»Ich habe alles schon hinter mir«
Aus Manuel Feller ist endgültig ein Siegläufer geworden. Er erzählt vom bedeutendsten Moment seiner Karriere und dem guten Recht eines jeden Skifans.
Das bis dato letzte Weltcuprennen, den Slalom beim Saisonfinale, haben Sie gewonnen. Sie gehen nicht mehr als Außenseiter, sondern als Sieganwärter in diesen Winter. Manuel Feller: Bei mir sind die Dinge am nächsten Tag meistens schon wieder vergessen. Ich lebe im Hier und Jetzt. Dieser Sieg ist befriedigend, aber er liegt eben auch schon zurück.
Dennoch lautet eine Lehre aus dem Vorwinter: Nun, da Manuel Feller endlich gesund ist, kann er auch Rennen gewinnen.
Das würde ich definitiv so sagen. Aber es muss alles zusammenpassen. Unser Sport ist sehr komplex, jeder Hügel, jeder Tag ist anders. Wir müssen uns jedes Mal aufs Neue anpassen.
Aber spricht etwas dagegen, dass Sie auch heuer wieder um Siege mitfahren?
Ganz im Gegenteil. Wenn ich mich vor einem Jahr körperlich so gefühlt hätte wie heuer, hätte ich auch im Riesentorlauf nicht so patschert ausgesehen. Ich wollte den Riesentorlauf schon liegenlassen, mich auf den Slalom konzentrieren. Mittlerweile macht er wieder Spaß, ich habe technisch einen Schritt gemacht, fühle mich sehr gut. Das habe ich vor der Saison schon öfter gesagt, ich weiß auch, dass Skifahren kombiniert mit Reisen eine ganz andere Belastung sein wird. Aber körperlich merke ich nichts und das sage ich selten.
Verspüren Sie neuerdings den Druck, etwas verteidigen zu müssen? Nach oben zu kommen soll ja leichter sein, als oben zu bleiben. Ich habe das alles schon hinter mir. Ich war Vizeweltmeister, hatte dann einen Bandscheibenvorfall, ich bin angehimmelt und angespuckt worden, mich kann nicht mehr viel überraschen.
Wie bewerten Sie nun jene Zeit, in der Sie die Erwartungen – Ihre eigenen und die von außen – nicht erfüllen konnten?
Schwer zu sagen, weil ich teilweise mein damaliges Maximum abgeliefert habe. Aber du kannst von einem Skifan nicht erwarten, dass er weiß, wann du welche Verletzung gehabt hast. Der Job des Skifans ist es, sich vor den Fernseher zu setzen, mitzufiebern und Emotionen zu zeigen, positive oder negative. Das ist von uns zu akzeptieren, es ist das gute Recht des Skifans, davon auszugehen, dass ein Spitzensportler mit 100 Prozent am Start steht. Deshalb darf er dich kritisieren, wenn du einen Mist zusammenfährst, aus welchem Grund auch immer.
Wie also umgehen mit dieser Kritik?
Ich sage einmal so: Früher habe ich noch ein paar Steine zurückgeschmissen, heute sammle ich sie und baue damit ein Häuschen.
Weil Sie draufgekommen sind, dass man so mehr Skirennen gewinnt?
Nein, ich bin draufgekommen, dass einfach viele Leute anders ticken als ich. Die Gesellschaft entwickelt sich in so viele Richtungen, es jedem recht zu machen, ist heute unmöglich. Also konzentriere ich mich auf das, was ich zu tun habe. Ich bin sehr gut drauf, habe eine gesunde Familie, eine Gaudi, ein super Team. Darauf baue ich auf.
Es jedem recht zu machen war doch noch nie Ihre Intention.
Definitiv nicht. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vergangenen Winter war ich der viertbeste Slalomfahrer der Welt.
Aber wenn ich jetzt ein Slalom-Video poste, gibt es mindestens eine Handvoll Leute, die mir erklären wollen, was ich alles falsch mache – bei einer Sache, die ich, seit ich zehn Jahre alt bin, professionell betreibe, und nur weil sie ein Video gesehen haben. Und jetzt nehmen wir Dinge, die ich nicht professionell betreibe. Wenn ich da meine Meinung dazugebe, kommen mehr als eine Handvoll Leute. Heutzutage meint jeder, der etwas gelesen oder gehört hat, er sei Vollprofi. Also bleiben wir ein bisschen ruhiger und genießen (lacht).
Nur weil Sie sich zurückhaltender geben, heißt das nicht, dass Sie nichts mehr aufregt. Wenn du in der heutigen Zeit nichts findest, das dich aufregt, dann machst du dir einfach keine Gedanken. Es geht aber auch darum, im Hier und Jetzt zu leben, das ist auch das Schöne an unserem Sport. Ich habe immer gesagt: Der Grund, warum ich skifahre, ist ja genau diese eine Minute vom Start zum Ziel. Da kann draußen jeder noch so laut „Feller, du Trottel“schreien, den höre ich nicht, ich bin in meinem Tunnel. Dieses Gefühl, das kannst du dir mit keiner Droge, mit nichts holen. Ein unbeschreibliches Gefühl.
All die Schinderei für eine Minute Tunnel? Nach dem Intervalltraining über dem Mistkübel hängen und kotzen, das interessiert eigentlich keinen. Aber du machst es, damit du dieses Gefühl noch länger kontrollieren kannst. Ich bin
Manuel Feller, 29, SC Fieberbrunn.
Karriere
Zwei Weltcupsiege (Slalom Flachau 2021, Slalom Lenzerheide 2021), sechs weitere Podestplätze.
WM-Silber Slalom 2017.
Olympia-Silber Teambewerb 2018.
Verletzung
U. a. Bandscheibenvorfall 2019.
Privat
Feller wohnt mit seiner Lebensgefährtin, Sohn Lio und Tochter Laila in Fieberbrunn.
Saisonauftakt Riesentorlauf Sölden am 23. (Damen) und 24. Oktober (Herren). nicht der frühe Vogel, ich frage mich jeden Tag in der Früh, wieso ich das mache. Aber wenn ich hinauffahre, den Sonnenaufgang sehe und die ersten Kurven ziehe, weiß ich wieder, warum.
Spürten Sie Genugtuung nach einer Saison, in der Sie es allen Kritikern gezeigt haben? Als ich in Alta Badia im Ziel „Da ist er wieder!“geschrien habe, haben viele Leute gemeint, ich hätte das meinen Kritikern ausgerichtet. Für mich war es einfach das Gefühl, endlich wieder den grünen Einser aufleuchten zu sehen (Feller wurde am Ende Zweiter, Anm.). Zuvor habe ich beim Abschwingen immer auf den Deckel bekommen, da hast du kein Glücksgefühl mehr. Was dich eigentlich antreibt, wird immer weniger. Wenn du nicht im Dreck warst, weißt du auch nicht, wie es sich anfühlt, wieder aufzustehen. Dieses Gefühl war unschlagbar, da zieht es mir jetzt noch die Ganslhaut auf.
Es gibt wenige ganz Große im Sport, die nicht auch einmal ,im Dreck‘ waren. Sind Sie auf dem Weg zu einem großen Skifahrer? Ich sage einmal: Wenn ich durchstarte, wäre es sicher eine coole Story. Aber ich weiß, was alles passieren kann. Ich habe so viel erlebt, Leute, die dich in den Himmel loben, Leute, die dich anspucken. Ich bin froh, dass ich schmerzfrei machen kann, was ich gern mache, das werde ich, solange ich kann. Und jeder, der mich auf der Reise begleiten will, ist herzlich willkommen.