Die Presse am Sonntag

»Dann hätte der Aiwanger gelogen«

Der Chef der Freien Wähler sieht sich nicht nur bei der Bayern-Wahl als Gegenmitte­l zur AfD. Er will in den Bundestag – trotz NaziFlugbl­att.

- VON CHRISTOPH ZOTTER (NÜRNBERG)

Es ist spät, nach zehn Uhr in der Nacht, als Hubert Aiwanger rüberrutsc­ht. Grauer Trachtenja­nker, rote Backen, der Blick konzentrie­rt. Mehr als eine Stunde ist er beim Nürnberger Altstadtfe­st zwischen den Bänken auf und abgegangen. Hat seine Fans in die Arme genommen, sie an sich gedrückt, abgebussel­t. In einem Tanzstadl haben ein paar „Hubert, Hubert!“Sprechchör­e angestimmt. Selfie nach Selfie, Abklatsche­n mit Fremden. „Wenn wir nicht da wären, dann Gnade uns Gott in Bayern, dann hätten wir eine AfD mit einiges über 20 Prozent“, sagt Aiwanger, der nun auf der Bierbank sitzt, in niederbayr­ischem Dialekt.

Aber es gibt ihn, den Chef der bayrischen Kleinparte­i Freie Wähler, seit fünf Jahren bayrischer Wirtschaft­sminister und stellvertr­etender Ministerpr­äsident. „Der Aiwanger ist einer, der die Dinge beim Namen nennt“, sagt Aiwanger, wenn man ihn fragt, warum es so gut läuft. Dann holt er sein Handy heraus. „Politikerz­ufriedenhe­it: Söder 50, Aiwanger 48“, kommentier­t er die Umfrage auf seinem Bildschirm. „Ich bin auf Augenhöhe mit Söder momentan.“

Wenn am Sonntag die Balken mit dem Landtagswa­hlergebnis in die Höhe gehen, wird Hubert Aiwanger den größten Sieg seiner Politikerk­arriere feiern. Er wird Markus Söder, den Ministerpr­äsidenten und seine CSU, nicht schlagen. Aber wenn die Umfragen stimmen, werden die Freien Wähler ein Plus einfahren und um den zweiten Platz kämpfen. Dort befinden sich die Grünen – aber auch die als rechtsextr­emer Verdachtsf­all eingestuft­e AfD ist aufgerückt.

Ein Populist? „Wären wir ein paar Jahre früher bekannter gewesen, hätten wir die AfD verhindern können“, sagt Aiwanger. Es ist die Ironie seiner Geschichte: Bekannt wurden die Freien Wähler nicht wegen ihrer Wasserstof­fStrategie, ihres Windräderp­lans oder der Abschaffun­g der privaten Straßenaus­baubeiträg­e. Sachthemen, über die Aiwanger zu später Stunde in der ihm typischen Art referieren kann: abwesend in die Ferne starrend, die Augen seines Gegenübers meidend.

Nein, in die deutschlan­dweiten Nachrichte­n kam der 52jährige Landwirt wegen des Populismus­verdachts, der gegen ihn ausgesproc­hen wurde und zu dem später der Verdacht kam, er könnte in der Schule als NaziFan aufgetrete­n sein. „Wer im Bierzelt punkten will, kann nicht eine Lesung halten wie vor der höheren Mädchensch­ule“, sagte Aiwanger bei einem Gespräch vor ausländisc­hen Journalist­en in München Ende September. „Das wird natürlich von anderen als Populismus gesehen.“

Über seine Schulzeit will er gar nicht reden. Was damals passiert ist, ist nicht zweifelsfr­ei geklärt. Ein in seiner Schultasch­e gefundenes NaziFlugbl­att habe er nicht verfasst, sagte er zu Beginn der Affäre. In einem Fragebogen, den er beantworte­n musste, stritt er den Vorwurf einer „Nähe zu nationalso­zialistisc­hem Gedankengu­t“in Jugendtage­n aber nicht ab. Warum hat er nicht einfach mit Nein auf die Frage geantworte­t? „Das war schon ein bisschen komplexer, damit hätte ich das nicht abgeräumt gehabt“, sagt Aiwanger auf der Bierbank. „Wenn ich sag: ,Nein‘, dann sagt ein anderer wieder: ,Aber ich habe von ihm einen bösen Witz gehört.‘ Dann hätte der Aiwanger gelogen.“

»Man versteht meinen bayrischen Dialekt auch außerhalb Bayerns«, sagt Hubert Aiwanger.

So gibt Aiwanger – der von sich behauptet, die Dinge beim Namen zu nennen – so wenig wie möglich über seine Teenagerja­hre preis. „Eine Hetzkampag­ne, eine grausliche“, sei das gewesen, sagt ungefragt ein Mittfünfzi­ger, der sich für das Nürnberger Altstadtfe­st eine Lederhose angezogen hat. Es sind Worte, die so oder so ähnlich öfter zu hören sind – auch bei Festen der CSU.

AntiGrün, aber auch AntiAfD, rechts der Mitte, pragmatisc­h. So sieht sich Hubert Aiwanger. Mindestens fünf Prozent würde er der AfD abnehmen, glaubt er. Er wettert gegen das Gendern, sei „für Industrie und Umweltschu­tz“, will die Migrations­frage „aus der politische­n Mitte heraus beantworte­n, damit die Leute nicht alle nach rechts gehen“.

Er sei in Thüringen, Sachsen, Brandenbur­g aufgetrete­n. „Ja, auch dort wurde geklatscht, als der Aiwanger geredet hat“, sagt Aiwanger. „Man versteht meinen bayrischen Dialekt auch außerhalb Bayerns.“Ob man ihn dort wählt, wird sich im Jahr 2025 zeigen.

 ?? //// APA/AFP/Tobias Schwarz ?? „Wer im Bierzelt punkten will, kann nicht eine Lesung halten wie vor der höheren Mädchensch­ule.“
//// APA/AFP/Tobias Schwarz „Wer im Bierzelt punkten will, kann nicht eine Lesung halten wie vor der höheren Mädchensch­ule.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria