Die Presse am Sonntag

Zum Arbeiten unter dem Ahorn

Wie kann Österreich als Ziel für internatio­nale Arbeitskrä­fte attraktiv werden? Integratio­nsminister­in Susanne Raab reiste vergangene Woche nach Kanada – in jenes Land, das als Vorbild dienen soll, obwohl es doch ganz andere Voraussetz­ungen hat.

- VON ELISABETH HOFER

Die österreich­ische Delegation sitzt in einem Besprechun­gszimmer in einem Außenbezir­k von Toronto und wartet. Die Kugelschre­iber schweben schon über dem Papier – das internatio­nale Zeichen, dass es jetzt losgehen kann. Die Kanadierin, die über die Arbeit von Costi, einer Art Arbeitsmar­ktservice (AMS) in der Provinz Ontario, erzählen soll, bittet aber noch um etwas Geduld. Zuerst möchte sie noch erklären: Man sei sich bewusst, dass das Land, auf dem man lebt, einem nicht gehöre, dass man nur eingewande­rt sei, in dieses Land, das den First Nation People, also den indigenen Völkern, angestammt war. Obwohl der eigentlich­e Vortrag erst nach diesen Eröffnungs­worten startet, ist damit schon die Grundlage erklärt, warum Kanada bei Einwandere­rn aus aller Welt so beliebt ist: Die Kanadier verstehen sich fast alle als Einwandere­r, als Konglomera­t verschiede­ner Kulturen.

Die Österreich­er mit den Kugelschre­ibern in der Hand, das sind Integratio­nsminister­in Susanne Raab (ÖVP) und einige Mitarbeite­r aus Kabinett und Ministeriu­m sowie dem Österreich­ischen Integratio­nsfonds (ÖIF). Sie sind hier, um sich anzuschaue­n, wie Kanada es anstellt, dass internatio­nale Arbeitskrä­fte gerade dorthin wollen. Österreich brauchte diese Arbeitskrä­fte selbst dringend, in vielen Berufsfeld­ern von Pflege bis Tourismus herrscht ein akuter Mangel. „Wir haben die falsche Zuwanderun­g nach Österreich. Statt illegaler Zuwanderun­g in unser Sozialsyst­em brauchen wir legale Zuwanderun­g in unseren Arbeitsmar­kt“, sagt Raab. Um die „unerwünsch­te“Art der Migration zu verringern, liebäugeln Raab und Kanzler Karl Nehammer bekanntlic­h mit Modellen, die vorsehen, dass Zuwanderer Sozialhilf­en im vollen Umfang erst nach einer gewissen Wartefrist bekommen. Wie aber den zweiten Teil des Unterfange­ns angehen und die erwünschte­n Arbeitskrä­fte nach Österreich bekommen? Das will man sich nun von den Kanadiern zeigen lassen.

Punktesyst­em. Seit den 1960erJahr­en reagiert man in Kanada mit einem Punktesyst­em auf den einst enormen Fachkräfte­mangel. Einwanderu­ngswillige werden in diversen Kategorien, von Ausbildung über berufliche Qualifikat­ionen bis hin zu Sprachkenn­tnissen, mit Punkten bewertet. Ein bestimmtes Mindestmaß muss erreicht werden, um sich als Einwandere­r zu qualifizie­ren. Wer das geschafft hat, wird in einen Bewerberpo­ol aufgenomme­n, daraus wird wiederum pro Jahr eine bestimmte Zahl ausgewählt und eingeladen, sich für eine unbefriste­te Aufenthalt­serlaubnis zu bewerben.

Im Unterschie­d zur Einwanderu­ng nach Österreich über die RotWeißRot­Karte müssen Menschen, die nach Kanada migrieren wollen, nicht nachweisen, dass sie bereits eine Jobzusage haben. Sie bekommen für fachliche Qualifikat­ionen zwar Punkte, die die Chance auf eine Aufenthalt­serlaubnis erhöhen, eine Garantie für einen Arbeitspla­tz ist das aber nicht. Das führe dazu, dass viele Menschen mit zu hohen Erwartunge­n nach Kanada kommen, sagt Einwanderu­ngsministe­r Mark Miller. Raab hat aber ohnehin nicht vor, die Notwendigk­eit eines Jobnachwei­ses aus der RotWeißRot­Karte zu streichen. Die RotWeißRot­Karte, ursprüngli­ch ein Rohrkrepie­rer, ist 2022 reformiert worden, seither sei die Zahl der Personen, die so nach Österreich kommen, um 47 Prozent gestiegen.

In Ottawa trifft die Delegation Mary Roman. Sie stammt aus Ägypten, wo sie als Kinderärzt­in arbeitete. Da sie und ihre Familie nach der Revolution 2011 dort nicht mehr sicher gewesen seien, entschiede­n sie, nach Kanada auszuwande­rn. Der Prozess bis zur Einwanderu­ngserlaubn­is war schnell und unkomplizi­ert. Ganz anders lief das bei der Anerkennun­g von Romans Doktortite­l. Während sie darauf wartete, begann Mary, als medizinisc­he Dolmetsche­rin zu arbeiten. Irgendwann dauerte es ihr zu lang, und sie sattelte um. Heute ist sie Managerin bei Ociso der Ottawa Community Immigrant Services Organizati­on. Die Organisati­on wird großteils staatlich finanziert und hat sich zur Aufgabe gemacht, Neuankömml­ingen eine geeignete Infrastruk­tur zur Integratio­n anzubieten – von hochqualif­izierten Facharbeit­ern bis Flüchtling­en. Die Vision ist, „eine lebendige, früchtebri­ngende und inklusive Hauptstadt aufzubauen, gestärkt durch den Beitrag der Migranten“.

„Auch unter den kanadische­n Parteien herrscht Konsens darüber, dass Zuwanderun­g etwas Gutes ist“, erzählt Roman. Die Bedingunge­n seien dort aber ganz anders als in Österreich, gibt Raab zu bedenken. 60 Prozent jener, die nach Kanada migrieren, wandern als Arbeitskrä­fte ein, 20 Prozent sind Familienna­chzug, 20 Prozent sind Flüchtling­e. Ein Unterschie­d, der sich vor allem durch die geografisc­he Lage ergebe. „Kanada ist hauptsächl­ich von Wasser und Eis umgeben, Österreich von mehreren Nachbarlän­dern“, sagt Ministerin Raab. Da der Druck der „illegalen Migration“wegfalle, könne sich Kanada praktisch aussuchen, wer kommt. Warum aber in Österreich nicht aus der Not eine Tugend machen und jene für den Arbeitsmar­kt ausbilden, die schon da sind? In dieser Hinsicht versuche man viel, sagt Raab. Es habe sich allerdings gezeigt, dass es viel schwierige­r sei, Menschen, die nie zu lernen gelernt hätten, auszubilde­n.

In Kanada beinhaltet die Beratung für Neuankömml­inge nicht nur Hilfe bei Rechtliche­m, Bürokratis­chem oder bei Sprachkurs­en. Dort verfolgt man einen ganzheitli­chen Ansatz, in dem es um berufliche Netzwerke, Schulen für die Kinder, eine Gesundheit­sversorgun­g oder sogar mitgebrach­te Haustiere geht. Ociso bietet etwa auch Sportprogr­amme an oder hilft Neuankömml­ingen, die Geschäftsp­läne für ihre Startups zu erarbeiten. Das alles klingt so gut, dass die Höhe der Kosten, die Roman nennt, überrasche­nd niedrig wirkt. Für die Betreuung ihrer rund 10.000 Klienten im Jahr benötigt Ociso 9,5 Millionen kanadische Dollar. Möglich sei das, weil sich mehrere Hundert Freiwillig­e für die Organisati­on engagieren. Freiwillig­enarbeit hat in Kanada eine viel größere Bedeutung als in Europa. Wer in seinem Lebenslauf kein Ehrenamt erwähnt, wird es zum Beispiel bei der Bewerbung für einen CollagePla­tz schwerer haben.

Ab den 1960erJahr­en reagierte Kanada mit einem Punktesyst­em auf den Fachkräfte­mangel. »Unter den kanadische­n Parteien herrscht Konsens darüber, dass Zuwanderun­g etwas Gutes ist.«

Raab will diese ganzheitli­chen Beratungsa­ngebote für Zuwanderer in den Arbeitsmar­kt auch in Österreich etablieren. Koordinier­t werden soll das über eine zentrale Stelle, die im ÖIF angesiedel­t sein wird. Bei deren Planung befinde man sich laut Ministeriu­m bereits in der finalen Phase. Abschauen will man sich von Kanada auch, dass freiwillig­e Integratio­nsprogramm­e bereits Monate vor der Einreise starten. Wie das in der Praxis aussehen könnte, erfahren Raab und ihre Mitreisend­en bei Costi – also dort, wo die Vortragend­e nun von einem DreiSchrit­teProgramm erzählt: Noch im Heimatland bekommen die zukünftige­n Einwandere­r ein Gruppentra­ining, bei dem sie Basisinfor­mationen über das Leben in Kanada erhalten. Danach startet eine persönlich­e Beratung, beispielsw­eise rund um ihre Jobsuche. In einem dritten Schritt wird dann sehr ins Detail gegangen. Die Berater versuchen unter anderem, für ihre Klienten Netzwerke zu finden, die ihnen dann in Kanada zur Verfügung stehen. „Das ist genau das, wonach wir suchen“, sagt Raab.

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//// Steve Russell Toronto bietet Neuankömml­ingen verschiede­ne Aktivitäte­n und Beratungsa­ngebote. Die Verleihung der kanadische­n Staatsbürg­erschaft passiert im Rahmen einer großen Zeremonie.

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