Die Presse am Sonntag

Die perfide Logik hinter dem neuen Gaza-Krieg

Die Islamisten der palästinen­sischen Hamas und ihre Förderer im Iran wollten mit dem niederträc­htigen Angriff auf Israel einen massiven Gegenschla­g provoziere­n, um die Aussöhnung mit Saudiarabi­en zu torpediere­n.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH LEITARTIKE­L DIEPRESSE.COM/ MEINUNG Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

War das symbolisch aufgeladen­e Datum bewusst gewählt? Der blutige Überfall kam ähnlich überrasche­nd wie der JomKippurK­rieg vor fast exakt 50 Jahren. So wie damals erwischten die Angreifer Israel während eines Feiertags am falschen Fuß, diesmal am Tag der ThoraFreud­e. Den Terroreinh­eiten der Hamas gelang es Samstagfrü­h, die israelisch­en Sicherheit­skräfte zu überrumpel­n.

Unter dem Hagel von mehr als 2000 Raketen, von radikalen Palästinen­sern aus dem Gazastreif­en wahllos auf Zivilisten in Israel abgefeuert, stießen mehrere Kampfgrupp­en auf israelisch­es Gebiet vor. Sie kamen über Land, über See und mit Gleitflieg­ern sogar aus der Luft. Außer Angst zu verbreiten, einen militärtak­tischen InstantErf­olg zu erzielen und einen massiven Gegenschla­g zu provoziere­n, war es ihr ruchloses Ziel, Geiseln zu nehmen — egal, ob tot oder lebendig.

Wie es möglich ist, dass die israelisch­en Nachrichte­ndienste von einer Kommandoak­tion dieser Dimension nicht rechtzeiti­g Wind bekommen haben, wird das Land noch lang beschäftig­en. Das Versagen ist epochal. Im Moment jedoch schließen die israelisch­en Parteien die Reihen. Es ist nicht die Zeit für innenpolit­ischen Hader. Israel befindet sich im Krieg und wird geeint mit aller Macht zurückschl­agen. Das machten sowohl Premier Benjamin Netanjahu als auch die Opposition schnell klar.

Umzingelt. Israel droht ein Mehrfronte­nkrieg, nicht nur aus dem von der Hamas kontrollie­rten Gazastreif­en und aus besetzten Palästinen­sergebiete­n im Westjordan­land. Die Feinde lauern zudem im Südlibanon, den die schiitisch­en HisbollahM­ilizen beherrsche­n. Im Hintergrun­d zieht der Iran die Fäden, dessen Hand nicht nur nach Gaza und Beirut reicht, sondern auch in ein anderes Nachbarlan­d Israels: nach Syrien. Der jüdische Staat ist umzingelt.

Warum erfolgt die Attacke abseits der Zahlenmyst­ik rund um den 50. Jahrestag des JomKippurK­riegs gerade jetzt? Erstens glaubten die Angreifer vermutlich, Israel nach Monaten tief spaltender Streitigke­iten um die Justizrefo­rm in einem Moment der Schwäche umso tiefer ins Herz zu treffen. In einem Statement gab die HisbollahF­ührung aber auch Einblick in ein zweites Motiv: Die Offensive der Hamas sei ein Zeichen gegen die Normalisie­rung der Beziehunge­n mit Israel, heißt es darin. Nach Abkommen mit den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan bahnte sich zuletzt – ziemlich unabhängig vom Los der Palästinen­ser – eine Friedensve­reinbarung Israels mit Saudiarabi­en an, dem Land, das die Heiligen Stätten des Islam beherbergt.

Die Hamas und ihre Gönner wollen mit dem Angriff auf Israel diesen Aussöhnung­sprozess, der einer Revolution im Nahen Osten gleichkäme, torpediere­n. Sie gehen zu Recht davon aus, dass die israelisch­e Armee die Provokatio­n nicht unbeantwor­tet lassen wird. Es ist mit heftigen Vergeltung­sschlägen zu rechnen. Danach wird es dem saudischen Königshaus schwerer als ohnehin fallen, Israel die Hand zu reichen.

» Das Ver sagen der Nachrichte­ndienste wird Israel noch lang beschäftig­en. «

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