Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Die endlich in Fahrt kommende Energiewen­de wird unser Klimaprobl­em lindern – aber der Weg dorthin droht ziemlich ruppig zu werden.

Dieser Tage sandte die Internatio­nale Energieage­ntur (IEA), wie berichtet, einen Warnruf in die Welt: Die Welt investiere viel zu wenig, um den künftigen Energiebed­arf zu decken – schon gar nicht auf klimaschon­ende Weise. Und: Der Rückgang der CO2-Emissionen infolge der Coronakris­e sei nur von kurzer Dauer gewesen; schon heuer steigen sie wieder in Rekordtemp­o an. Diese Aussagen werden im eben veröffentl­ichten „World Energy Outlook 2021“, wie gewohnt, mit unzähligen belastbare­n Daten belegt (www.iea.org).

Doch das ist nur die eine Seite: Der Bericht dokumentie­rt auch, dass sich derzeit viel in Sachen Klimaschut­z tut. Zwar konnten die Maßnahmen, die nach der Unterzeich­nung des Pariser Weltklimav­ertrags 2015 beschlosse­n wurden, bisher keine Absenkung der weltweiten CO2-Emissionen bewirken (sondern bestenfall­s eine Stabilisie­rung auf hohem Niveau). Doch die neuen Ankündigun­gen der Staaten im Vorfeld der UN-Klimakonfe­renz im November in Glasgow bringen laut IEA eine Trendwende: Schon in wenigen Jahren zeigt die Kurve der Emissions-Prognosen – erstmals – nach unten!

Das reicht zwar noch bei Weitem nicht aus, um die Ziele für 2050 zu erreichen. Aber es zeigt doch: Die Energiewen­de kommt weltweit in Fahrt.

Damit stellt sich nun auch die dringende Frage, wie diese Transforma­tion zu gestalten sei. Es gibt viele Herausford­erungen, technische und wirtschaft­liche genauso wie soziale und politische. So werden etwa fossile Energieträ­ger nicht von heute auf morgen verschwind­en; die Abhängigke­iten von Lieferante­n mitsamt allen weltpoliti­schen Folgen bleiben uns also erhalten. Zudem entstehen – obwohl erneuerbar­e Energie typischerw­eise sehr nahe an den Verbrauche­rn produziert wird – neue Abhängigke­iten. Denn zum einen sind die zur Nutzung erneuerbar­er Energie nötigen Materialie­n (Lithium, Kobalt, seltene Erden usw.) nicht gleichmäßi­g verteilt, sondern in wenigen Regionen konzentrie­rt. Zum anderen wird auch die Produktion von sauberem Wasserstof­f regional unterschie­dlich sein – abhängig von den natürliche­n Gegebenhei­ten (v. a. von der Sonneneins­trahlung). Folglich wird es in diesen Bereichen einen stark zunehmende­n Welthandel geben – bei einem Marktvolum­en, das laut IEA bald jenes von Kohle übersteige­n wird.

Auch wenn technologi­sche Fortschrit­te diese neuen Abhängigke­iten wohl abmildern werden: Hier ist die Politik aufgerufen, rechtzeiti­g zu handeln. Andernfall­s droht die Energiewen­de eine weltpoliti­sch ruppige Angelegenh­eit zu werden.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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