»Dann hätte der Aiwanger gelogen«
Der Chef der Freien Wähler sieht sich nicht nur bei der Bayern-Wahl als Gegenmittel zur AfD. Er will in den Bundestag – trotz NaziFlugblatt.
Es ist spät, nach zehn Uhr in der Nacht, als Hubert Aiwanger rüberrutscht. Grauer Trachtenjanker, rote Backen, der Blick konzentriert. Mehr als eine Stunde ist er beim Nürnberger Altstadtfest zwischen den Bänken auf und abgegangen. Hat seine Fans in die Arme genommen, sie an sich gedrückt, abgebusselt. In einem Tanzstadl haben ein paar „Hubert, Hubert!“Sprechchöre angestimmt. Selfie nach Selfie, Abklatschen mit Fremden. „Wenn wir nicht da wären, dann Gnade uns Gott in Bayern, dann hätten wir eine AfD mit einiges über 20 Prozent“, sagt Aiwanger, der nun auf der Bierbank sitzt, in niederbayrischem Dialekt.
Aber es gibt ihn, den Chef der bayrischen Kleinpartei Freie Wähler, seit fünf Jahren bayrischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident. „Der Aiwanger ist einer, der die Dinge beim Namen nennt“, sagt Aiwanger, wenn man ihn fragt, warum es so gut läuft. Dann holt er sein Handy heraus. „Politikerzufriedenheit: Söder 50, Aiwanger 48“, kommentiert er die Umfrage auf seinem Bildschirm. „Ich bin auf Augenhöhe mit Söder momentan.“
Wenn am Sonntag die Balken mit dem Landtagswahlergebnis in die Höhe gehen, wird Hubert Aiwanger den größten Sieg seiner Politikerkarriere feiern. Er wird Markus Söder, den Ministerpräsidenten und seine CSU, nicht schlagen. Aber wenn die Umfragen stimmen, werden die Freien Wähler ein Plus einfahren und um den zweiten Platz kämpfen. Dort befinden sich die Grünen – aber auch die als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte AfD ist aufgerückt.
Ein Populist? „Wären wir ein paar Jahre früher bekannter gewesen, hätten wir die AfD verhindern können“, sagt Aiwanger. Es ist die Ironie seiner Geschichte: Bekannt wurden die Freien Wähler nicht wegen ihrer WasserstoffStrategie, ihres Windräderplans oder der Abschaffung der privaten Straßenausbaubeiträge. Sachthemen, über die Aiwanger zu später Stunde in der ihm typischen Art referieren kann: abwesend in die Ferne starrend, die Augen seines Gegenübers meidend.
Nein, in die deutschlandweiten Nachrichten kam der 52jährige Landwirt wegen des Populismusverdachts, der gegen ihn ausgesprochen wurde und zu dem später der Verdacht kam, er könnte in der Schule als NaziFan aufgetreten sein. „Wer im Bierzelt punkten will, kann nicht eine Lesung halten wie vor der höheren Mädchenschule“, sagte Aiwanger bei einem Gespräch vor ausländischen Journalisten in München Ende September. „Das wird natürlich von anderen als Populismus gesehen.“
Über seine Schulzeit will er gar nicht reden. Was damals passiert ist, ist nicht zweifelsfrei geklärt. Ein in seiner Schultasche gefundenes NaziFlugblatt habe er nicht verfasst, sagte er zu Beginn der Affäre. In einem Fragebogen, den er beantworten musste, stritt er den Vorwurf einer „Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut“in Jugendtagen aber nicht ab. Warum hat er nicht einfach mit Nein auf die Frage geantwortet? „Das war schon ein bisschen komplexer, damit hätte ich das nicht abgeräumt gehabt“, sagt Aiwanger auf der Bierbank. „Wenn ich sag: ,Nein‘, dann sagt ein anderer wieder: ,Aber ich habe von ihm einen bösen Witz gehört.‘ Dann hätte der Aiwanger gelogen.“
»Man versteht meinen bayrischen Dialekt auch außerhalb Bayerns«, sagt Hubert Aiwanger.
So gibt Aiwanger – der von sich behauptet, die Dinge beim Namen zu nennen – so wenig wie möglich über seine Teenagerjahre preis. „Eine Hetzkampagne, eine grausliche“, sei das gewesen, sagt ungefragt ein Mittfünfziger, der sich für das Nürnberger Altstadtfest eine Lederhose angezogen hat. Es sind Worte, die so oder so ähnlich öfter zu hören sind – auch bei Festen der CSU.
AntiGrün, aber auch AntiAfD, rechts der Mitte, pragmatisch. So sieht sich Hubert Aiwanger. Mindestens fünf Prozent würde er der AfD abnehmen, glaubt er. Er wettert gegen das Gendern, sei „für Industrie und Umweltschutz“, will die Migrationsfrage „aus der politischen Mitte heraus beantworten, damit die Leute nicht alle nach rechts gehen“.
Er sei in Thüringen, Sachsen, Brandenburg aufgetreten. „Ja, auch dort wurde geklatscht, als der Aiwanger geredet hat“, sagt Aiwanger. „Man versteht meinen bayrischen Dialekt auch außerhalb Bayerns.“Ob man ihn dort wählt, wird sich im Jahr 2025 zeigen.