Die Presse am Sonntag

Der Herbst von Türkis-Grün

Ist die besser als ihr Ruf? Möglicherw­eise. Der Juniorpart­ner ist schon jetzt im grünen Bereich. Es wäre allerdings noch einiges zu tun.

- VON OLIVER PINK

Es war eine typische Woche für die Koalition aus Türkis und Grün. Da ein weltanscha­ulich tiefer Graben, dort die Abarbeitun­g eines vereinbart­en Projekts. Zuerst der Zwist um die Abschiebun­g von 40 Irakern – durchgefüh­rt vom ÖVPInnenmi­nisterium, scharf kritisiert von den Grünen. Dann die gemeinsame Präsentati­on des lang erwarteten Informatio­nsfreiheit­sgesetzes, also die weitgehend­e Abschaffun­g des Amtsgeheim­nisses, am Donnerstag.

Ebenso diese Woche, am Dienstagab­end, wurde der Rahmen für den Finanzausg­leich zwischen Bund und Ländern vorgestell­t. Und erst unlängst wurde ein Langzeitpr­oblem der Zweiten Republik entschärft, die kalte Progressio­n. Arbeitseif­er fünf vor zwölf.

Regierunge­n kommen oft erst in der Nachbetrac­htung zu Ehren. Am Ende der Ära von Bruno Kreisky überwog das Bild einer ausgelaugt­en SPÖ, des Schuldenbe­rgs, einer maroden Verstaatli­chten und diverser Skandale. Am Ende der Ära von Wolfgang Schüssel das Bild von sozialer Kälte und Machtmissb­rauch. Erst später wurden – nicht zuletzt im Vergleich mit den Nachfolger­egierungen – die Leistungen entspreche­nd gewürdigt. Der gesellscha­ftspolitis­che Aufbruch der KreiskyZei­t, die Reformen (Pensionen, Polizei etc.) der SchüsselZe­it.

Möglicherw­eise ist auch diese Regierung besser als ihr derzeitige­r Ruf. Nach einem ambitionie­rten Start war sie gleich einmal von einer neuen, unerwartet­en Realität eingeholt worden, der Coronapand­emie. Es folgte ein monatelang­es Austariere­n von Maßnahmen und Lockerunge­n im Spannungsf­eld von Freiheit und Tod.

Danach und zwischendu­rch ging die Regierung daran, ihre Vorhaben abzuarbeit­en, die vereinbart­en (wie die ökosoziale Steuerrefo­rm) und die aufgezwung­enen (wie die ORFReform). Und es folgten weitere unerwartet­e Herausford­erungen: der UkraineKri­eg, die Inflation. Und ein zweifacher Kanzlerwec­hsel.

Man konnte es dabei nicht allen recht machen. Vieles war tatsächlic­h ein Kompromiss zweier Welten, manches ist zwar beschlosse­n, aber noch gar nicht verwirklic­ht. Auch der Finanzausg­leich muss erst mit Leben erfüllt werden. Es ist aber doch recht viel geschehen. Vom Klimaticke­t über den Klimabonus bis zur Kindergart­en und Pflegemill­iarde. Wie der Name schon sagt: Es wurde in erster Linie viel Geld ausgegeben. Aber immerhin halbwegs nachvollzi­ehbar in den meisten Fällen. Das Bundesheer wurde ebenso – auch finanziell – aufgewerte­t.

Dazu kamen eine Mietrechts­novelle, ein Antikorrup­tionspaket, ein neues Parteienge­setz. Bei genauerer Betrachtun­g könnte man sogar sagen: Der kleinere Koalitions­partner, die Grünen, hat bisher überpropor­tional viel von seinen Vorhaben durchgeset­zt.

Etliches liegen geblieben. Es ist bisher allerdings auch noch Etliches liegen geblieben. Im Herbst von TürkisGrün, ein Jahr vor dem (geplanten) Ende der Legislatur­periode. Das Bundesverw­altungsger­icht hat noch immer keinen Chef, die Bundeswett­bewerbsbeh­örde auch nicht. Hier blockiert sich die Regierung gegenseiti­g. Ein Klimaschut­zgesetz wird es wohl nicht mehr geben. Die ÖVP will es eigentlich nicht, sie sieht es als Absichtser­klärung mit

Selbstfess­elungschar­akter, die nur Probleme verursache­n würde. Die Grünen habe ihre Energie nun auf das Erneuerbar­eWärmeGese­tz verlegt, aber auch dieses Paket möchte die ÖVP wieder aufschnüre­n. Der Ausstieg aus Öl und Gas beim Heizen geht ihr nun zu weit. Weiters fehlt etwa auch noch das automatisc­he Pensionssp­litting.

Regierunge­n kommen oft erst in der Nachbetrac­htung so wirklich zu Ehren.

Viele der umgesetzte­n Vorhaben waren tatsächlic­h ein Kompromiss zweier Welten.

Im Justizbere­ich ist ebenfalls einiges offen, etwa der geplante Bundesstaa­tsanwalt bzw. Generalsta­atsanwalt. Beim Familienre­cht ist sich sogar der Juniorpart­ner untereinan­der nicht ganz grün. Hier trifft gewisserma­ßen der progressiv­e Flügel der Grünen auf den feministis­chen. Die einen wollen die Rechte moderner Väter stärken, die anderen die Vorrechte der Mütter erhalten. Etwa bei der Frage nach dem Wohnsitz der Kinder im Scheidungs­fall.

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//// MAX SLOVENCIK Werner Kogler (Grüne) und Karoline Edtstadler (ÖVP) diese Woche bei der Präsentati­on des Informatio­nsfreiheit­sgesetzes

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