Das Riff mit Wolken retten?
Am Great Barrier Reef wurde erdweit erstmals experimentell versucht, die abzuschatten. Das soll Korallenbleichen verhindern.
Von früheren Bleichen konnte das Riff sich erholen, aber dann kam die Hitze häufiger.
Erde
In einer etwa 100 Kilometer vor Australien liegenden Lagune des Great Barrier Reef wurde dieses Frühjahr Meerwasser in den Himmel geblasen, in feinsten Tröpfchen, von einem Schiff bzw. aus einem Zerstäuber, der ein wenig aussieht wie ein Düsenantrieb und im Auftrag des Ozeanografen Daniel Harrison (Southern Cross University) konstruiert worden ist. Er war mit Kollegen – und einem Vertreter örtlicher Aborigines – an Bord und dokumentierte, dass der Dunst sich erst über der Wasseroberfläche ausbreitete und dann aufstieg gen Himmel. So war es auch geplant: Die Tröpfchen bzw. das Salz darin sollten sich in Wolken integrieren und sie heller machen, auf dass sie mehr Sonnenlicht reflektieren und das Meer vor Hitze schützen (Nature 596, S. 476).
Und die Korallen vor Bleiche: Wenn es deren Erbauern, Polypen, zu warm wird, stoßen sie die in ihnen lebenden Symbionten ab – Zooxanthellen, die Fotosynthese betreiben, auch für die Wirte –, sie selbst können sich noch etwas in den weißen Kalkgerippen halten und neue Symbionten aufnehmen, wenn es wieder kühler ist.
So war das auch nach den ersten großen Bleichen am Great Barrier Reef, 1998 und 2002, aber im Zug der Erwärmung kam die Hitze in immer kürzeren Abständen und brachte 2017 eine regional tödliche Bleiche über das Riff, das ohnehin geschwächt war, durch die Natur – mit einem Seestern, der alles kurz und klein frisst –, durch den Menschen, mit Schiffen und Überdüngung aus der Landwirtschaft: Alles zusammen hat von 1995 bis 2018 laut Andreas Dietzel (James Cook University) über die Hälfte der Korallen des 2300 Kilometer langen Riffs zu Tode gebracht (Proc. Roy. Soc. B 287 20201432).
Zur Rettung rief die Regierung 2018 einen Ideenwettbewerb aus, 160 Projekte gingen ein, 43 wurden gefördert, unter ihnen das mit dem Aufhellen der Wolken. Ganz neu war die Idee nicht – in den USA sollte 2016 ein „Cloud Brightening Project“auf den Weg gebracht werden, weit kam es nicht –, und ganz neu war generell die Idee nicht, in die Wettermaschine einzugreifen: „Das Eis der Arktis ist ein großer Nachteil, auch die dauernd gefrorenen Böden sind es. Wenn wir unseren Planeten verbessern und lebensfreundlicher machen wollen, müssen wir das Klima verändern.“Das forderten 1962 die Russen Rusin und Flit (im Buch „Man versus Climate“), sie wiesen auch den Weg: Man müsse die Erde hoch in der Atmosphäre mit weißen Partikeln umgeben – „ähnlich wie der Ring des Saturn“–, das bringe zwölf Prozent mehr Sonnenstrahlung, was vor allem den Norden „merklich erwärmen würde“.
Meerdüngung. Inzwischen wird nicht nur der Norden merklich wärmer, und die als Utopien längst verflogenen großtechnischen Pläne leben als Retter in der Klimanot wieder auf, zum Abschatten der Erde in der einen Variante (Solar Radiation Management: SRM), zum Herausholen des Treibhausgases CO2 aus der Atmosphäre in der anderen (Carbon Dioxide Removal: CDR). Dort fand auch das erste Experiment statt, man setzte auf Düngung der nährstoffarmen Südmeere mit Eisen, das aufblühende Algenleben sollte CO2 aufnehmen, und wie: „Gebt mir einen Tanker voll Eisen – und ich gebe euch eine neue Eiszeit“, versprach Ozeanograf John Martin, der sich auf Paläodaten stützte, die den Effekt durch Gletscherabrieb am Ende der Eiszeit zeigten. Deshalb wurde in den 1990er-Jahren im „Southern Ocean Iron Experiment“Eisen ausgebracht, es schlug fehl, der Effekt war marginal (Science 304, S. 414).
Inzwischen setzt man beim Herausholen des CO2 aus der Luft auf das Ausbringen von zermahlenem Gestein – etwa aus Bergwerksabraum –, das den Kohlenstoff im CO2 zu Karbonaten binden soll, oder auf technische Verfahren, das CO2 abzuscheiden und in der Erde endzulagern. Aber man müsst laut UNO-Klimabeirat IPCC gegen Ende des Jahrhunderts jedes Jahr zehn Millionen Tonnen CO2 aus der Luft holen, das halten selbst Optimisten für kaum machbar. Deshalb fährt etwa David Keith (Harvard) zweigleisig: Er hat ein Verfahren (und eine Firma) zum Abscheiden von CO2, er ist aber auch bei Plänen zum Abschatten der Erde dabei.
Die begannen 1997, als Edward Teller, Erfinder der Wasserstoffbombe, eine „Sonnencreme für die Erde“propagierte: Er wollte Spiegel im Weltraum platzieren. Das erregte Kopfschütteln, ernst genommen wurde hingegen Paul Crutzen, der Atmosphärenchemiker, der das Ozonloch entdeckte und den Nobelpreis dafür erhielt und sich unermüdlich für das Minimieren der CO2Emissionen starkmachte. Als er sah, dass bei dem nichts voranging, schlug er 2006 als Ultima Ratio gegen die Erwärmung das Imitieren von Vulkanen vor, die mit ihren Wolken aus Schwefeldioxid (SO2) kühlen, der Pinatubo hat es 1991 global um 0,5 Grad getan: Das möge man selbst in die Hand nehmen und mit Flugzeugen Schwefeldioxid in der Atmosphäre ausbringen.
In den Himmel gespritztes Wasser soll Wolken aufhellen und so die Sonne dimmen.
Das allerdings hätte eigene Risken – es würde etwa zur Versauerung von Niederschlägen führen –, deshalb wurde die Idee modifiziert, von einer Gruppe in Harvard um Keith: Sie will nicht SO2 ausbringen, sondern CaCO3, Kalziumkarbonat, kohlensauren Kalk. Das Experiment hätte 2018 beginnen sollen, es wurde auch von Fachjournals breit angekündigt (Science 563, S. 613), dazu kam es bis heute nicht: Im März wurde ein erster Testflug – nur zum Prüfen des technischen Equipments, nicht zum Freisetzen von Kalk – in Schweden abgeblasen, die örtliche Bevölkerung, darunter indigene Samen, hatte sich quergestellt.
Was ungefähr zur gleichen Zeit vor Australien getestet wurde, stieß nicht auf regionalen Widerstand – die Aborigines waren mit im Boot –, und überregional wurde selbst die Fachwelt überrascht: Von dem Projekt war kaum etwas bekannt, es gab auch keinerlei Publikation, nur ein redaktioneller Mitarbeiter von Nature war bei dem Experiment dabei. Über das Ergebnis konnte er nichts berichten, außer dass es nach Harrisons Berechnungen 800 bis 1000 Wasserwerfer zum Abschatten des Riffs – und 6,5 Prozent weniger Sonneneinstrahlung – brauchen würde. Und Wolken brauchte es schon auch, die kann Harrison nicht erzeugen, nur aufhellen: „Es gibt nur eine gewisse Zahl, und man kann sie nur ein Stück weit heller machen“, fürchtet der Forscher all seiner Zuversicht zum Trotz: „Möglicherweise wird der Klimawandel alles überwältigen.“