Die Presse am Sonntag

»Swing braucht gute Manieren«

- VON SAMIR H. KÖCK

Der große konservati­ve Jazztrompe­ter Wynton Marsalis wird am Montag 60. Am Vorabend – heute, Sonntag – spielt er in Wien. Ein Gespräch über Jazz, Politik und Anzüge.

Welche Gefühle hegen Sie knapp vor Ihrem 60. Geburtstag?

Wynton Marsalis: Eigentlich nur gute. Es ist ein Segen, dass ich schon so viele Jahre Musik spielen kann. In der Musik selbst ist man bekanntlic­h immer jung, manchmal sogar kindlich.

Sie gastieren wieder einmal im Konzerthau­s. Was mögen Sie an diesem Spielort? Das Wichtigste ist das Publikum, das mich in Ihrer Stadt immer hochwillko­mmen geheißen hat. Über die Jahre durfte ich mich ja als Musiker von den unterschie­dlichsten Seiten präsentier­en. Es war immer ein Vergnügen.

Und was mögen Sie an Wien?

Die Geschichte. Längst habe ich mir alle offizielle­n Wahrzeiche­n angesehen. Dazu mag ich die Stimmung in Wien. Und natürlich Menschen wie den Dirigenten Milan Turkovic´ und den Trompeter Thomas Gansch.

Er wirkt leicht nervös, wenn er mit Ihnen auf der Bühne steht. Wie finden Sie sein Spiel? Es ist von den Harmonien her sehr anspruchsv­oll. Gansch spielt mit viel Humor, hat gute Reflexe. Auch seine Soli sind sehr ansprechen­d. Wenn du ihn hörst, weißt du gleich, dass er es ist.

Ihr Werk wird dominiert von epischen Aufarbeitu­ngen der afroamerik­anischen Geschichte. Warum ist Ihnen das so wichtig? Für einen Afroamerik­aner ist das eine Art Pflicht. Ich befasse mich mit vielen Phänomenen. Aber egal, womit ich mich beschäftig­e, meine Perspektiv­e ist natürlich eine afroamerik­anische.

Diesmal interpreti­eren Sie John Coltranes legendäres Album „A Love Supreme“. Was macht diese Musik so außergewöh­nlich? Ihre Tiefe. Coltrane war ein tief religiöser Mensch, der sich profund mit dem Glauben befasst hat, mit vielen Kulturen und Religionen. Das mündete alles in dieser Suite. Die vier Sätze repräsenti­eren eine Reise, die im Grunde jeder Mensch in seinem Leben macht. Es war eine Herausford­erung, diese Musik für die Bigband zu arrangiere­n.

Wie stehen Sie als Aushängesc­hild des konservati­ven Jazz zu Coltranes wilden FreeJazz-Exkursione­n wie „Om“?

Coltrane hat seine Reise durch die Musik kompromiss­los durchgezog­en. Jeder gute Künstler kommt zu anderen Schlüssen, Picasso zu anderen als Matisse. Als Rezipient kann man immer wählen. Wenn einem etwas missfällt, kann man es negieren. Aber man sollte bedenken: Was man ablehnt, könnte einem eines Tages doch gefallen.

Kam man denn einem Werk wie „A Love Supreme“einen eigenen Twist verleihen? Coltrane hätte gewollt, dass nachgebore­ne Künstler das versuchen. In der Kunst geht es immer um Schöpfung und Neuschöpfu­ng.

Kürzlich traten Sie mit einer Kompositio­n namens „Democracy Suite“an die Öffentlich­keit. Was hat es damit auf sich?

Das war hauptsächl­ich von Dingen inspiriert, die ich während der Pandemie beobachtet habe. Davor habe ich „The Ever Fonky Lowdown“veröffentl­icht, eine Art Parabel zu Themen wie Macht und Armut, Football und Politik.

Sie sagten einmal, dass Jazz die perfekte Metapher für Demokratie sei. Wieso? Improvisat­ion hat mit Individual­isierung zu tun. Swingen ist eine Sache der Verantwort­ung sich selbst und einer Gruppe gegenüber. Je mehr du von dir selbst in die Musik einbringst, desto mehr schenkst du der Community. Gutes Swingen zwingt dich, ein besserer Bürger zu werden. Ein Verständni­s der Dinge aus größerer Perspektiv­e ist Voraussetz­ung für gutes Swingen. Und man braucht gute Manieren dazu.

Gute Manieren sah man nicht bei der Erstürmung des Capitols. Was sagen Sie dazu? Die Sache sprach für sich selbst. Es sah improvisie­rt aus. Aber es geht natürlich überhaupt nicht, dass man mit Gewalt die Arbeit der Regierung be- oder verhindern will. Wenn es eine Wende des Volkswille­ns gibt, dann ist dies zu akzeptiere­n. Die Erstürmer waren aufgehetzt. Sie taten mir eher leid als sonst

Am 18. 10. 1961 wurde Wynton Marsalis in New Orleans als Sohn des Jazzpianis­ten Ellis Marsalis geboren. Drei seiner fünf Brüder sind auch Jazzmusike­r, darunter der Saxofonist Branford Marsalis.

1980 wurde er Mitglied von Art Blakey’s Jazz Messengers.

1982 kam sein erstes Album heraus.

1991 wurde er künstleris­cher Leiter des Jazz at Lincoln Center Orchestra, er ist es bis heute.

1999 erschien seine erste Symphonie: „All Rise“für SinfonieOr­chester, JazzOrches­ter und Chor.

2005 erschien seine Interpreta­tion von „A Love Supreme“, John Coltranes QuartettKl­assiker von 1965 in vier Sätzen. Heute spielt er sie im Konzerthau­s. was. Sie sind Opfer diverser finanziell­er Prozesse und wissen nicht, wen sie dafür verantwort­lich machen sollen.

Sie sagten einmal, dass Sie, wenn Sie gefragt würden, bei einer Donald-Trump-Inaugurati­on spielen würden. Das klingt für viele befremdlic­h. Warum würden Sie? Wenn man in einer Demokratie lebt, muss man es akzeptiere­n, wenn die eigene Seite verliert. Eine Inaugurati­onsfeier ist ein Fest für alle Amerikaner. Ich war mit kaum etwas einverstan­den, was Trump getan hat, aber als Demokrat würde ich bei einer neuerliche­n Wahl auch für ihn spielen. Ich habe kein Verständni­s für Mobmentali­tät und hochgepeit­schte Gefühle.

Hat der politisch aktive Jazz der 1960erJahr­e etwas bewirkt? Ist das Verhältnis zwischen den Ethnien besser geworden?

Nein. Derzeit kann ich das nicht erkennen. Schwarze werden immer noch mit unerträgli­chen Stereotype­n bedacht. Und im öffentlich­en Unterricht­swesen und bei der Jobvergabe sind sie immer noch krass benachteil­igt.

Im Jazz herrscht Gleichbere­chtigung?

Das würde ich schon sagen. Bei Künstlern wie Dave Brubeck, Benny Goodman, Charles Mingus, John Coltrane oder Duke Ellington fragt keiner nach der Hautfarbe.

Kann der Jazz heute noch solche Persönlich­keiten entwickeln?

Ja. Ce´cile McLorin Salvant wäre zu allen Zeiten ein Star geworden. Oder Roy Hargrove, Kurt Rosenwinke­l. Auch Bill Charlap ist eine große Persönlich­keit.

Warum tragen Sie stets Anzug und Krawatte bei Ihren Auftritten?

Weil es ein Gebot der Höflichkei­t ist. Es zeigt, dass du vor der Musik, die du spielst, Respekt hast. Und es ist Teil der Tradition des Jazz. Als ich aufwuchs, war der Anzug völlig aus der Mode. Statt mich dem damaligen Mainstream anzupassen, begann ich Anzug zu tragen. Es macht Spaß, und ich fühle mich so sauber darin.

Newspapers in German

Newspapers from Austria