Der Herbst von Türkis-Grün
Ist die besser als ihr Ruf? Möglicherweise. Der Juniorpartner ist schon jetzt im grünen Bereich. Es wäre allerdings noch einiges zu tun.
Es war eine typische Woche für die Koalition aus Türkis und Grün. Da ein weltanschaulich tiefer Graben, dort die Abarbeitung eines vereinbarten Projekts. Zuerst der Zwist um die Abschiebung von 40 Irakern – durchgeführt vom ÖVPInnenministerium, scharf kritisiert von den Grünen. Dann die gemeinsame Präsentation des lang erwarteten Informationsfreiheitsgesetzes, also die weitgehende Abschaffung des Amtsgeheimnisses, am Donnerstag.
Ebenso diese Woche, am Dienstagabend, wurde der Rahmen für den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern vorgestellt. Und erst unlängst wurde ein Langzeitproblem der Zweiten Republik entschärft, die kalte Progression. Arbeitseifer fünf vor zwölf.
Regierungen kommen oft erst in der Nachbetrachtung zu Ehren. Am Ende der Ära von Bruno Kreisky überwog das Bild einer ausgelaugten SPÖ, des Schuldenbergs, einer maroden Verstaatlichten und diverser Skandale. Am Ende der Ära von Wolfgang Schüssel das Bild von sozialer Kälte und Machtmissbrauch. Erst später wurden – nicht zuletzt im Vergleich mit den Nachfolgeregierungen – die Leistungen entsprechend gewürdigt. Der gesellschaftspolitische Aufbruch der KreiskyZeit, die Reformen (Pensionen, Polizei etc.) der SchüsselZeit.
Möglicherweise ist auch diese Regierung besser als ihr derzeitiger Ruf. Nach einem ambitionierten Start war sie gleich einmal von einer neuen, unerwarteten Realität eingeholt worden, der Coronapandemie. Es folgte ein monatelanges Austarieren von Maßnahmen und Lockerungen im Spannungsfeld von Freiheit und Tod.
Danach und zwischendurch ging die Regierung daran, ihre Vorhaben abzuarbeiten, die vereinbarten (wie die ökosoziale Steuerreform) und die aufgezwungenen (wie die ORFReform). Und es folgten weitere unerwartete Herausforderungen: der UkraineKrieg, die Inflation. Und ein zweifacher Kanzlerwechsel.
Man konnte es dabei nicht allen recht machen. Vieles war tatsächlich ein Kompromiss zweier Welten, manches ist zwar beschlossen, aber noch gar nicht verwirklicht. Auch der Finanzausgleich muss erst mit Leben erfüllt werden. Es ist aber doch recht viel geschehen. Vom Klimaticket über den Klimabonus bis zur Kindergarten und Pflegemilliarde. Wie der Name schon sagt: Es wurde in erster Linie viel Geld ausgegeben. Aber immerhin halbwegs nachvollziehbar in den meisten Fällen. Das Bundesheer wurde ebenso – auch finanziell – aufgewertet.
Dazu kamen eine Mietrechtsnovelle, ein Antikorruptionspaket, ein neues Parteiengesetz. Bei genauerer Betrachtung könnte man sogar sagen: Der kleinere Koalitionspartner, die Grünen, hat bisher überproportional viel von seinen Vorhaben durchgesetzt.
Etliches liegen geblieben. Es ist bisher allerdings auch noch Etliches liegen geblieben. Im Herbst von TürkisGrün, ein Jahr vor dem (geplanten) Ende der Legislaturperiode. Das Bundesverwaltungsgericht hat noch immer keinen Chef, die Bundeswettbewerbsbehörde auch nicht. Hier blockiert sich die Regierung gegenseitig. Ein Klimaschutzgesetz wird es wohl nicht mehr geben. Die ÖVP will es eigentlich nicht, sie sieht es als Absichtserklärung mit
Selbstfesselungscharakter, die nur Probleme verursachen würde. Die Grünen habe ihre Energie nun auf das ErneuerbareWärmeGesetz verlegt, aber auch dieses Paket möchte die ÖVP wieder aufschnüren. Der Ausstieg aus Öl und Gas beim Heizen geht ihr nun zu weit. Weiters fehlt etwa auch noch das automatische Pensionssplitting.
Regierungen kommen oft erst in der Nachbetrachtung so wirklich zu Ehren.
Viele der umgesetzten Vorhaben waren tatsächlich ein Kompromiss zweier Welten.
Im Justizbereich ist ebenfalls einiges offen, etwa der geplante Bundesstaatsanwalt bzw. Generalstaatsanwalt. Beim Familienrecht ist sich sogar der Juniorpartner untereinander nicht ganz grün. Hier trifft gewissermaßen der progressive Flügel der Grünen auf den feministischen. Die einen wollen die Rechte moderner Väter stärken, die anderen die Vorrechte der Mütter erhalten. Etwa bei der Frage nach dem Wohnsitz der Kinder im Scheidungsfall.