Ausgelaugte Pädagoginnen:
Die Elementarpädagoginnen sind durch die Pandemie am Limit. Sie können und wollen nicht mehr unter so schlechten Rahmenbedingungen Bildungsarbeit für Kinder leisten. Die Forderungen sind seit Jahren bekannt. Warum tut sich da so wenig?
Anna Berger (Name geändert) hat die Demonstration an jenem Samstag mit einem schlechten Gefühl verlassen. Vor neun Jahren war die Elementarpädagogin mit ihrem eigenen Kind auf den Schultern auf der Wiener Demo mitgegangen. „Es war laut, es hat gut gestartet, es waren viele da“, sagt die Leiterin eines Kindergartens in Wien mit rund 80 Kindern heute. „Aber das Ende war ein Drama.“Eingezwickt zwischen Häuserfronten hat sie das Ende der Demo erlebt. „Als hätten sie uns ins letzte Eck verfrachtet, damit uns niemand sieht.“Und genauso sei es auch passiert. „Im Grunde ist es ein Elend. Weil sich nichts verändert hat.“
Neun Jahre ist es her, seit die Kindergartenpädagoginnen in einer großen Demo laut auf ihre prekäre Situation aufmerksam machten und die „Presse am Sonntag“groß darüber berichtete. Doch damals waren die Kindergärten nicht geschlossen. „Während die Lehrergewerkschafter einen ähnlichen Aufstand wohl an einem Vormittag mitten in der Schularbeitszeit angesetzt hätten (...), haben sich die Kindergärtnerinnen entschieden, am Wochenende zu demonstrieren. In ihrer Freizeit. Während alle Kindergärten geschlossen sind. Damit auch sicher niemand das Fehlen der Pädagoginnen bemerkt. Tja“, schrieb „Die Presse“in einem Leitartikel.
Neun Jahre später haben sie es sich anders überlegt. Die Elementarpädagoginnen (wie man mittlerweile sagt) sind auf die Straße gegangen, um sich für ihre Forderungen stark zu machen. Gleich zwei Mal. Am Dienstag die Angestellten der Wiener Privatkindergärten, am Donnerstag die der städtischen Kindergärten. Und dieses Mal mussten Kindergärten zusperren.
Anna Berger, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, weil sie frei sprechen möchte, ist auch dieses Mal wieder mitgegangen. Die Forderungen, sagt sie, seien im Grunde die gleichen wie damals: Am Pädagogin-pro-Kind-Schlüssel „hat sich nichts geändert, an der Bezahlung, an den Rahmenbedingungen auch nicht“. Im Gegenteil, es gebe noch weniger Absolventen der Bafeps (Bildungsanstalt für Elementarpädagogik), wie die Ausbildungsstätten mittlerweile heißen, die sich für einen Job im Kindergarten entscheiden.
Der Alltag im Kindergarten ist herausfordernd. In Wien etwa müssen laut Gesetz bisher ein Pädagoge und eine halbe Stützkraft 25 Kinder betreuen. Bei unter Dreijährigen liegt der Schlüssel bei 1:15. Die Pädagogen selbst fordern seit Jahrzehnten einen Fachkräfteschlüssel mit sieben (!) Kindern pro Pädagoge. Bei Kindern unter drei Jahren wäre der Schlüssel bei 1:3.
Wer tut sich das an? Das führt dazu, dass die meisten Kindergärten chronisch zu wenig Personal haben. Denn zwar gibt es Hilfe durch KindergartenAssistentinnen, doch die müssen etwa in städtischen Kindergärten in Wien auch Putzarbeit leisten. Heißt, ihre Stunden kommen nicht komplett den Kindern zugute. Hinzu kommen schlechte Bezahlung und schlechte Job-Rahmenbedingungen. So kommt das System, das von jeher am Limit ist, sehr schnell ins Wanken.
Jeder gehe ohnehin schon an seine persönlichen Grenzen, erzählt Kindergartenleiterin Berger, aber wenn man kein Personal mehr habe, dann könne man Gruppen nicht mehr aufteilen. „Dann wird der Kindergarten wirklich nur mehr zu einer Aufbewahrungsstätte, dann ist keine Bildung mehr möglich.“Zum Nachteil der Kinder. „Ich kann keine Konflikte mehr begleiten, kann Kinder nicht mehr sehen, kann nicht im hinteren Raum sein, weil ich im vorderen bin und wenn dann die Kinder auch noch die Kastanienbox ausschütten, dann ist es einfach manchmal so, dass auch wir an unsere Grenzen kommen.“
Das würden die Kinder auch spüren. „Dann kommen die Eltern und sagen: ,Mein Kind ist so geladen, warum ist es nicht ausgeglichen?’“Das frustriere Kinder, Eltern wie Pädagogen, die ja wissen würden, was sie leisten könnten, wenn sie denn nicht so viele Kinder gleichzeitig betreuen müssten.
„Der Knackpunkt ist wirklich das Personal“, sagt Berger. Und: „Viele gehen in Teilzeit, weil sie die 40 Stunden nicht schaffen. Die sagen, ich muss mich schützen, ich reduziere. Ich schaffe den erhöhten Lärmpegel und die erhöhte Konzentration nicht.“Nachsatz: „Dabei ist es so ein erfüllender Beruf, wenn alles rennt.“
Am Limit, körperlich und geistig. Auch Elisabeth Omerzu kennt diese Situationen. Auch sie leitet einen Kindergarten mit 130 Kindern. „Wir haben eine Personalsituation wie vor 30 Jahren“, klagt sie. Wir waren vorher schon am Limit, aber Corona hat uns zur körperlichen Erschöpfung gebracht.“
Doch während alle über die Schule sprachen, wurde kaum über Kindergärten berichtet. Überhaupt fühlt sie sich gegenüber Lehrern benachteiligt. Denn während Volksschullehrer etwa eine Lehrverpflichtung von 22 Stunden haben und der Rest Vorbereitungszeit ist, haben Elementarpädagoginnen je nach Trägerorganisationen nur wenige
Neun Jahre später: » Im Grund ist es ein Elend. Weil sich nichts verändert hat.« »Dann wird der Kindergarten wirklich nur mehr zur Aufbewahrungsstätte.«
Stunden pro Woche dafür Zeit. Die Vorbereitung für die Projekte und die Woche finde daher oft in der Freizeit statt. Gleichzeitig werde der Anspruch und administrative Aufwand immer höher.
Dass das System so lang gehalten habe, sei auf die Pädagoginnen zurückzuführen, die ihre eigenen Bedürfnisse „für die Kinder“permanent zurückstellen. Sie verlegen den Urlaub, verzichten auf Freizeit, sogar auf Zeit mit der eigenen Familie. „Wenn ich als Mutter überlege, ob ich meinen Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte vorlese oder ein Eltern-Gespräch vorbereite, dann sagt das alles.“Nachsatz: „Es sind so großartige Kolleginnen, die das alles ausgleichen. Aber irgendwann fehlen einem die Ressourcen.“
Denn in der Praxis könne man nie mit dem vollständigen Personal rechnen. Es ist wie in jeder Firma, immer ist irgendwer krank, muss Überstunden abbauen, ist auf Urlaub, auf Fortbildung oder in Mutterschutz. „Nur, wo ziehe ich jemanden ab, wenn schon eine Pädagogin 25 Kinder betreut?“, sagt sie. Also wird flexibel agiert, Gruppen in Sammelgruppen zusammengelegt. Manchmal müssen die Kinder an einem Tag mehrmals die Gruppe wechseln. Oft zum Unmut dieser, weil sie im Spielen gestört werden. „Wir jonglieren die ganze Zeit. Wir schreiben am Freitag erst einen Dienstplan, weil wir nicht wissen, was nächste Woche sein wird.“Oft wird der Dienstplan am Tag bis zu zwei Mal korrigiert. „In der Praxis“, sagt sie, „zahlen die Kinder die Rechnung.“
Ein Beispiel: Sie wollte mit den Kindern Kuchen backen. Weil derzeit aber nur eine Assistentin da sei statt drei, und die nicht mehr wisse, wie sie das Mittagsgeschirr wegspülen soll, hat sie das Vorhaben zurückgezogen. „Damit nehme ich den Kindern Bildungsarbeit weg.“Ein anderes Beispiel: „Ich musste zuletzt einen Ausflug nach Schönbrunn absagen, weil ich zu wenig Personal hatte. Eine Kollegin war auf Urlaub, eine andere krank. Also haben wir nur einen Spielplatz in der Nähe besucht.“Und noch ein Beispiel hat sie, das allerdings schon länger zurückliegt: Bei ihrem alten Arbeitgeber hat der Kindergarten „einen wahnsinnig tollen Assistenten“verloren. Der verdiente in seiner Ausbildung bei den Wiener Linien mehr. „Er musste seine Familie ernähren.“
Bei solchen Bedingungen können Probleme über- oder zu spät gesehen werden. „Man kann es gar nicht vermeiden. Gerade bei introvertierten Kindern kann das passieren, weil sie gut mitfunktionieren.“
Vor neun Jahren
protestierten Elementarpädagoginnen in Wien im großen Stil. Seither hat sich nicht viel an ihrer Situation geändert.