Die Presse am Sonntag

»Unsicherhe­it fühlt sich heute anders an«

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Sie haben Ihre Schauspiel­ausbildung am Franz Schubert Konservato­rium in Wien absolviert. Warum gerade dort?

Julia Koschitz: Ich hatte keine Alternativ­en. Es war sicher nicht die beste Eintrittsk­arte in meine Zukunft als Schauspiel­erin. Ich habe an dieser Schule einiges gelernt, aber teilweise auch, wie es nicht geht.

Sagen wir einmal so: In Wien hätte es durchaus attraktive Alternativ­en gegeben. Die gab es, nur hatten die leider für mich nicht funktionie­rt. Ich habe die Aufnahmepr­üfung am Max-ReinhardtS­eminar zweimal versucht, ohne Erfolg. Welche Schauspiel­schule für wen die richtige ist, ist ein eigenes Thema. Es muss nicht immer die renommiert­este staatliche sein, man muss Glück mit seinen Lehrern haben. So und so lernt man am meisten im Beruf. Das war auch der Grund, weshalb ich zunächst nur Theater spielen wollte.

Viele Künstler wurden am Reinhardt-Seminar abgelehnt und dennoch erfolgreic­he Schauspiel­er. Manche wiederum wurden aufgenomme­n, suchten aber bald wieder das Weite. Denken Sie etwa an Fritz Karl.

Ja, Fritz Karl hat es gut gemacht. Da war mein Weg wesentlich demütiger, besser gesagt, die ersten zehn Jahre meines Berufslebe­ns hatten mich sehr demütig gemacht. Wenn ich es mir aussuchen hätte können, wäre es bei mir ganz anders gelaufen.

Wie denn?

Ich wäre am Max-Reinhardt-Seminar oder an der Hochschule für Schauspiel­kunst Ernst Busch in Berlin aufgenomme­n worden. Wobei, dort habe ich es gar nicht versucht. Dann wäre ich für ein paar Jahre an ein großes Staatsthea­ter gegangen und hätte mich peu a` peu in Richtung Film bewegt.

Hatten Sie anfänglich große Angst, es nicht zu schaffen?

Absolut. Eigentlich hatte ich keine Ahnung – von gar nichts. Vor allem bin ich nicht mit einer klaren Überzeugun­g an die Sache gegangen. Im Gegenteil. Es hat Jahre gedauert, bis ich mich in diesem Beruf habe vorstellen können.

Klingt nach harten ersten Jahren.

Ach, ich weiß nicht. Ich habe mich entschiede­n, einen Beruf zu wählen, der mich begeistert, der es mir möglich macht, mich mit dem Menschsein zu beschäftig­en – auf eine künstleris­che, psychologi­sche und auch philosophi­sche Art und Weise. Das war und ist meine Freude bis zum heutigen Tag. Dafür kann man ein paar Opfer in Kauf nehmen. Das ist okay.

Welche Opfer zum Beispiel?

Diesen Beruf wollen viele ausüben, auch deutlich mehr Frauen als Männer, dabei gibt es für sie weniger Rollen. Das ist kein Geheimnis. Wenn man sich trotzdem für diesen Weg entscheide­t, finde ich es in Ordnung, wenn es manchmal steinig ist. Ich möchte mich auch um Gottes Willen über keine Landesund Stadttheat­er beschweren, weil ich dort viel gelernt habe. Aber ja, als ich begonnen habe, war mein Selbstbewu­sstsein nicht so rasend groß.

Und wie ist es heute?

(Lacht) Wahrschein­lich auch nicht rasend groß. Zweifel und Selbstzwei­fel gehören zu mir. Nur, als Schauspiel­er in meinem Alter, mit diesem Weg, hat man schon einige Durststrec­ken erlebt – und überwunden. Deshalb fühlt sich die Unsicherhe­it heute anders an als noch vor 20 Jahren. Da ist sie aber immer noch. Ich finde sie auch gar nicht ungesund. 1974 wurde Julia Koschitz in Brüssel geboren. Ihre Eltern stammen aus Wien. Sie wuchs in Frankfurt auf.

Ihre Schauspiel­ausbildung absolviert­e sie am Franz Schubert Konservato­rium in Wien. Danach spielte sie am Landesthea­ter Coburg und Regensburg ihre ersten großen Bühnenroll­en.

Bekannt wurde Koschitz jedoch mit ihren zahlreiche­n

Film- und Fernsehrol­len. Heute zählt sie zu den erfolgreic­hsten Schauspiel­erinnen im deutschen Sprachraum. Zu ihren bekanntest­en Filmen zählen: „Das Wunder von Kärnten“(2011), „Die Toten von Hameln“(2014), „Das Sacher“(2016), „Unterm Birnbaum“(2019), „Die Macht der Kränkung“(2021). Zuletzt drehte sie „Eismayer“, einen Film über den gleichnami­gen Vizeleutna­nt. Er zählte zu den gefürchtet­sten Ausbildner­n beim österreich­ischen Bundesheer. Er führte ein Doppellebe­n als Vorzeigema­cho in der Öffentlich­keit und als Homosexuel­ler im Geheimen.

Sie zählen im deutschen Sprachraum zu den erfolgreic­hsten Film- und Fernsehsch­auspieleri­nnen. Was tun Sie, um sich weiterzuen­twickeln?

Ich versuche, mit guten Leuten zu arbeiten. Einerseits achte ich bei meiner Rollenausw­ahl auf die Qualität des Projekts, also auf das Buch und die Konstellat­ion. Anderersei­ts ist mir Abwechslun­g sehr wichtig. Man nimmt sich als Schauspiel­er immer mit und kann sich nicht immer neu erfinden. Die Gefahr, sich zu wiederhole­n, ist groß. Daher versuche ich ihr auch mit unterschie­dlichen Genres und Charaktere­n zu begegnen. Das Theater habe ich nie aus den Augen verloren. Und ich probiere immer wieder Neues aus, was dazu führen kann, dass ich scheitere. Dafür bekomme ich die Möglichkei­t, zu lernen und etwas über mich zu erfahren. Darum nehme ich das Risiko gern an, wenn mir denn Derartiges angeboten wird. Ich möchte aber nicht den Eindruck machen, als könnte ich mir alles aussuchen.

Sicher. Nur, wer erfolgreic­h ist, hat die Freiheit, auch bei unkonventi­onellen oder schlecht budgetiert­en Projekten mitzumache­n, wenn sie reizvoll sind.

Darum war es mir wichtig, mir früh eine gewisse finanziell­e Unabhängig­keit zu erarbeiten. Das ermöglicht mir, Film- und Theaterpro­jekte anzunehmen, für die es nur wenig Geld gibt. Und auch, Projekte absagen zu können, wenn ich das Gefühl habe, sie bringen mich nicht weiter.

Das ist wahrer Luxus, sich zu erlauben, zu lernen, zu wagen oder auch zu scheitern. Das Scheitern ist dann trotzdem nicht weniger schlimm.

Schlimmer ist es, sich am Ende eingestehe­n zu müssen, nichts versucht zu haben. Wahrschein­lich. Also: ja. Ich bin gedanklich bei meinen diversen Niederlage­n gewesen und habe überlegt, ob mir dieses Argument geholfen hätte.

Sicher nicht. Wenn, dann viel später, sobald man sich wieder darappelt hat. Mir liegt es aber fern, Tiefschläg­e zu verherrlic­hen. Nein, nein, ich verstehe Sie schon richtig.

Etwas anderes: Bei der Produktion von Netflix-Serien müssen heute Intimitäts­koordinato­ren verpflicht­end dabei sein. Sie unterstütz­en den Entstehung­sprozess intimer Szenen von der Vorbereitu­ng über den Dreh bis hin zur Postproduk­tion. Kennen Sie das von Ihren Drehs auch?

Ich hatte bisher noch bei keiner Produktion einen Intimitäts­koordinato­r.

Die deutsche Regisseuri­n Julia von Heinz betonte oft, dass deren Mitwirkung notwendig sei. Schließlic­h kam es in der Vergangenh­eit beim Drehen von Sexszenen immer wieder zu Übergriffe­n. Berühmtes Beispiel: „Der letzte Tango.“

Ja klar, das darf nicht passieren. Und ich bin froh, dass das mittlerwei­le öffentlich diskutiert wird. Es ist mir immer wichtig gewesen, dass die Regie eine klare Vorstellun­g, eine Idee zu einer Liebesszen­e hat. Auch Sexszenen, die ohne Dialog auskommen, müssen inhaltlich Sinn machen. Ich persönlich habe wenig schlechte Erfahrunge­n gemacht, aber ich habe welche gemacht. Meistens bin ich sehr beruhigt gewesen, wenn ich mit meinem Filmpartne­r – mit Frauen habe ich noch keine Sexszenen gespielt – einig gewesen bin, und wir etwas Gemeinsame­s gefunden haben. Das hat sehr geholfen, und da hat es auch nie unangenehm­e Situatione­n gegeben.

Im Übrigen gibt es nicht viele gute erotische Filmszenen. Vielen fehlt jede Aussagekra­ft. Ja, das sehe ich auch so. Es gibt viele

Sie zuerst Theaterwis­senschafte­n studiert haben? Erst wollte ich Tänzerin werden, dann Bühnenbild machen. Die Theaterwis­senschaft war auf meiner Suche eine Übergangsl­ösung, es ging dann aber schnell in Richtung Schauspiel­erei.

. . . warum

man jede Figur, die man spielt, auch sein muss?

Für mich ist das höchste Ziel, nicht mehr zu spielen, sondern zu sein. Das heißt nicht, dass ich mich beim Spielen vergesse, auch nicht, dass ich jede Situation, die die Figur erlebt, schon selbst durchgemac­ht haben muss. Aber ich muss in mir eine Übersetzun­g finden, um der Wahrheit der Figur so nah wie möglich zu kommen. Durch meine Interpreta­tion entsteht eine Version dieser Figur, die ein Autor oder eine Autorin erst einmal vorgibt. Und sie entsteht natürlich aus der Interpreta­tion der Regie, der Kamera und der anderen Gewerke. Sie ist immer ein Gemeinscha­ftswerk.

...ob

Sexszenen, die nichts über die Figuren oder die Handlung verraten. Das ist ein Fehler. Vor allem, wenn es vordergrün­dig darum geht, Nacktheit zu zeigen. Ich finde es grundsätzl­ich, nicht nur bei Sexszenen, interessan­t, mit Verdeckung zu spielen. Wie viel zeigt man von jemandem, der zum Beispiel gerade von einer schrecklic­hen Nachricht getroffen wird? Es kann reizvoll sein, diesen Moment des Schmerzes nur im Halbprofil oder aus der Ferne zu zeigen, sodass man nur erahnen kann, was in der Person vorgeht und die Fantasie noch Raum hat.

Wenn Sie ein Drehbuch zum ersten Mal lesen, können Sie sich dann schon den Film oder Ihre Figur vorstellen?

Ich versuche erst einmal Bücher nicht aus der Perspektiv­e meiner Figuren zu lesen, damit ich eine Idee von der Geschichte bekomme, quasi als neutraler Leser, um zu sehen, ob sie mich interessie­rt. Dann versuche ich, mir anhand der Konstellat­ion, also der Regie und der Besetzung, vorzustell­en, welcher Film dabei herauskomm­en könnte. Irgendjema­nd hat einmal sinngemäß gesagt: „Es entstehen immer drei Filme: einer, wenn man das Buch liest. Der zweite, wenn man ihn dreht, und im Schneidera­um entsteht noch einmal ein neuer Film.“Es ist nicht leicht, sich eine klare Vorstellun­g zu machen. Darum vertraue ich sehr dem Eindruck des Buches.

Und dem Bauch?

Ja, das sollte ich noch mehr. Hab ich blöderweis­e nicht immer. Manchmal habe ich beim ersten Lesen gedacht: „Das ist nichts für mich“, und mich später doch dazu überredet, obwohl es besser gewesen wäre, auf den ersten Impuls zu hören. Aber prinzipiel­l bin ich sehr streng bei meiner Auswahl.

 ?? Mirjam Reither ?? Julia Koschitz: „Es gibt sehr viele Sexszenen, die nichts über die Figur verraten. Das ist falsch.“
Mirjam Reither Julia Koschitz: „Es gibt sehr viele Sexszenen, die nichts über die Figur verraten. Das ist falsch.“
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