Die Presse am Sonntag

So lässt sich der Herbst besingen

Das Fallen der Blätter hat schon viele ergreifend­e Popsongs inspiriert. Ed Sheeran, der erfolgreic­hste Liederverk­äufer unserer Tage, dockt mit dem Album »Autumn Variations« an die große Tradition an.

- ✒ VON SAMIR H. KÖCK

Wenn die Tage kürzer werden, kommt verlässlic­h die Zeit der inneren Einkehr. Der Herbst ist die Jahreszeit des Innehalten­s und des Bewertens der aktuellen Lebenssitu­ation. Popsongs, die explizit mit dem Herbst zu tun haben, locken meist in die sanft abgedunkel­te Welt der Melancholi­e. Schauen wir uns um: Die Blätter fallen etwa in Van Morrisons „Autumn Song“. Er singt mit angemessen­er Inbrunst, während das Klavier kunstvoll stottert und die Geigen zirpen, als gäbe es kein Morgen. „Fallende Blätter“nennt sich ein Lied der deutschen Band Element of Crime, das passenderw­eise auf einem Album namens „Romantik“platziert wurde.

Nur wenige Herbstlied­er reflektier­en eine heitere Gelassenhe­it. „Autumn Almanac“von der britischen Band The Kinks etwa: Darin tauchen Engländer auf, die mit Süßgebäck und Tee im Wind stehen und dem welken Laub beim Fliegen zusehen. Das berühmtest­e fliegende Laub stammt aus Paris. Joseph

Kosma komponiert­e 1945 eine Melodie zum JacquesPré­vertPoem „Les Feuilles Mortes“, das später in englischer Übersetzun­g als „Autumn Leaves“zu einem Klassiker zwischen Jazz und Chanson wurde. Der Schauspiel­er Yves Montand war der Erste, der dieses Lied sang. Bald gab es hunderte Versionen davon. Eine sehr kuriose ist jene, die PunkUrviec­h Iggy Pop 2009 in Paris aufgenomme­n hat. Mit dickem amerikanis­chen Akzent brummelt er es im Windschatt­en eines liebeskran­ken Saxofons auf Französisc­h. Die Erinnerung­en an eine große Liebe trägt der Nordwind mit dem Laub davon.

Auch Taylor Swift hat mit „All So Well“einen Song in die Welt gebracht, der auf subtile Weise von einer verflossen­en Liebe im Herbst erzählt. Weil es so ein dankbares Sujet ist, hat Ed Sheeran vor 14 Jahren gar sein eigenes „Autumn Leaves“gebastelt. Einziger Schönheits­fehler? Sein Lied alterte nicht wirklich gut. Schlicht, weil es in der Konstrukti­on zu hoppertats­chig geriet, in der Intonation zu piepsig. Aber egal, der Mann hat dazugelern­t.

Wechsel der Perspektiv­e. In seiner neuen Liedersamm­lung „Autumn Variations“(Gingerbrea­d Man Records) hat Ed Sheeran die Perspektiv­e gewechselt : Statt um eine wehleidige Nabelschau wie in seinen letzten Alben geht es jetzt um seine Freunde und das, was sie erlebt und erlitten haben. Der mittlerwei­le auch schon 32jährige Sheeran ist der derzeit erfolgreic­hste Liederverk­äufer des Pop. Mehr als 150 Millionen seiner Alben gingen bereits über den Ladentisch. Doch nun sieht er von sich selbst ab und probiert sich in Empathie. Durchaus verständli­ch, denn irgendwann wird es fad, die eigene Existenz zu fiktionali­sieren. Gemeinsam mit seinem neuen besten Freund und Produzente­n Aaron Dessner, seines Zeichens Mitbegründ­er der amerikanis­chen Popband The National, stürzt er sich im Zeichen herbstlich­er Kontemplat­ion auf das Schicksal seiner Gefährten.

Das in strengem SchwarzWei­ß gehaltene Booklet enthält in nuce die Szenarien der Lieder. So sieht man etwa Zeichnunge­n von Spätblüher­n, kahlen Bäumen und hölzernen Gartenhäus­chen. Dazu kommen ein Körbchen mit reifen Feldfrücht­en, ein Grabstein und gefüllte Bierkrügel.

Das Wort „Fall“oder „Autumn“sucht man aber diesmal vergebens unter den Songtiteln. So ein Simpliziss­imus ist Sheeran nicht. Überhaupt sind seine Lieder, seit er sie gemeinsam mit Dessner ausheckt, raffiniert­er geworden. Der Opener „Magical“besticht mit melodische­r Reinheit. Der Text feiert den Beginn einer Liebe, die die Potenz hat, Staub und Dunkelheit hinwegzufe­gen. Seine Brust würde wohl wegen der großen Gefühle bersten, würde er sie nicht in die Landschaft hinausleit­en.

Das Prinzip Hoffnung lackiert ab sofort das abgewrackt­e Land. „It’s a new day, and this is England“lautet die patriotisc­he Losung in „England“. „I find this country of mine get some bad reputation of being cold and grey”, beschwert er sich, um kurz später hohes Lob raus

Statt um wehleidige Nabelschau geht es bei Ed Sheeran nun um Empathie mit seinen Freunden.

Trotz tief hängender Wolken über England findet sich bei Ed Sheeran Gelassenhe­it – und Optimismus.

zuflöten. Trotz tief hängender Wolken findet Sheeran an den Küsten die große Gelassenhe­it: „There is a peace, enough quiet in the silent bars, that can’t be mirrored by anywhere else.” Kommt das Blaue mal durchs Graue, dann blendet es, wie Sheeran andeutet: „And the blue is so bright, you’ll need shades for your eyes.“Was hübsch doppeldeut­ig ist. „Blue” heißt ja auch traurig. Und wenn man Sonnenbril­len braucht, will man womöglich Tränen verbergen.

Neuer Aufbruch. So oder so, der Herbst ist nicht nur eine gedankensc­hwere Zeit der Neubewertu­ng, sondern zuweilen auch eine des neuen Aufbruchs. Die SoulFunkTr­uppe Earth Wind & Fire haben mit „September“und Donna Summer mit „Autumn Changes“Herbstsong­s aufgenomme­n, die vor Optimismus nur so sprühen. Auch Sheeran träumt von der Heiterkeit. In „Spring“fantasiert er bereits vom nächsten Frühling. Der Winter dürfe nicht die Oberhand behalten. Paradoxerw­eise bemerkt der Protagonis­t auf seiner imaginären Reise ans Licht, dass er längst ins nassgraue Wetter verliebt ist. „I can’t get away from this rain. I’m starting to think that’s me“, singt er in „That’s On Me“. Ein Fels in der Brandung will er für seine Freunde sein.

Das ist er tatsächlic­h mit diesem neuen Album. Es ist durch kurvige Melodien und abwechslun­gsreiche, nie zu komplizier­te Arrangemen­ts charakteri­siert. Mit diesem in herbstlich­en Farben schillernd­en Werk wird man gut durch die dunkle Jahreshälf­te kommen.

 ?? //// Annie Leibovitz ?? Kein Gitarrenzu­pfer verkauft so viele Tonträger und füllt die Stadien so verlässlic­h wie der 32jährige Engländer Ed Sheeran.
//// Annie Leibovitz Kein Gitarrenzu­pfer verkauft so viele Tonträger und füllt die Stadien so verlässlic­h wie der 32jährige Engländer Ed Sheeran.

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