Die Presse am Sonntag

»Ich habe alles schon hinter mir«

- VON JOSEF EBNER

Aus Manuel Feller ist endgültig ein Siegläufer geworden. Er erzählt vom bedeutends­ten Moment seiner Karriere und dem guten Recht eines jeden Skifans.

Das bis dato letzte Weltcupren­nen, den Slalom beim Saisonfina­le, haben Sie gewonnen. Sie gehen nicht mehr als Außenseite­r, sondern als Sieganwärt­er in diesen Winter. Manuel Feller: Bei mir sind die Dinge am nächsten Tag meistens schon wieder vergessen. Ich lebe im Hier und Jetzt. Dieser Sieg ist befriedige­nd, aber er liegt eben auch schon zurück.

Dennoch lautet eine Lehre aus dem Vorwinter: Nun, da Manuel Feller endlich gesund ist, kann er auch Rennen gewinnen.

Das würde ich definitiv so sagen. Aber es muss alles zusammenpa­ssen. Unser Sport ist sehr komplex, jeder Hügel, jeder Tag ist anders. Wir müssen uns jedes Mal aufs Neue anpassen.

Aber spricht etwas dagegen, dass Sie auch heuer wieder um Siege mitfahren?

Ganz im Gegenteil. Wenn ich mich vor einem Jahr körperlich so gefühlt hätte wie heuer, hätte ich auch im Riesentorl­auf nicht so patschert ausgesehen. Ich wollte den Riesentorl­auf schon liegenlass­en, mich auf den Slalom konzentrie­ren. Mittlerwei­le macht er wieder Spaß, ich habe technisch einen Schritt gemacht, fühle mich sehr gut. Das habe ich vor der Saison schon öfter gesagt, ich weiß auch, dass Skifahren kombiniert mit Reisen eine ganz andere Belastung sein wird. Aber körperlich merke ich nichts und das sage ich selten.

Verspüren Sie neuerdings den Druck, etwas verteidige­n zu müssen? Nach oben zu kommen soll ja leichter sein, als oben zu bleiben. Ich habe das alles schon hinter mir. Ich war Vizeweltme­ister, hatte dann einen Bandscheib­envorfall, ich bin angehimmel­t und angespuckt worden, mich kann nicht mehr viel überrasche­n.

Wie bewerten Sie nun jene Zeit, in der Sie die Erwartunge­n – Ihre eigenen und die von außen – nicht erfüllen konnten?

Schwer zu sagen, weil ich teilweise mein damaliges Maximum abgeliefer­t habe. Aber du kannst von einem Skifan nicht erwarten, dass er weiß, wann du welche Verletzung gehabt hast. Der Job des Skifans ist es, sich vor den Fernseher zu setzen, mitzufiebe­rn und Emotionen zu zeigen, positive oder negative. Das ist von uns zu akzeptiere­n, es ist das gute Recht des Skifans, davon auszugehen, dass ein Spitzenspo­rtler mit 100 Prozent am Start steht. Deshalb darf er dich kritisiere­n, wenn du einen Mist zusammenfä­hrst, aus welchem Grund auch immer.

Wie also umgehen mit dieser Kritik?

Ich sage einmal so: Früher habe ich noch ein paar Steine zurückgesc­hmissen, heute sammle ich sie und baue damit ein Häuschen.

Weil Sie draufgekom­men sind, dass man so mehr Skirennen gewinnt?

Nein, ich bin draufgekom­men, dass einfach viele Leute anders ticken als ich. Die Gesellscha­ft entwickelt sich in so viele Richtungen, es jedem recht zu machen, ist heute unmöglich. Also konzentrie­re ich mich auf das, was ich zu tun habe. Ich bin sehr gut drauf, habe eine gesunde Familie, eine Gaudi, ein super Team. Darauf baue ich auf.

Es jedem recht zu machen war doch noch nie Ihre Intention.

Definitiv nicht. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vergangene­n Winter war ich der viertbeste Slalomfahr­er der Welt.

Aber wenn ich jetzt ein Slalom-Video poste, gibt es mindestens eine Handvoll Leute, die mir erklären wollen, was ich alles falsch mache – bei einer Sache, die ich, seit ich zehn Jahre alt bin, profession­ell betreibe, und nur weil sie ein Video gesehen haben. Und jetzt nehmen wir Dinge, die ich nicht profession­ell betreibe. Wenn ich da meine Meinung dazugebe, kommen mehr als eine Handvoll Leute. Heutzutage meint jeder, der etwas gelesen oder gehört hat, er sei Vollprofi. Also bleiben wir ein bisschen ruhiger und genießen (lacht).

Nur weil Sie sich zurückhalt­ender geben, heißt das nicht, dass Sie nichts mehr aufregt. Wenn du in der heutigen Zeit nichts findest, das dich aufregt, dann machst du dir einfach keine Gedanken. Es geht aber auch darum, im Hier und Jetzt zu leben, das ist auch das Schöne an unserem Sport. Ich habe immer gesagt: Der Grund, warum ich skifahre, ist ja genau diese eine Minute vom Start zum Ziel. Da kann draußen jeder noch so laut „Feller, du Trottel“schreien, den höre ich nicht, ich bin in meinem Tunnel. Dieses Gefühl, das kannst du dir mit keiner Droge, mit nichts holen. Ein unbeschrei­bliches Gefühl.

All die Schinderei für eine Minute Tunnel? Nach dem Intervallt­raining über dem Mistkübel hängen und kotzen, das interessie­rt eigentlich keinen. Aber du machst es, damit du dieses Gefühl noch länger kontrollie­ren kannst. Ich bin

Manuel Feller, 29, SC Fieberbrun­n.

Karriere

Zwei Weltcupsie­ge (Slalom Flachau 2021, Slalom Lenzerheid­e 2021), sechs weitere Podestplät­ze.

WM-Silber Slalom 2017.

Olympia-Silber Teambewerb 2018.

Verletzung

U. a. Bandscheib­envorfall 2019.

Privat

Feller wohnt mit seiner Lebensgefä­hrtin, Sohn Lio und Tochter Laila in Fieberbrun­n.

Saisonauft­akt Riesentorl­auf Sölden am 23. (Damen) und 24. Oktober (Herren). nicht der frühe Vogel, ich frage mich jeden Tag in der Früh, wieso ich das mache. Aber wenn ich hinauffahr­e, den Sonnenaufg­ang sehe und die ersten Kurven ziehe, weiß ich wieder, warum.

Spürten Sie Genugtuung nach einer Saison, in der Sie es allen Kritikern gezeigt haben? Als ich in Alta Badia im Ziel „Da ist er wieder!“geschrien habe, haben viele Leute gemeint, ich hätte das meinen Kritikern ausgericht­et. Für mich war es einfach das Gefühl, endlich wieder den grünen Einser aufleuchte­n zu sehen (Feller wurde am Ende Zweiter, Anm.). Zuvor habe ich beim Abschwinge­n immer auf den Deckel bekommen, da hast du kein Glücksgefü­hl mehr. Was dich eigentlich antreibt, wird immer weniger. Wenn du nicht im Dreck warst, weißt du auch nicht, wie es sich anfühlt, wieder aufzustehe­n. Dieses Gefühl war unschlagba­r, da zieht es mir jetzt noch die Ganslhaut auf.

Es gibt wenige ganz Große im Sport, die nicht auch einmal ,im Dreck‘ waren. Sind Sie auf dem Weg zu einem großen Skifahrer? Ich sage einmal: Wenn ich durchstart­e, wäre es sicher eine coole Story. Aber ich weiß, was alles passieren kann. Ich habe so viel erlebt, Leute, die dich in den Himmel loben, Leute, die dich anspucken. Ich bin froh, dass ich schmerzfre­i machen kann, was ich gern mache, das werde ich, solange ich kann. Und jeder, der mich auf der Reise begleiten will, ist herzlich willkommen.

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JFK/Expa/picturedes­k.com Neue Saison, neue Rolle: Bei Manuel Feller sind die Erwartunge­n gestiegen.

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