»Wir leben in sehr unsicheren Zeiten«
Die Prozesse gegen Donald Trump fordern die USDemokratie heraus: Richard Hasen, führender USWahlrechtsexperte, erklärt, ob es noch vor der Wahl zu Urteilen kommen wird – und was passieren würde, wenn ein verurteilter Straftäter Präsident wird.
Vier Prozesse und ein Angeklagter machen die USA ein gutes Jahr vor der nächsten Wahl nervös: Donald Trump steht wegen Handlungen während seiner Zeit als USPräsident vor Gericht – und will gleichzeitig wieder ins Weiße Haus einziehen. So etwas gab es in der Geschichte der Vereinigten Staaten noch nie. Einer, der die Details dieser historischen Vorgänge kennt, ist Richard Hasen, Rechtsprofessor in Los Angeles und dank Trumps Anklagen regelmäßig auf den Bildschirmen der Nation zu sehen. Er erklärt im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“, was realistischerweise von den Prozessen gegen Trump zu erwarten ist – und wie Trump die strafrechtliche Verfolgung vermeiden kann.
Professor Hasen, Donald Trump wurde heuer in vier Fällen strafrechtlich angeklagt: wegen Schweigegeldzahlungen, illegaler Lagerung von Geheimdokumenten und zwei Mal wegen seiner Handlungen rund um die Präsidentschaftswahl 2020. Welcher dieser Prozesse ist für Sie der wichtigste?
Richard Hasen: Obwohl der Fall rund um Trumps angeblich falschen Umgang mit klassifizierten Dokumenten schwer wiegt und möglicherweise der am einfachsten zu beweisende der Fälle ist, glaube ich, dass die zwei Prozesse zu seiner versuchten Einmischung in die Wahl 2020 die signifikantesten sind – ein Prozess auf Bundesebene, einer in Georgia. Bis heute wurde Trump nicht für seine Handlungen, mit denen er versuchte, das Ergebnis der Wahl zu kippen, zur Rechenschaft gezogen. Ohne Rechenschaft werden er und andere möglicherweise so etwas auch in Zukunft versuchen.
Drei der Prozesse sollen noch vor der Präsidentschaftswahl 2024 beginnen, bei der Trump wieder antreten will. Der Prozess in Georgia hat noch kein Startdatum. Können Sie sich ein Szenario vorstellen, in dem dieser Zeitablauf durcheinandergebracht wird?
Es ist möglich, dass es vor Verhandlungsbeginn zu Anträgen oder gar potenziellen Berufungen kommt, die den Start von einem oder von mehreren der Verfahren verzögern würden. Trump scheint im Fall zu den klassifizierten Dokumenten eine ihm wohlgesonnene Richterin haben, und sie könnte das Procedere verlangsamen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass es noch vor dem Wahltag im November 2024 zu einem TrumpUrteil kommt?
Es ist sehr schwer zu sagen, ob es überhaupt Gerichtsverhandlungen vor der Wahl geben wird. Wenn ja, braucht es nur ein Mitglied der Geschworenenjury, das einen Schuldspruch blockiert und so einen Prozess platzen lässt. Es wird keine zwei Prozesse zum selben Thema zur gleichen Zeit geben.
Würde ein Präsidentschaftskandidat Trump schuldig gesprochen – was passiert dann?
Wenn einer der Gerichtsprozesse stattfindet und Trump verurteilt wird, dann kann er – in der Theorie – noch immer ein Amt ausüben. Es gibt keine Sperre, die verurteilte Straftäter daran hindern würde, Präsident zu sein – obwohl viele Staaten, Trumps Heimatbundesstaat Florida inklusive, einem Straftäter verbieten, für sich selbst zu stimmen. Aber politisch dürfte es für einen Kandidaten schwierig sein, als verurteilter Verbrecher gewählt zu werden. Donald Trump scheint in diesen Sachen der Schwerkraft zu trotzen, also werden wir sehen.
Was würde passieren, wenn Trump 2024 tatsächlich gewählt und 2025 dann als Präsident angelobt wird? Kann man annehmen, dass er
versuchen wird, die Verfahren gegen ihn loszuwerden?
Wenn Prozesse auf Bundesebene noch offen sind, kann er sie wahrscheinlich stoppen. Er könnte die Regierung davon abhalten, Berufung einzulegen. Im Fall von Georgia, wo auf Bundesstaatsebene prozessiert wird, kann er nichts unternehmen, außer das Verfahren zu verzögern. Die Gerichte haben entschieden, dass die Amtsgeschäfte eines Präsidenten eine Pause in juristischen Verfahren gegen ihn rechtfertigen, solange er im Amt ist. Er könnte also alles vertagen.
Donald Trump selbst schürt gern das Gefühl, dass die USA am Scheideweg stünden, und spielt auf Begriffe wie Revolution und Bürgerkrieg an.
Wir leben in sehr unsicheren Zeiten. Eine der Strategien, die Donald Trump einsetzt, ist, alle als korrupt zu charakterisieren, die sich gegen seinen Machtmissbrauch stellen. Oder zu sagen, sie hätten sich gegen ihn verschworen. Diese Strategie hat ihn in den Augen seiner Unterstützer unverwundbar gemacht.
Gleichzeitig sagen er und andere republikanische Kandidaten, sie würden es dem Justizministerium und der Strafermittlungsbehör
de FBI heimzahlen, würden sie gewählt. Haben Sie das Gefühl, dass so etwas überhaupt möglich wäre?
Trump hat versucht, viele der Dinge umzusetzen, die er angekündigt hat. Deswegen gehe ich voll und ganz davon aus, dass er, sollte er wieder Präsident werden, das Justizministerium und andere, die ihn verfolgen könnten, weiter schwächen würde. Ich bin mir weniger sicher, was andere Republikaner täten, wenn sie gewählt würden. Viele von ihnen sagen Dinge, um Trumps Unterstützer anzusprechen.
Glauben Sie, dass das demokratische System der USA diesen Test übersteht?
Es ist eine Zeit großer Belastungen.
Die Staatsanwälte brauchen eine robuste Anklage – und dürfen gleichzeitig nicht als übereifrig in der Verfolgung Trumps erscheinen. Die Republikaner argumentieren nun schon eine Weile, dass es ein politisches Motiv gibt. Verstehen Sie das?
Die Gefahr, Tatvorwürfe als Waffe gegen politische Gegner einzusetzen, ist echt. Die Frage ist nur: Was passiert, wenn ein Politiker tatsächlich ein Krimineller ist? Wir können doch gewiss nicht zulassen, dass die Angst vor Politisierung eine legitime Strafverfolgung verhindert.