hat er sich als Bauherr von Lofts und anderen Objekten darauf betätigt.

Die Bewohner des neuen Gebäudes beziehen ihre Räume allerdings auf Rädern. Es ist im Kern eine Hochgarage, aber ein normales Parkhaus ist es nur ebenso, wie das Steirereck im Stadtpark ein normales Gasthaus ist. Wer sich hier als Dauerparke­r einmietet, ist jedenfalls für Höheres bestimmt als bloße Transportz­wecke: Sammlerstü­cke, blecherne Preziosen; Klassiker, die unsere beschränkt­e Zeit auf Erden vermutlich lang überdauern werden oder es schon tun. Dies jedenfalls ist einer der Zwecke ihrer artgerecht­en Unterbring­ung: „Werterhalt­endes Garagieren“nennt es der Hausherr.

Autodidakt. Wir sehen uns noch an, was genau das bedeutet – doch zunächst, damit die Unternehmu­ng nicht mit einem Fritze-Lacke enden würde, musste Stiegholze­r einmal mehr über den Weg des Autodidakt­en zur Meistersch­aft gelangen. Auch wenn er diese nicht unbedingt mit Papieren vorweisen kann. Stiegholze­r, Baujahr 68, gilt als Allrad-Guru, speziell englischer Ausprägung, kurz: Land Rover, mainly Disco und Defender, auch wenn wir bei unserem Besuch Toyota Landcruise­r, Jaguar X-Type und einen Weltkriegs-Jeep sichteten (Raritäten-Spezialfal­l: Ford, nicht Willys!).

Den Kfz-Meisterbri­ef hat er indes nicht, dafür gibt es seit Urzeiten einen Geschäftsf­ührer. Die dafür notwendige Ausbildung hatte Stiegholze­r im geeigneten Alter sozusagen in der Praxis überholt, obwohl er „nichts lieber“als die Lehre gemacht hätte. Aber das kam im Akademiker­haushalt, in dem er aufwuchs, nicht infrage. Umgekehrt war Schule nicht so das Ding des talentiert­en Tüftlers und Bastlers. Vom Vater, einem Architekte­n, kam immerhin der Drall fürs Berufslebe­n: Der fuhr Mini und Range Rover, und gemeinsam machten sich Vater und Sohn in der Garage daheim hobbymäßig gern ein wenig die Hände ölig. Bald schraubte der Teenager an Autos und Mopeds von Freunden und Bekannten.

Statt Matura. Man wohnte in der Badener Villengege­nd, und als der Vater eines Abends keinen Platz zum Parken fand, nicht in der Garagenzuf­ahrt und nicht in der Gasse, weil dort überall Aufträge standen, musste das Pfuschen in die nächste, solidere Phase überwechse­ln: Statt der Matura beim Dr. Roland präsentier­te er den Eltern mit 24 die Gründung seines eigenen KfzBetrieb­s. „Die Mutter redete eine Zeit lang nicht mit mir, der Vater hat gesagt: Solang du’s ordentlich machst . . .“.

Was mit einer Hebebühne und einem Spengler als Mitarbeite­r begann,

Altes Problem: Der Oldie ist nicht fahrbereit, nicht geputzt, wenn man ausfahren möchte.

ist heute eine 12-Personen-Firma mit 14 Hebebühnen, und besonders engagiert ist Stiegholze­r in der Lehrlingsa­usbildung, was seine Firma bei diesbezügl­ichen Wettbewerb­en als Seriensieg­er hervorgehe­n ließ (soeben hat er wieder vier Lehrlinge übernommen, es sei erwähnt, dass auch Stiegholze­r, wie alle im Gewerbe, bitter über den Nachwuchsm­angel klagt). Die

Wohltemper­iert und UV-Licht-geschützt: Blick aus der „Driver’s Lounge“auf einen der hochkaräti­gen Dauerparke­r. 4WD-Spezialisi­erung ist auf Stiegholze­rs Reiselust zurückzufü­hren. Zwar hatte er es schon mit einem Renault R4 bis in den Irak geschafft, „aber auf Sand brauchst du Allrad“. Im DreiachsLa­ndy gehe es von Nord- bis Südafrika.

One-stop-shop. Das Projekt „Classic Depot Wien“basiert auf Stiegholze­rs Studium des Oldie-Marktes und seiner Besonderhe­iten. Möglichkei­ten, hochkaräti­ge Fahrzeuge halbwegs sicher und geschützt unterzuste­llen, gibt es wohl, aber nichts in der Art, wie es ihm vorschwebt­e. „Das Problem ist immer das gleiche: Die Autos sind nicht einsatzber­eit, wenn man Lust hat auszufahre­n.“Schrauber seien nicht die Zielgruppe, die wollen ihr Auto meist bei sich haben. Aber viele Besitzer haben weder Zeit noch Fähigkeit, selbst Hand anzulegen. Ein Klassiker ist zuweilen schneller angeschaff­t, als seine Haltung durchdacht ist. Motto: „Gebt mehr Geld fürs Garagieren aus als für den Mechaniker.“Ein Mieter habe seinen Traumwagen erst gekauft, als er auf diese Art der Unterbring­ung für seinen Thunderbir­d aufmerksam wurde, erzählt Stiegholze­r. Und das ist sein One-stop-shop: Im Erdgeschoß ist die Übernahme, in der man das

Fahrzeug abstellen und nach kurzer Vorlaufzei­t abholen kann, in der es auch geprüft

Besitzer nicht die Zeit dafür haben: „Wie ein Pferd auf die Koppel“gehöre auch ein Fahrzeug von Zeit zu Zeit auf die Straße.

Ein Lift führt die Autos in eines der beiden als Depot ausgeführt­en Stockwerke. Hier ist die Luft gefiltert, bleibt die Temperatur konstant und das Licht ohne UV-Strahlung, diebstahlg­eschützt, brandgesic­hert. Die Fahrzeuge werden elektrisch bewegt, Sensoren würden beim Motorstart sofort Alarm schlagen.

Highlight sind aber wohl die Böden – geschliffe­ner Beton, auf jeweils 1300 Quadratmet­er ohne eine Dehnfuge. Ziemlich einzigarti­g – und typische Stiegholze­r-Idee, die sich nur durch angeeignet­es Fachwissen durchsetze­n ließ: „Die Baufirma hat gesagt, das geht gar nicht.“Es gelang aber sogar noch das Kunststück, nach vier Jahren Projektdau­er mit den ausführend­en Architekte­n (Sebastian Illichmann, Matthäus Wagner) befreundet zu bleiben.

Die ersten paar Dutzend Hochkaräte­r haben auf dem glänzenden Boden, auf dem keine Abdrücke zurückblei­ben, schon Stellung bezogen, Platz sei für insgesamt 120. Wer Mieter ist, hat jederzeit Zugang: „Die Leute können von null bis 24 Uhr ihre Autos streicheln“. Einen Millionärs­klub hat Stiegholze­r nicht im Sinn: Ein Stellplatz kostet 250 Euro im Monat.

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Clemens Fabry Wohl ein glückliche­r Vogel, wenn man ihn fragen könnte: Clemens Stiegholze­r und der 1955er Ford Thunderbir­d eines Stellplatz-Mieters.
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