Zum Arbeiten unter dem Ahorn
Wie kann Österreich als Ziel für internationale Arbeitskräfte attraktiv werden? Integrationsministerin Susanne Raab reiste vergangene Woche nach Kanada – in jenes Land, das als Vorbild dienen soll, obwohl es doch ganz andere Voraussetzungen hat.
Die österreichische Delegation sitzt in einem Besprechungszimmer in einem Außenbezirk von Toronto und wartet. Die Kugelschreiber schweben schon über dem Papier – das internationale Zeichen, dass es jetzt losgehen kann. Die Kanadierin, die über die Arbeit von Costi, einer Art Arbeitsmarktservice (AMS) in der Provinz Ontario, erzählen soll, bittet aber noch um etwas Geduld. Zuerst möchte sie noch erklären: Man sei sich bewusst, dass das Land, auf dem man lebt, einem nicht gehöre, dass man nur eingewandert sei, in dieses Land, das den First Nation People, also den indigenen Völkern, angestammt war. Obwohl der eigentliche Vortrag erst nach diesen Eröffnungsworten startet, ist damit schon die Grundlage erklärt, warum Kanada bei Einwanderern aus aller Welt so beliebt ist: Die Kanadier verstehen sich fast alle als Einwanderer, als Konglomerat verschiedener Kulturen.
Die Österreicher mit den Kugelschreibern in der Hand, das sind Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) und einige Mitarbeiter aus Kabinett und Ministerium sowie dem Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF). Sie sind hier, um sich anzuschauen, wie Kanada es anstellt, dass internationale Arbeitskräfte gerade dorthin wollen. Österreich brauchte diese Arbeitskräfte selbst dringend, in vielen Berufsfeldern von Pflege bis Tourismus herrscht ein akuter Mangel. „Wir haben die falsche Zuwanderung nach Österreich. Statt illegaler Zuwanderung in unser Sozialsystem brauchen wir legale Zuwanderung in unseren Arbeitsmarkt“, sagt Raab. Um die „unerwünschte“Art der Migration zu verringern, liebäugeln Raab und Kanzler Karl Nehammer bekanntlich mit Modellen, die vorsehen, dass Zuwanderer Sozialhilfen im vollen Umfang erst nach einer gewissen Wartefrist bekommen. Wie aber den zweiten Teil des Unterfangens angehen und die erwünschten Arbeitskräfte nach Österreich bekommen? Das will man sich nun von den Kanadiern zeigen lassen.
Punktesystem. Seit den 1960erJahren reagiert man in Kanada mit einem Punktesystem auf den einst enormen Fachkräftemangel. Einwanderungswillige werden in diversen Kategorien, von Ausbildung über berufliche Qualifikationen bis hin zu Sprachkenntnissen, mit Punkten bewertet. Ein bestimmtes Mindestmaß muss erreicht werden, um sich als Einwanderer zu qualifizieren. Wer das geschafft hat, wird in einen Bewerberpool aufgenommen, daraus wird wiederum pro Jahr eine bestimmte Zahl ausgewählt und eingeladen, sich für eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu bewerben.
Im Unterschied zur Einwanderung nach Österreich über die RotWeißRotKarte müssen Menschen, die nach Kanada migrieren wollen, nicht nachweisen, dass sie bereits eine Jobzusage haben. Sie bekommen für fachliche Qualifikationen zwar Punkte, die die Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis erhöhen, eine Garantie für einen Arbeitsplatz ist das aber nicht. Das führe dazu, dass viele Menschen mit zu hohen Erwartungen nach Kanada kommen, sagt Einwanderungsminister Mark Miller. Raab hat aber ohnehin nicht vor, die Notwendigkeit eines Jobnachweises aus der RotWeißRotKarte zu streichen. Die RotWeißRotKarte, ursprünglich ein Rohrkrepierer, ist 2022 reformiert worden, seither sei die Zahl der Personen, die so nach Österreich kommen, um 47 Prozent gestiegen.
In Ottawa trifft die Delegation Mary Roman. Sie stammt aus Ägypten, wo sie als Kinderärztin arbeitete. Da sie und ihre Familie nach der Revolution 2011 dort nicht mehr sicher gewesen seien, entschieden sie, nach Kanada auszuwandern. Der Prozess bis zur Einwanderungserlaubnis war schnell und unkompliziert. Ganz anders lief das bei der Anerkennung von Romans Doktortitel. Während sie darauf wartete, begann Mary, als medizinische Dolmetscherin zu arbeiten. Irgendwann dauerte es ihr zu lang, und sie sattelte um. Heute ist sie Managerin bei Ociso der Ottawa Community Immigrant Services Organization. Die Organisation wird großteils staatlich finanziert und hat sich zur Aufgabe gemacht, Neuankömmlingen eine geeignete Infrastruktur zur Integration anzubieten – von hochqualifizierten Facharbeitern bis Flüchtlingen. Die Vision ist, „eine lebendige, früchtebringende und inklusive Hauptstadt aufzubauen, gestärkt durch den Beitrag der Migranten“.
„Auch unter den kanadischen Parteien herrscht Konsens darüber, dass Zuwanderung etwas Gutes ist“, erzählt Roman. Die Bedingungen seien dort aber ganz anders als in Österreich, gibt Raab zu bedenken. 60 Prozent jener, die nach Kanada migrieren, wandern als Arbeitskräfte ein, 20 Prozent sind Familiennachzug, 20 Prozent sind Flüchtlinge. Ein Unterschied, der sich vor allem durch die geografische Lage ergebe. „Kanada ist hauptsächlich von Wasser und Eis umgeben, Österreich von mehreren Nachbarländern“, sagt Ministerin Raab. Da der Druck der „illegalen Migration“wegfalle, könne sich Kanada praktisch aussuchen, wer kommt. Warum aber in Österreich nicht aus der Not eine Tugend machen und jene für den Arbeitsmarkt ausbilden, die schon da sind? In dieser Hinsicht versuche man viel, sagt Raab. Es habe sich allerdings gezeigt, dass es viel schwieriger sei, Menschen, die nie zu lernen gelernt hätten, auszubilden.
In Kanada beinhaltet die Beratung für Neuankömmlinge nicht nur Hilfe bei Rechtlichem, Bürokratischem oder bei Sprachkursen. Dort verfolgt man einen ganzheitlichen Ansatz, in dem es um berufliche Netzwerke, Schulen für die Kinder, eine Gesundheitsversorgung oder sogar mitgebrachte Haustiere geht. Ociso bietet etwa auch Sportprogramme an oder hilft Neuankömmlingen, die Geschäftspläne für ihre Startups zu erarbeiten. Das alles klingt so gut, dass die Höhe der Kosten, die Roman nennt, überraschend niedrig wirkt. Für die Betreuung ihrer rund 10.000 Klienten im Jahr benötigt Ociso 9,5 Millionen kanadische Dollar. Möglich sei das, weil sich mehrere Hundert Freiwillige für die Organisation engagieren. Freiwilligenarbeit hat in Kanada eine viel größere Bedeutung als in Europa. Wer in seinem Lebenslauf kein Ehrenamt erwähnt, wird es zum Beispiel bei der Bewerbung für einen CollagePlatz schwerer haben.
Ab den 1960erJahren reagierte Kanada mit einem Punktesystem auf den Fachkräftemangel. »Unter den kanadischen Parteien herrscht Konsens darüber, dass Zuwanderung etwas Gutes ist.«
Raab will diese ganzheitlichen Beratungsangebote für Zuwanderer in den Arbeitsmarkt auch in Österreich etablieren. Koordiniert werden soll das über eine zentrale Stelle, die im ÖIF angesiedelt sein wird. Bei deren Planung befinde man sich laut Ministerium bereits in der finalen Phase. Abschauen will man sich von Kanada auch, dass freiwillige Integrationsprogramme bereits Monate vor der Einreise starten. Wie das in der Praxis aussehen könnte, erfahren Raab und ihre Mitreisenden bei Costi – also dort, wo die Vortragende nun von einem DreiSchritteProgramm erzählt: Noch im Heimatland bekommen die zukünftigen Einwanderer ein Gruppentraining, bei dem sie Basisinformationen über das Leben in Kanada erhalten. Danach startet eine persönliche Beratung, beispielsweise rund um ihre Jobsuche. In einem dritten Schritt wird dann sehr ins Detail gegangen. Die Berater versuchen unter anderem, für ihre Klienten Netzwerke zu finden, die ihnen dann in Kanada zur Verfügung stehen. „Das ist genau das, wonach wir suchen“, sagt Raab.