Ein Kraftakt voller Eleganz
Als erster österreichischer Weltcupgesamtsieger an den Ringen tritt Turner Vinzenz Höck bei der WM an. Wie sich sein eigener Blick auf den Körper von dem der anderen unterscheidet und was er als besondere Wertschätzung erlebt. »Je mehr man etwas kann, umso besser möchte man es machen.«
Ein sehr guter Turner. Er kann 2024 in Paris eine Medaille gewinnen.“Er, das ist Vinzenz Höck. Und die Einschätzung stammt von Morinari Watanabe, der als ehemaliger Sportlehrer und Trainer sowie nun als Präsident des Turn-Weltverbandes (FIG) durchaus Expertise mitbringt. „Eine Ehre. So eine Ansage habe ich noch nie bekommen. Ein Fünkchen Wahrheit steckt sicher drin“, sagt der Gelobte. Von den Leistungen des Wahl-Innsbruckers an den Ringen hatte sich der FIG-Chef aus Japan zuvor beim Weltcup in Koper mit eigenen Augen ein Bild gemacht. Dort gewann Höck, es war sein insgesamt vierter Sieg seit der historischen Premiere im November des Vorjahres. Als erster heimischer Disziplinensieger im Weltcup reiste der 25-Jährige somit zur WM diese Woche in Kitakyu¯shu¯ an. „Das bedeutet ganz andere Ansprüche an sich selbst als bei der ersten WM. Die Ambitionen sind andere, aber auch realistische. Die Anspannung ist also größer, die Vorfreude nicht kleiner.“
Mit der historischen Dimension dieser Erfolge konnte jene der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht mithalten, dafür steht Turnen in Österreich zu sehr im Schatten der üblichen Platzhirschen. Höck berichtet dennoch von „relativ großer Resonanz“, regional sei sein Name inzwischen ebenso wie dem Weltverbandspräsidenten ein Begriff. Bis zu einem gewissen Grad mache sich die FIG das Leben selbst schwer, weil nicht alle Weltcups live zu sehen oder Ergebnisse nur schwer zu verfolgen seien. „Das finde ich total schade. Gerade jetzt hat man mit Corona so viel in Sachen Digitalisierung gelernt, und setzt das trotzdem nicht um.“
Für Höck sind aber ohnehin weder Preisgeld noch Schlagzeilen Antrieb oder Bestätigung für seinen hohen Aufwand, der nur dank der finanziellen Absicherung durch Bundesheer und Förderungen überhaupt möglich ist. „Es ist die innere Motivation, bei Wettkämpfen zu sehen, dass man Konkurrenten, die früher besser waren, jetzt schlägt“, sagt der Heeressportler. Als besondere Wertschätzung empfindet er es, wenn jüngere Kollegen zu ihm kommen und um Rat fragen. So wie zuletzt beim Weltcup in Ungarn ein junger Belgier. Denn Zusammenhalt und Austausch würden in der internationalen Turnfamilie nach wie vor sehr großgeschrieben. Auch Höck holt sich beim ein oder anderen Tipps, denn „je mehr man etwas kann, umso besser möchte man es machen“.
Wahre Größe. Die Ringe sind das Gerät, das die meiste Kraft verlangt. Genau das hat Höck, der immer schon ein athletischer Typ war, fasziniert. Als Königselement wird oft der Kreuzhang gesehen: Mit waagerechten Armen gilt es in absoluter Ruhe zu verharren, jeder Grad Anwinkeln der Schultern gibt wie Nachschwingen Abzüge. Eindrucksvoll, und doch nicht einmal annähernd die Höchstschwierigkeit (B-Wert in der Skala bis I). Insofern überraschen die Muskeln, die Höck trotz 1,67 m zur imposanten Erscheinung machen, nicht. An blöde Sprüche wegen seiner Körpergröße kann er sich nicht erinnern, auch weil er selbst nie damit gehadert hat. „Ich bin schon mein Leben lang klein, aber ich habe mich nie klein gefühlt“, erklärt der 25-Jährige. „Ich habe ein Auftreten und nehme auf andere Weise mehr Platz ein.“
Zumal es ohnehin keinen Prototypen eines erfolgreichen Turners gebe, sondern die optimale Figur für den eigenen Körperbau zu finden ist, wie
167 cm groß
Höck sagt. In seinem Fall zieht der Oberkörper eben im Sommer Blicke im Freibad auf sich oder erschwert zum Teil den Kleidungskauf, für ihn aber bleibt er Mittel zum Zweck. „Äußerlichkeiten sind mir nicht wichtig. Ich habe eine enge Beziehung zu meinem Körper entwickelt, weil er mein wichtigstes Kapital ist.“Über seine Maße führt er nicht Buch, nur sein Gewicht (70 kg) behält er im Auge. Denn auf gutes Essen kann und will der passionierte Freizeitkoch nicht verzichten.
Die jüngst aufgekommene Diskussion um Ganzkörperanzüge, mit denen einige Turnerinnen bei den Olympischen Spielen gegen sexualisierte Blicke auf sie angetreten sind, konnte Höck nicht ganz nachvollziehen. Die Wahl eines langbeinigen Outfits sei schließlich schon lang erlaubt gewesen und bei der letzten WM von einer Athletin aus Katar auch demonstriert worden. Ganz glücklich ist allerdings auch er mit den Kleidungsvorschriften des Weltverbandes nicht, denn der hautenge Einteiler ist „nicht das komfortabelste Stück“, weshalb er im Training lieber zu kurzer Hose und Leiberl (im Wettkampf nur bei Boden und Sprung erlaubt) greift. Ob nicht schon das Grund genug wäre, das Regelwerk zu adaptieren und einfach den Tragenden mehr Wahlmöglichkeiten zur Verfügung
zu stellen? „Vielleicht schaut es so eleganter aus. Ich bin es gewöhnt, alle haben es an, deshalb habe ich mir darüber noch keine großen Gedanken gemacht.“
Auf Instagram gibt Höck Einblick in seinen Alltag, in Maßen wie er sagt. Auf bis zu 5000 Views kommen seine Clips, internationale Stars wie der
Mehrkampf-Olympiadritte Nikita Nagorny zählen auf ihren YouTube-Kanälen fast das 70-fache an Abonnenten. Auch Österreichs bester Turner ist großer Fan des Russen. „Ich schaue gern, was die Konkurrenz macht, das motiviert mich im Training. Und seine Videos sind so gut, dass ich sie schaue, obwohl sie auf Russisch sind.“Die Selbstvermarktung sieht Höck dennoch als „zweischneidiges Schwert“, weil der Aufwand genau wie die Gefahr, den Fokus zu verlieren, groß sei.
Bei Nagorny oder dem italienischen Ringe-Vizeweltmeister Marco Lodadio würde es Höck – stabile Coronasituation vorausgesetzt – auch interessieren, einmal gemeinsam vor Ort zu trainieren, so ähnlich wie das 2019 mit Eleftherios Petrounias der Fall war. Damals schaute der Grieche (Olympiagold 2016, dreimaliger Weltmeister) auf seinem Comeback-Weg in Innsbruck vorbei. Voraussetzung für diese Kooperationen ist das kollegiale Miteinander, denn viel Spielraum für Tarnen und Täuschen bleibt nicht. „Im Wettkampf kann man auf die Routine zurückgreifen, im Training aber kann man nicht viel verstecken.“
Ungeduld der Spezialisten. Damit Höck die Ansage des Weltverbandspräsidenten in drei Jahren in Paris umsetzen kann, sind nicht nur Leistungen zu erbringen, sondern kommt es auch auf den Qualifikationsprozess an. Bislang waren Mehrkämpfer klar im Vorteil, das ÖTV-Ass musste deshalb in Tokio zuschauen, obwohl die Punktemarke für das Finale in Reichweite gewesen wäre. Künftig möchte die FIG auch Spezialisten ohne Team den Weg zu Olympia vereinfachen und mehr Plätze über die Weltcuprangliste vergeben. Offiziell aber ist bislang noch nichts. „Ein bisschen ungeduldig bin ich. Dass es grundsätzlich kompliziert ist, finde ich spannend. Vielleicht bin ich freakig, aber es macht mir Spaß, Szenarien auszudenken“, sagt Höck.
Der muskulöse Körper als Mittel zum Zweck: »Er ist mein wichtigstes Kapital.« »Vielleicht bin ich freakig, aber es macht mir Spaß, Szenarien auszudenken.«
Diese WM wird jedenfalls nicht in den Berechnungszeitraum fallen, und ist für Höck der letzte Kraftakt nach einer langen Saison ohne wirkliche Sommerpause. „Ich habe quasi durchtrainiert und merke, dass es lang wird“, sagt der 25-Jährige. Er habe deshalb Erholungsphasen eingeschoben, dass die Formkurve jetzt wieder nach oben zeigt, stimmt ihn positiv. Auch als Weltcupgesamtsieger ist die Finalteilnahme das erklärte Ziel. Dann sei auch eine Medaille möglich. „Das ist ein neuer Wettkampf, in dem man über sich hinauswachsen muss, da passieren auch mehr Fehler.“Es wäre das allererste WM-Edelmetall für Österreichs Männer, und erst das vierte insgesamt. 1950 gewann Gertrude Kolar Gold am Stufenbarren, Silber im Sprung und Bronze im Mehrkampf.
Bevor sich Höck nach der WM einmal ein bis zwei Wochen ohne Turnhallenbesuch gönnt („Das halte ich aus“) gilt es in Japan noch einmal in der Blase zu leben, die Regeln sind inzwischen strenger als bei Olympia. „Es ist anstrengend, aber trotzdem sieht man beim Blick aus dem Bus andere Sachen, schon allein wegen der anderen Straßenseite“, sieht Höck das pragmatisch. „Sushi und Ramen kann man sich zur Not auch ins Hotel liefern lassen.“Kitakyu¯shu¯, die Ein-MillionenStadt an der Nordspitze der südlichsten der vier Hauptinseln, ist nicht nur Ersatzort für Kopenhagen, sondern auch Heimat des FIG-Präsident Morinari und des dreimaligen Olympiasiegers und zehnmaligen Weltmeisters Ko¯hei Uchimura. Die weltbesten Turner an einem Ort vereint, das sei für ihn Anreiz mehr als genug. Vinzenz Höck gehört selbst ganz vorn dazu.