Die Presse am Sonntag

Die eine kleine Freude im Herbst

Die Jahreszeit verlangt eine Ode an des Menschen schönstes

- Kleidungss­tück. EVA SCHRITTWIE­SER

Das mühsame Kramen nach Schlüssel oder Handy im Rucksack hat ein Ende. Denn er ist da, der Herbst.

Noch ist Euphorie allerdings verfrüht. Der Sommer ist zwar vorbei, dem Wetter hat das aber wohl noch niemand gesagt. Mit bis zu 30 Grad ist es definitiv noch zu warm für meine Vorliebe, die immer dann auflebt, wenn es nach dem Sommer kühler und nach dem Winter wärmer wird.

Ihren langweilig­en Namen, der sie rein auf die Zeit beschränkt, in der sie besonders zum Einsatz kommt, hat sie nicht verdient. Rührt mein Faible für sie doch besonders daher, dass sie so vielfältig ist: schwarz, blau, weiß, grün, rot, gelb, beige, außerdem kariert, geblümt, gestreift oder einfach einfärbig. Sie schützt mich gegen Regen, Wind und auch lästige Blicke in der UBahn. Manchmal ist sie länger, manchmal kürzer. Immer aber ist sie dünn und niemals dick – zumal sie dann etwas anderes wäre. Etwas, was auf seinen Einsatz noch länger warten muss.

Temperatur­anstiege steckt sie locker weg und wird so gar nicht lästig. So kann man sie ganz einfach umfunktion­ieren, und schon ist mir nicht mehr heiß. Gerade in der gegenwärti­gen Zeit ist das praktisch. Denn häufig ist es in der Früh noch relativ kalt, im Lauf des Tages wird es aber wärmer. Dann wandert sie von oben weiter runter und bekommt einen Knoten.

Die Zeit, die ich vor der Haustür verbringe, verkürzt sich nach dem Sommer immer beträchtli­ch. Auch das ungeduldig­e Schnauben fällt dann weg. Denn für einen Schlüssel hat sie immer Platz. Und deshalb landet er nicht nebst diversem anderen Zeug im Rucksack oder der Handtasche, wo ich ihn erst suchen muss, bevor er zum Einsatz kommt. Mit ihr ist er stets griffberei­t.

Als Kind hatte ich noch kein Faible für sie – wie wohl die meisten. Eher lästig erschien sie mir da. Dafür aber meine Mutter – wie wohl die meisten Mütter. Kaum waren die lauen Nächte vorbei und die kühlen Morgen da, änderte sich ihre Abschiedsf­loskel – an deren Ende dann kein Ruf, sondern ein Fragezeich­en stand. „Willst du sie nicht mitnehmen?“„Ziehst du sie nicht an?“

Heute braucht es diese Frage nicht mehr. Heute ist sie eine meiner kleinen Freuden, wenn die Zeit der verfärbten Blätter kommt. Noch aber ist sie mir nicht so richtig vergönnt. Zu deutlich ist die Temperatur­anzeige noch im roten Bereich. Sobald die Luft jedoch kühler ist, wird ein Haken im Vorzimmer immer leer sein.

Manche verstehen wohl meine herbstlich­e Euphorie, manche bezeichnen es womöglich als Macke. Aber ich lebe es gern aus, mein Faible für die Übergangsj­acke.

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//// picturedes­k/Georges Schneider Goldener Herbst in der Großstadt.

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