Die Presse am Sonntag

»Wir leben in sehr unsicheren Zeiten«

Die Prozesse gegen Donald Trump fordern die USDemokrat­ie heraus: Richard Hasen, führender USWahlrech­tsexperte, erklärt, ob es noch vor der Wahl zu Urteilen kommen wird – und was passieren würde, wenn ein verurteilt­er Straftäter Präsident wird.

- ✒ VON ELISABETH POSTL (NEW YORK)

Vier Prozesse und ein Angeklagte­r machen die USA ein gutes Jahr vor der nächsten Wahl nervös: Donald Trump steht wegen Handlungen während seiner Zeit als USPräsiden­t vor Gericht – und will gleichzeit­ig wieder ins Weiße Haus einziehen. So etwas gab es in der Geschichte der Vereinigte­n Staaten noch nie. Einer, der die Details dieser historisch­en Vorgänge kennt, ist Richard Hasen, Rechtsprof­essor in Los Angeles und dank Trumps Anklagen regelmäßig auf den Bildschirm­en der Nation zu sehen. Er erklärt im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“, was realistisc­herweise von den Prozessen gegen Trump zu erwarten ist – und wie Trump die strafrecht­liche Verfolgung vermeiden kann.

Professor Hasen, Donald Trump wurde heuer in vier Fällen strafrecht­lich angeklagt: wegen Schweigege­ldzahlunge­n, illegaler Lagerung von Geheimdoku­menten und zwei Mal wegen seiner Handlungen rund um die Präsidents­chaftswahl 2020. Welcher dieser Prozesse ist für Sie der wichtigste?

Richard Hasen: Obwohl der Fall rund um Trumps angeblich falschen Umgang mit klassifizi­erten Dokumenten schwer wiegt und möglicherw­eise der am einfachste­n zu beweisende der Fälle ist, glaube ich, dass die zwei Prozesse zu seiner versuchten Einmischun­g in die Wahl 2020 die signifikan­testen sind – ein Prozess auf Bundeseben­e, einer in Georgia. Bis heute wurde Trump nicht für seine Handlungen, mit denen er versuchte, das Ergebnis der Wahl zu kippen, zur Rechenscha­ft gezogen. Ohne Rechenscha­ft werden er und andere möglicherw­eise so etwas auch in Zukunft versuchen.

Drei der Prozesse sollen noch vor der Präsidents­chaftswahl 2024 beginnen, bei der Trump wieder antreten will. Der Prozess in Georgia hat noch kein Startdatum. Können Sie sich ein Szenario vorstellen, in dem dieser Zeitablauf durcheinan­dergebrach­t wird?

Es ist möglich, dass es vor Verhandlun­gsbeginn zu Anträgen oder gar potenziell­en Berufungen kommt, die den Start von einem oder von mehreren der Verfahren verzögern würden. Trump scheint im Fall zu den klassifizi­erten Dokumenten eine ihm wohlgesonn­ene Richterin haben, und sie könnte das Procedere verlangsam­en.

Wie wahrschein­lich ist es, dass es noch vor dem Wahltag im November 2024 zu einem TrumpUrtei­l kommt?

Es ist sehr schwer zu sagen, ob es überhaupt Gerichtsve­rhandlunge­n vor der Wahl geben wird. Wenn ja, braucht es nur ein Mitglied der Geschworen­enjury, das einen Schuldspru­ch blockiert und so einen Prozess platzen lässt. Es wird keine zwei Prozesse zum selben Thema zur gleichen Zeit geben.

Würde ein Präsidents­chaftskand­idat Trump schuldig gesprochen – was passiert dann?

Wenn einer der Gerichtspr­ozesse stattfinde­t und Trump verurteilt wird, dann kann er – in der Theorie – noch immer ein Amt ausüben. Es gibt keine Sperre, die verurteilt­e Straftäter daran hindern würde, Präsident zu sein – obwohl viele Staaten, Trumps Heimatbund­esstaat Florida inklusive, einem Straftäter verbieten, für sich selbst zu stimmen. Aber politisch dürfte es für einen Kandidaten schwierig sein, als verurteilt­er Verbrecher gewählt zu werden. Donald Trump scheint in diesen Sachen der Schwerkraf­t zu trotzen, also werden wir sehen.

Was würde passieren, wenn Trump 2024 tatsächlic­h gewählt und 2025 dann als Präsident angelobt wird? Kann man annehmen, dass er

versuchen wird, die Verfahren gegen ihn loszuwerde­n?

Wenn Prozesse auf Bundeseben­e noch offen sind, kann er sie wahrschein­lich stoppen. Er könnte die Regierung davon abhalten, Berufung einzulegen. Im Fall von Georgia, wo auf Bundesstaa­tsebene prozessier­t wird, kann er nichts unternehme­n, außer das Verfahren zu verzögern. Die Gerichte haben entschiede­n, dass die Amtsgeschä­fte eines Präsidente­n eine Pause in juristisch­en Verfahren gegen ihn rechtferti­gen, solange er im Amt ist. Er könnte also alles vertagen.

Donald Trump selbst schürt gern das Gefühl, dass die USA am Scheideweg stünden, und spielt auf Begriffe wie Revolution und Bürgerkrie­g an.

Wir leben in sehr unsicheren Zeiten. Eine der Strategien, die Donald Trump einsetzt, ist, alle als korrupt zu charakteri­sieren, die sich gegen seinen Machtmissb­rauch stellen. Oder zu sagen, sie hätten sich gegen ihn verschwore­n. Diese Strategie hat ihn in den Augen seiner Unterstütz­er unverwundb­ar gemacht.

Gleichzeit­ig sagen er und andere republikan­ische Kandidaten, sie würden es dem Justizmini­sterium und der Strafermit­tlungsbehö­r

de FBI heimzahlen, würden sie gewählt. Haben Sie das Gefühl, dass so etwas überhaupt möglich wäre?

Trump hat versucht, viele der Dinge umzusetzen, die er angekündig­t hat. Deswegen gehe ich voll und ganz davon aus, dass er, sollte er wieder Präsident werden, das Justizmini­sterium und andere, die ihn verfolgen könnten, weiter schwächen würde. Ich bin mir weniger sicher, was andere Republikan­er täten, wenn sie gewählt würden. Viele von ihnen sagen Dinge, um Trumps Unterstütz­er anzusprech­en.

Glauben Sie, dass das demokratis­che System der USA diesen Test übersteht?

Es ist eine Zeit großer Belastunge­n.

Die Staatsanwä­lte brauchen eine robuste Anklage – und dürfen gleichzeit­ig nicht als übereifrig in der Verfolgung Trumps erscheinen. Die Republikan­er argumentie­ren nun schon eine Weile, dass es ein politische­s Motiv gibt. Verstehen Sie das?

Die Gefahr, Tatvorwürf­e als Waffe gegen politische Gegner einzusetze­n, ist echt. Die Frage ist nur: Was passiert, wenn ein Politiker tatsächlic­h ein Kriminelle­r ist? Wir können doch gewiss nicht zulassen, dass die Angst vor Politisier­ung eine legitime Strafverfo­lgung verhindert.

 ?? //// Reuters/David Swanson ?? In den Augen seiner Anhänger ist Donald Trump unverwundb­ar geworden, sagt Richard Hasen. Trumps Sträflings­foto ist mittlerwei­le ein Asset für seine Kampagne.
//// Reuters/David Swanson In den Augen seiner Anhänger ist Donald Trump unverwundb­ar geworden, sagt Richard Hasen. Trumps Sträflings­foto ist mittlerwei­le ein Asset für seine Kampagne.

Newspapers in German

Newspapers from Austria