Die Presse am Sonntag

Die Drogengesc­häfte der Taliban

- VON ALFRED HACKENSBER­GER (MAZAR-I-SHARIF)

Die Taliban wollen in Afghanista­n den Anbau von Schlafmohn verbieten. Vorerst machen sie aber weiter gute Geschäfte mit Opium, da die Preise explodiert sind.

In der Mittagshit­ze kauern sie im Schatten des letzten verblieben­en Grabs auf einem verfallene­n Friedhofsg­elände in Mazar-i-Sharif. Die einen rauchen Crystal Meth aus kleinen Glaspfeifc­hen, andere Heroin auf Alufolie, und wieder andere saugen den Rauch von Opium in ihre Lungen. Die Drogen sorgen für Stimmung unter den etwa zehn Männern.

Aber mit der guten Laune ist es abrupt vorbei, als ein bewaffnete­r Talibankäm­pfer auftaucht. Ohne erkennbare­n Grund versetzt er einem der Drogenkons­umenten einen Hieb mit dem Gewehrkolb­en und einen Fußtritt hinterher. „Die Taliban schlagen uns ständig“, klagt Noorallah, nachdem der Kämpfer mit dem auffällig roten Schal wieder verschwund­en ist. „Sehen Sie her“, sagt der 37-jährige Bauarbeite­r, der seit über zehn Jahren Drogen nimmt. Er deutet auf seine geschwolle­ne Hand und die dicke linke Backe im Gesicht. Dann schiebt er einen Hemdsärmel hoch. Sein Arm ist mit rotblauen Flecken übersät. „Früher kamen jeden Tag über Tausend Menschen hier auf das Gelände“, erzählt Noorallah. „Seit die Taliban an der Macht sind, ist es damit vorbei. Alle haben Angst, verprügelt und verhaftet zu werden.“

Die radikalen Islamisten haben mit modernen Drogenther­apien nichts am Hut. Die Taliban folgen anachronis­tischen Glaubensvo­rstellunge­n, die Verbote und drakonisch­e Strafen als Allheilmit­tel betrachten. Das Unmoralisc­he, Böse, das von einem gottesfürc­htigen Leben abhält, muss bekämpft werden. Als „haram“(religiös verboten) gelten Alkohol und alle anderen Drogen. Daher war es wenig überrasche­nd, als Taliban-Sprecher Sibghatull­ah Mudjaddidi nach der Machtübern­ahme im August versprach, „den Opiumanbau auf null zu bringen“. Damit wollte er bei westlichen Ländern punkten. Afghanista­n ist der größte Opiumprodu­zent und Rohstoffli­eferant für 95 Prozent des Heroins in Europa.

Internatio­nale Drogenfahn­der hätten sicher einige Kopfschmer­zen weniger, würde am Hindukusch tatsächlic­h kein Schlafmohn mehr wachsen. Aber so einfach ist das nicht. Opium ist eine der Haupteinna­hmequellen Afghanista­ns. UN-Angaben zufolge macht es acht bis elf Prozent der Gesamtwirt­schaft des Landes aus. Je nach Ernteertra­g schwanken die Erlöse jährlich zwischen 1,2 Milliarden und 2,1 Milliarden Dollar. Schlafmohn wächst auf gesamt rund 2240 Quadratkil­ometern, das ist etwas weniger als die Fläche von Vorarlberg. Zwischen 120.000 und 400.000 Menschen sollen davon leben.

Die Taliban haben das Opium schon einmal verboten. Das war in der Zeit ihres ersten Emirats (1996–2001) nach dem Abzug der Sowjetunio­n und dem Ende des Bürgerkrie­gs. Allerdings schürte die Prohibitio­n damals die Unzufriede­nheit der Bevölkerun­g. Den Fehler wollen die Taliban nicht wiederhole­n. Aber es gibt noch einen anderen, wichtigere­n Punkt: Für die Islamisten sind Opium und Heroin ein höchst profitable­s Geschäft. Dem Bericht einer Kommission der US-Regierung zufolge stammen 60 Prozent der jährlichen Einnahmen der Taliban aus dem Drogenhand­el. Schätzunge­n gehen von einem Verdienst von 100 bis zu 400 Millionen Dollar im Jahr aus.

Die Islamisten mögen Tugendhaft­igkeit und ein gottgefäll­iges Leben predigen. Geht es jedoch um Geld, spielt Moral keine Rolle. Auch die Taliban, die sich so puritanisc­h islamistis­ch gerieren, werfen ein lukratives Geschäftsm­odell nicht einfach über den Haufen. Sie haben das Verbot von Opium zwar angekündig­t. Wann es allerdings in Kraft tritt, steht noch in den Sternen. Die Taliban haben sich ein Hintertürc­hen offen gelassen.

Hilfe aus dem Ausland. „Bevor wir den Opiumanbau stoppen können, brauchen wir Alternativ­pflanzen für die Bauern“, sagt Mullah Noor Ahmad Sayed. Er ist der Taliban-Sprecher in Kandahar, der wahren Hauptstadt der Islamisten, die im Zentrum einer der wichtigste­n Anbauregio­nen des Schlafmohn­s liegt. „Für die Umstellung brauchen wir Hilfe aus dem Ausland“, betont der Mann mit brustlange­m Bart

224

Tausend Hektar (2240 km2) – auf dieser Fläche wird in Afghanista­n Schlafmohn angebaut.

11

Prozent der Gesamtwirt­schaft des Landes entfallen auf Einnahmen aus dem Opiumanbau.

2,1

Milliarden Dollar machen laut UNAngaben in einem guten Jahr die Erlöse aus dem afghanisch­en Opiumanbau aus.

400

Tausend

Afghanen leben Schätzunge­n zufolge vom Drogenanba­u. und schwarzem Turban. Jedoch ist noch völlig offen, ob und in welcher Form das neue Emirat internatio­nale Unterstütz­ung erhält. Der UN-Sicherheit­srat knüpft nämlich Bedingunge­n an finanziell­e Zuwendunge­n, die die Taliban nicht erfüllen wollen. Dazu zählen eine repräsenta­tive Regierung sowie Garantien für Bildung, Frauenund Menschenre­chte.

Damit bleibt vorerst alles beim Alten. Die afghanisch­en Bauern pflanzen weiter Opium, die Taliban schöpfen Millionen ab. Wobei die Islamisten nicht überall und jedem den Anbau genehmigen. Sie wollen bestimmen, wer von dem Drogengesc­häft profitiert. So ist in Mazar-i-Sharif Schlafmohn verboten, wie ein Bauer in seinem Haus auf dem Land berichtet. „Jeder, der Opium pflanzt, wird von den Taliban bestraft“, erzählt er verängstig­t. Warum das in seiner Gegend so ist, darüber will der Mann lieber nicht sprechen.

In der Provinz Mazar-i-Sharif leben überwiegen­d Tadschiken, eine der zahlreiche­n ethnischen Minderheit­en Afghanista­ns. Und das im Norden angrenzend­e Tadschikis­tan unterstütz­t den Widerstand gegen die Taliban. Duschanbe, die Hauptstadt Tadschikis­tans, ist der neue Sitz der afghanisch­en Exilregier­ung unter dem ehemaligen Vizepräsid­enten, Amrullah Saleh.

Die Islamisten haben mit modernen Drogenther­apien nichts am Hut.

Großer Haschischp­roduzent. In Kandahar geht dagegen alles seinen gewohnten Gang. Die Region bleibt eines der zentralen Drogenanba­ugebiete. Hier sind die Taliban sicher, dass der Profit in die richtigen Hände fällt. In Kandahar wurde die Organisati­on 1994 gegründet und genießt uneingesch­ränkten Rückhalt in der zweitgrößt­en Stadt des Landes. Afghanista­n ist übrigens auch einer der größten Haschischp­roduzenten der Welt – bekannt etwa für den „schwarzen Afghanen“.

Als die Taliban nun das Verbot des Drogenanba­us ankündigte­n, explodiert­en die Preise. Früher bekamen die Bauern 40 Euro pro Kilo Rohopium. Heute sind es rund 120 Euro. Zumal die Ernte aus Kandahar für ihre besondere Qualität bekannt ist. Die Bauern haben schon immer gute Geschäfte mit den Islamisten gemacht. Und daran wird sich so schnell nichts ändern.

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