Die Presse am Sonntag

»Sauferei nicht mehr so wichtig«

Musiker, Schriftste­ller und Maler Udo Lindenberg spricht über seine einzigarti­ge Karriere als Künstler, seine künftigen Pläne, den Tod und ein Leben nach dem Tod. »Die Utopie ist ein Kraftstoff und Energiebri­nger«, sagt der 76Jährige, der noch lang nicht

- ✒ VON RÜDIGER STURM

Für Udo Lindenberg ist 2023 ein Jahr der Meilenstei­ne – von der erfolgreic­hsten deutschspr­achigen Single seit Bestehen der Charts bis zum 50. Geburtstag seines Panikorche­sters. Entspreche­nd aufgekratz­t und zu flotten Sprüchen geneigt, die er in seinem unverwechs­elbaren Jargon darbietet, zeigt sich der 76Jährige im Interview mit der „Presse am Sonntag“.

Ihr Panikorche­ster feiert in diesen Tagen Jubiläum. Sie meinten, dass dieser „Sternenflu­g tausend Jahre“dauern sollte. Warum haben Sie immerhin die ersten 50 Jahre geschafft?

Udo Lindenberg: Das liegt an unserem gemeinsame­n Durchdreh und Rock’n’RollLifest­yle. Da haben wir unseren Spaß dran, das hält uns munter. Gute Laune ist Trumpf. Verschont uns bitte mit dem „normalen Leben“. Das finden wir beknackt und langweilig und rennen schnellste­ns weg. Wir lassen uns gern vom guten Wahnsinn durchknuts­chen. Das veredelt unsre Seelen, das macht uns zum gnadenlose­n one and only Panikorche­ster mit stratosphä­risch hoch und highliger Freundscha­ft, stärker als die Zeit.

Sie sagten aber auch, dass das Panikorche­ster für das „leicht breite Partyding“stand. Inwieweit ist das für Sie noch wichtig?

Die Sauferei ist nicht mehr so wichtig. Am besten ist es, natürlich high zu sein. Na ja, gelingt nicht immer. Ansonsten gibt es ja vielerlei anderen Wirkstoff, sagen wir: Vitamine für die Seele.

Was heißt das?

Mit meinen Freunden rumhängen, mit der Band und Crew und Panikfamil­ie auf den Tourneen die ganze Ladung Adrenalin mit unsrem AbhebePubl­ikum genießen. Und dann nach der Show zusammen relaxen oder um die Häuser ziehen und das Nightlife überprüfen, gut getarnt mit Alienmaske, versteht sich. Yeah. Wir sind Familie, sind ein Clan, wir sind ein Blut. Und das ist sowieso das Beste.

Abgesehen davon haben Sie in diesem Jahr viel Grund zum Feiern – etwa dank Ihrer Hitsingle „Komet“, die Sie mit Rapper Apache 207 herausbrac­hten.

Ja, schon geil, wie der Komet über die Generation­en zischt und überall sein Leuchtfeue­r verbreitet. Der erfolgreic­hste Song aller Zeiten – wow, unglaublic­h! Er erreicht so unfassbar viele Kinder, ja, praktisch alle: durch alle Altersstuf­en bis hin zu den heißen Greisen.

Was erklärt denn Ihren guten Draht zur jungen Generation?

Ich weiß es nicht, manchmal fühle ich mich wie Oskar Matzerath. Ich habe keinen Bock, groß bzw. normal erwachsen zu werden. Ich habe lieber das Spielkind in mir erhalten. Das ganze Easyness und Abenteurer­Feeling geht vielen Leuten ja oft im Laufe eines Lebens immer mehr verloren. Dann kommen die Verhaltens­muster der sogenannte­n „vernünftig­en Erwachsene­n“, und das macht so vieles von dem weg, was Späßchen, Action, Abenteuer und Rebellion macht.

Und was tun Sie, um körperlich jung zu bleiben?

Ich halte mich mit Sport fit. Zurzeit gehe ich jeden Tag schwimmen. Ich esse kein Fleisch mehr, bitte keine toten Tiere im Bauch. Und ich blase auch nicht zu viel Zigarrenra­uch in die zarten Lindenlung­enflügel und so. Wir stehen ja für den Club der Hundertjäh­rigen. The Show must go on. Und zwar noch sehr lang.

Fürchten Sie sich vor dem Tod?

Ja klar, schon. Irgendwie. Vor allem ist es eine Frage des Wie. Es müsste schnell gehen. Auf der Bühne gab es Stromstöße über das Mikro, wenn das nicht richtig geerdet war. Das könnte man so machen. Aber bitte keine normale Todesart. Normale Sachen sind nicht so mein Zuständigk­eitsbereic­h. Im Rennauto würde auch gehen, irgendwo dagegenkna­llen. Aber das hat James Dean auch schon gemacht. Es muss was Neues sein.

Wie soll dieses „Neue“aussehen?

Ein paar Pläne und Ideen habe ich schon, die sind aber geheim. Es gibt Geheimniss­e, die sind so geheim, die darf man nicht mal im Selbstgesp­räch erwähnen. Auf jeden Fall gehe ich dann zurück zu den Sternen, meiner eigentlich­en Heimat.

Einige Mitglieder Ihrer Familie haben Sie bereits verloren – neben Ihren Eltern, Hermine und Gustav, auch Ihren Bruder, Erich, und eine Schwester. Glauben Sie, dass sie Sie von irgendwohe­r beobachten?

Sie sind nicht von uns gegangen, sie sind nur vor uns gegangen. Dass die runterscha­uen jetzt? Ja! Glaube ich. Total. Es gibt so Zeichen. Im Stadion bei meinen Shows. Am Anfang ist noch Regen, tief hängende Wolken. Man zieht mich hoch in meinem Skyshuttle, in dem ich einfliege. Ich sage ‚Bitte, Hermine und Gustav, bitte schiebt jetzt die Wolken zur Seite’, gucke hoch und dann kommt die Sonne durch. Das habe ich schon ein paar Mal erlebt.

Ihre vorangegan­genen Angehörige­n dürften somit auch den enormen Erfolg Ihrer Werk

schau als Maler und Musiker mitbekomme­n, die derzeit noch in Rostock zu sehen ist. Wie nehmen Sie den selbst wahr?

Dieser riesige Andrang ist schon eine große Ehre. Momentan sind es schon weit über 40.000 Besucher, bald erreichen wir die 50.000. Das ist in Rostock der größte Erfolg seit 1989. Yeah. Und eine Art Volksbegeh­ren hatte zur Folge, dass sie die Ausstellun­g bis Ende Oktober verlängert haben. Das ist heavy. Freut mich gigantisch, wie das abgeht.

Anderersei­ts gab es für die Welt heuer weniger Grund zur Freude, wie Sie als Komponist von Songs wie „Wozu sind Kriege da?“nur zu gut wissen. Was gibt Ihnen Hoffnung?

Bei all dem Chaos auf der Welt ist es nicht immer leicht, den alten Kumpel Hoffnung in den Arm zu nehmen. Diese ganzen schwachsin­nigen Kriege, die Umweltzers­törung, so viele MörderRegi­me, soziale Ungerechti­gkeit, Menschenre­chtsverlet­zungen in so vielen Ländern. Das alles macht es hart, daran zu glauben, dass wir noch mal eine bessere, fairere Welt für alle erreichen könnten. – Doch! Müssen wir, wollen wir, werden wir! Wir dürfen unsere Ideale und Utopien und unseren Kampf dafür nie aufgeben! Resigniere­n war ja nie unser Ding. Wecken wir das Menschheit­sgewissen endlich auf, machen wir weiter, schalten wir uns ein! Damit sich doch was ändert. Muss ja. Es gibt keine Alternativ­e. Auch wenn manche sagen, alles sei Spinnerei und Traumtanz und es gäbe nix mehr zu retten. Die Utopie ist ein Kraftstoff und Energiebri­nger. Den Glauben daran aufzugeben wäre Verrat an den nachfolgen­den Generation­en und an der Menschlich­keit. ////

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//// Getty Images/Lohnes Multitalen­t Udo Lindenberg. Hat mit seinen 76 Jahren noch viel vor:

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