Wenn Frauen in den Krieg ziehen
Mit ihrem opulenten Roman »Der Schattenkönig« setzt Maaza Mengiste den vergessenen Kämpferinnen gegen das faschistische Italien im Abessinien-Krieg ein Denkmal.
Äthiopien, 1935: Das faschistische Italien marschiert ins damalige Abessinien ein. Mit Zehntausenden hochgerüsteten Soldaten will Italiens Diktator Benito Mussolini das ostafrikanische Reich unterwerfen, es soll ein Höhepunkt der europäischen Kolonialfeldzüge werden. Sie treffen auf schlecht ausgestattete äthiopische Kämpfer, die sich mit altmodischen Gewehren zu verteidigen versuchen. Die Moral ist am Boden, als sich Kaiser Haile Selassie nach Großbritannien ins Exil absetzt. Das ist der historische Hintergrund, vor dem Maaza Mengiste ihren Roman „Der Schattenkönig“entspinnt.
Der Schattenkönig selbst ist, anders als der Titel vermuten lässt, in dem Werk eher eine Randfigur. Er steht für eine Kriegslist, die bei den demoralisierten äthiopischen Truppen im Verlauf des italienischen Feldzugs neuen Kampfesmut wecken soll: Eine kleine Gruppe Soldaten verwandelt einen ihrer Gefährten in einen Doppelgänger des geflohenen Kaisers. Diese Figur – in Wahrheit ein Mann namens Minim, was „Nichts“bedeutet – taucht auf den Schlachtfeldern auf und motiviert durch sein Erscheinen die Kämpfer. Der Trick wirkt: Die Äthiopier jubeln, Mut und Zuversicht kehren zurück.
Krieg als Wendepunkt. Im Mittelpunkt des Romans steht hingegen eine andere Person: Hirut, eine junge Frau, die beide Eltern verloren hat. Sie arbeitet bei dem reichen Ehepaar Kidane und Aster unter sklavenähnlichen Bedingungen als Dienstmädchen. Während die unglückliche Gattin sie misshandelt, verhehlt der herrische Ehemann kaum sein sexuelles Interesse an der jungen Magd. Der Überfall der italienischen Faschisten wird für die drei zum Wendepunkt ihres Lebens.
Zunächst ist es Aster, die Herrin Hiruts, die sich nicht damit abfinden will, zu Hause zu sitzen, während ihr Mann in den Krieg zieht. Sie will einen Beitrag leisten, ruft die Menschen in ihrer Umgebung zum Widerstand auf und folgt ihrem Mann schließlich an die Front. Auch Hirut beschließt, Soldatin zu werden. Mit der Entwicklung hin zur Kämpferin findet sie – trotz aller Brutalität, der sie ausgesetzt wird – aus ihrem Opferstatus heraus.
Maaza Mengiste Der Schattenkönig
Übersetzt von Brigitte Jakobeit und Patricia Klobusiczky dtv-Verlag
576 Seiten
25,70 Euro
Die kaum beachtete Rolle der äthiopischen Frauen in diesem Krieg hat für die Autorin auch eine persönliche Komponente: Erst spät fand die in Äthiopien geborene Mengiste heraus, dass auch ihre Ururgroßmutter in den Kampf gegen die Italiener gezogen war. Mit ihrem Roman will Mengiste den vergessenen Soldatinnen ein Denkmal setzen: „Der Schattenkönig erzählt die Geschichte dieser äthiopischen Frauen, die an der Seite von Männern kämpften und bis heute nur als verirrte Zeilen in vergilbten Dokumenten erscheinen“, schreibt sie. „Die Geschichte vom Krieg war immer eine männliche, aber das galt nicht für Äthiopien, und es traf auch nie für andere Formen der Auseinandersetzung zu. Frauen waren immer da, wir sind auch jetzt da.“
Ein Held namens „Foto“. Auch eine Reihe männlicher Figuren porträtiert die Autorin in all ihrer Widersprüchlichkeit: Da ist ein sadistischer italienischer Kommandant, der wahllos Zivilisten in eine Schlucht werfen lässt, um den Widerstand seiner Gegner zu brechen, aber den Reizen einer äthiopischen Edelprostituierten (und Spionin) erliegt. Oder es gibt „Foto“, einen Fotografen unter den italienischen Soldaten, der die grausamen Kriegsverbrechen seiner Mitstreiter dokumentiert und aufgrund seiner jüdischen Herkunft selbst zum Opfer wird.
Mengiste erzählt ihre Geschichte des Abessinien-Krieges bildgewaltig und in atemlosem Tempo. Eine Kampfhandlung jagt die nächste, Gewalttaten wie die brutale Hinrichtung eines jungen Äthiopiers durch die Italiener führt sie bis zur Grenze des Erträglichen aus. Unterbrochen werden die Schilderungen durch kurze Rückblicke in die Vergangenheit einzelner Figuren und einen Chor, der Heldinnenlieder singt.
Mengiste ist mit „Der Schattenkönig“ein großartiger Roman gelungen, den man nicht aus der Hand legen kann. Und der einen doch mit der Ahnung zurücklässt, dass die Grausamkeit des wirklichen Abessinien-Krieges auch diese Geschichte übersteigt.