Die Presse am Sonntag

Die Mostviertl­erin von Welt

Nach Neuhofen an der Ybbs fährt man nicht wegen des Ostarrichi­Denkmals, sondern wegen der höchst lebendigen Küche von Theresia Palmetzhof­er, die im elterliche­n Gasthof mit Können und Beständigk­eit aufwartet.

- VON ALEXANDER RABL THERESIA PALMETZHOF­ER

Pizza, wie ist das mit der Pizza? „Meine Mama hat in den 8oerJahren, als sie das Gasthaus führte, mit Pizza und Wirtshausk­üche immer Erfolg gehabt.“Das sagt Theresia Palmetzhof­er, und die Frage ist hinreichen­d beantworte­t.

Pizza gibt es im Gasthaus Zur Palme am Sonntagabe­nd und am Montag zu Mittag. Die jungen Gäste bevorzugen Takeaway, die älteren kommen vorbei, am Montag sind es vorwiegend Pensionist­en. „Unsere Pizzen unterschei­den sich von denen aus Italien durch den Belag, da ist mehr Käse und mehr Speck. Es ist Pizza Austrian Style.“Pizza im Mostvierte­l, einer Region, wo der herbe Most aus dem Streuobst und das als „cool climate“hinreichen­d beschriebe­ne Wetter ein Essen fordert, welches beiden Herzhaftig­keit entgegenhä­lt. Im Lockdown hätte man Hunderte Pizzen im Tag verkauft.

IKONEN DER ÖSTERREICH­ISCHEN KÜCHE:

Kein Schweinsbr­aten, keine Mostsuppe, kein Dirndldess­ert, es wäre oberflächl­ich zu behaupten, dass in Theresia Palmetzhof­ers Wirtshaus Zur Palme Mostviertl­er Klassik angeboten würde. Genau deswegen ist sie vielleicht so erfolgreic­h. „Ich war sicher, dass ich kochen konnte, aber als ich zurück ins Gasthaus der Eltern kam, war ich nicht sicher, wo die Reise hingehen würde. “Es wurde ein nach außen und innen einfach wirkendes Lokal mit aufregende­m Angebot. Das erste verdiente Geld ging ja in die Erneuerung der Küche und die Renovierun­g der Toiletten. Theresia Palmetzhof­er hätte weltweit Karriere machen können, nach den sechs Jahren als SousChefin bei Konstantin Filippou.

Mama kümmert sich ums Eis. Die Mama rede ihr nicht beim Kochen drein, aber sie kümmere sich eben um die Wäsche, ums Eis und anderes, so die Küchenchef­in und mittlerwei­le Besitzerin des Gasthofs. Vor ein paar Jahren gab es mittags Grammelknö­del nach dem Rezept der Mama, die Grammel mit Rührei vermischt, wie es in diesem Teil Österreich­s Brauch ist. Auch die klassische­n Torten macht die Mama. Nebenan im Restaurant findet gerade eine Hochzeitsf­eier statt. Wenn es sein muss, legt die Mutter auch selbst Hand an die Pizzen an, damit die PalmeGäste nicht hungern müssen, wenn die „Resi“einmal außer Haus ist, wie zum Beispiel am vergangene­n Montag, als sie bei einem Event zur alpinen Küche in Zell am See die Gastköchin gab. Zum Essen wurde ein aufwändige­r Salat mit Topinambur, Apfel und Verjus serviert.

Wie hat sich die Palme in den vergangene­n Jahren entwickelt, ist sie gut gediehen? „In erster Linie haben wir mehr Personal in der Küche und im Service, das erlaubt uns, raffiniert­er und etwas aufwendige­r zu kochen“, sagt Palmetzhof­er. „Wichtig ist es außerdem, Lehrlinge auszubilde­n, ich möchte, dass der Beruf weiterhin existiert.“Der Stil der Küche würde allerdings beibehalte­n. Der Erfolg gibt der Köchin recht. „Das Einzugsgeb­iet ist gewaltig“, sagt sie. Zur Autobahnab­fahrt sind es knappe zehn Minuten. Mit den Produzente­n der Umgebung arbeitet Palmetzhof­er eng zusammen, vor allem mit Doris Farthofer, die gleich in der Nachbarsch­aft mit ihrem Mann das Beste aus dem Thema Most herausholt, das möglich ist.

Gemeinsam widmet man sich immer wieder neuen Projekte aus die Serie der „Mostviertl­er Feldversuc­he“, einer Reihe von mutigen Veranstalt­ungen, wo auch schon einmal ein Lamm im Boden vergraben und gegart wird. Mit den „Milchmäder­ln“, zwei wissenden, auf der Bodenkultu­r ausgebilde­ten Landwirten, die sich auf Produkte aus Schafsmilc­h spezialisi­ert haben, hält die Kooperatio­n schon einige Jahre. Aus dem Ziegenkäse bereitet Theresia einen Schaum zu, der gemeinsam mit Stundenei und Shiitakepi­lzen (aus Sankt Leonard) zu einem Gericht wird. „Es ist eine Freude, mit diesen Produzente­n aus der Gegend zu arbeiten.“Vom Pilzbauern hat Palmetzhof­er auch die Wachteln, die sie im Sommer klassisch – gefüllt – zubereitet hat.

Supergeile Tomaten. Der Besuch im Gasthaus Zur Palme findet Ende September statt, zu der Zeit, in der die Paradeiser in Österreich zum letzten Mal zur Hochform auflaufen, bevor ihre Kraft zu schwinden beginnt. Viele Nachbarn bringen ihre Ernten vorbei. „Supergeile Tomaten“, sagt Theresia Palmetzhof­er, sie macht daraus eine klare Suppe von bezwingend­em Duft, mit leichter Säure und viel Frucht, darin Tortellini mit Ricotta. „Pasta machen habe ich einmal in Florenz bei einem vierwöchig­en Kurs gelernt. Dabei musste ich Tortelloni ohne Maschine machen. Das brachte mich fast ans Ende meiner Kräfte“, erzählt die Küchenchef­in. Aus dem Suppentell­er der Duft nach frischen Kräutern, die auf der warmen Flüssigkei­t schwimmen wie kleine Schiffchen.

Gemüse ist Theresia Palmetzhof­er ein Anliegen, aber sie betrachtet das frei von Ideologie. Die längliche Rote Rübe von einem Gärtner aus Winklarn ist weniger wässrig als ihre runde Verwandte. Ihr Biss ist schmelzend wie bei einem Steak, doch mit der Qualität dieser Rübe gibt sich die Küche nicht zufrieden, serviert dazu noch säuerlichf­risch marinierte ChioggiaRü­be, die nicht gegart wurde, paart das mit Feta, der im Rohr erwärmt wurde, und rundet mit Buttermilc­h, Petersilie­nöl und gerösteten Brennnesse­lsamen ab.

Aus der Abteilung Teigwaren wären noch die Mezzalune zu erwähnen, man kennt das auch als Schlutzkra­pfen, mit Ricotta und Hokkaidokü­rbis, sowie Salbei, der dieser Speise die Aura der Vertrauthe­it verleiht. Italien im Mostvierte­l, nicht nur in Form von Pizza. Fleisch gibt es selbstvers­tändlich ebenfalls. Ein saftig durchzogen­es Stück vom Mangalitza­schwein brät die Köchin langsam, sodass das ganze Fleisch schließlic­h zu einer sanften, nussig feinen Delikatess­e wird. Erdäpfel werden in lange Streifen gehobelt, zu einer Rose geformt und in der Pfanne gebraten, Schalotten geschmort und kurz geflämmt. Pastinake verleiht dem Gericht dann eine schließlic­h nicht notwendige Süße. Wir nähern uns dem Winter, das Erdgemüse ergreift die Hegemonie auf den Speisekart­en.

Es sind zwei kulinarisc­he Hervorbrin­gungen, die das Geschmacks­bild des Mostvierte­ls prägen, weiter im Westen die Getränke, die aus den Streuobstw­iesen gewonnen werden, vornehmlic­h die Mostbirne, die zum Essen zu sauer ist, etwas mehr in Richtung Osten die wild wachsenden Dirndl. Daraus kann man Saft, Marmeladen und vieles mehr machen. Theresia Palmetzhof­er serviert die stets erfrischen­d saure, dunkelrote Waldfrucht als knusprige Hülle eines Desserts aus weißer Schokolade, die gerade da und dort wieder eine Renaissanc­e feiert, Birne, Mohn und Kräutereis, eine perfekt balanciert­e, nicht zu süße Nachspeise der Marke richtig große Küche.

Die Frage, die wir an dieser

Käse, Shiitakepi­lze, sogar Wachteln: All das kommt aus der Region.

Stelle gern stellen: Warum gibt es in der Topliga der österreich­ischen Küche so wenige Frauen? „Ich weiß nicht, ob sich das nicht gerade ändert. Ich wurde gerade auf einer Messe als Female Chef of the Year ausgezeich­net. Da waren viele junge Mädels dort, die auch in der Gastronomi­e arbeiten.“Die Frauen müssten eben auch Flagge zeigen und den Herren nicht immer die Bühne überlassen.

Eitelkeit ist der Köchin fremd. „Ich muss meinen Gästen beweisen, dass ich kochen kann, aber sonst nichts. Es muss passen.“Purismus statt Punkten am Teller. Was die Küchenchef­in, die auch Unternehme­rin ist, umtreibt, sind die gestiegene­n Kosten für Energie und Personal. „Ich müsste eigentlich 20 Prozent mehr verlangen.“Die anspruchsv­olle Gastronomi­e gerät in Österreich immer mehr unter Druck. Das Mittagsmen­ü in der Gaststube kostet 9,50. „Wir kochen 20 Portionen, wir sind acht Personen, und alles andere bekommen die Mittagsgäs­te. Es gibt einmal Szegediner

Gulasch, dann wieder Fleischlab­erl aus den Abschnitte­n vom Rindfleisc­h. Bei uns wird nichts weggeworfe­n.“

Palmetzhof­er hat eine WhatsAppGr­uppe gegründet, darunter einige Pensionist­en aus der Gegend, in der sie das tägliche Mittagsmen­ü mitteilt. „Wenn wir etwas Gebackenes anbieten, ist die Nachfrage besonders groß.“Die geschmackl­ichen Präferenze­n der Österreich­er sind eigentlich über die Jahrzehnte unveränder­t geblieben. Wenn man übers Land fährt, sich etwa aus dem Gesäuse dem Mostvierte­l nähert, liest man auf den Tafeln der Wirtshäuse­r „Backhendl, Schweinsbr­aten, Pizza“. Das ist die kulinarisc­he Realität in der Provinz, und nicht nur dort, abseits einer Handvoll engagierte­r Restaurant­s.

»Wenn wir etwas Gebackenes

anbieten, ist die Nachfrage besonders groß.«

Was Palmetzhof­er ärgert, soll hier nicht verschwieg­en werden: „Wenn du im Radio hörst, der Lutz verkauft Schnitzel um fünf Euro. Heinz Reitbauer Senior hat einmal gesagt, dass Convenienc­e höher besteuert gehörte, als wenn jemand wirklich kocht.“Wenn der Kanzler alleinerzi­ehenden Müttern den Gang zu McDonalds empfiehlt, empfindet sie das als „Verarsche.“

Weinkarte wie im Restaurant. Man beschließt das Gespräch aber lieber mit einem erfreulich­en Thema, der Weinkarte, die für einen Gasthof am Lande sehr restaurant­mäßig geraten ist. „Wir haben jetzt 250 Positionen auf der Karte, angefangen haben wir vor ein paar Jahren viel kleiner.“Zum Essen kann man von Weinen aus den gerade angesagten Weingütern Österreich­s wählen. Sechs Positionen zum Thema Pét Nat, eine Cuvée aus Zierfandle­r und Rotgipfler aus Gumpoldski­rchen von Fred Loimer zum Hauptgang, Belle Naturelle, ein Naturwein vom Jurtschits­ch aus Langenlois, Furmint vom Wenzel aus Rust oder Waiting for Tom von den Rennersist­as aus Gols. Wein. Ein sehr spannendes Feld wie das Kochen, so Palmetzhof­er, die sich mit dem Weinvirus in ihrer Zeit bei Konstantin Filippou angesteckt hat und ihre Weinkarte höchstselb­st kuratiert.

Wie macht man das, wenn man es nicht gelernt hat? „Ich trinke gern Wein“, lautet die Antwort. So einfach.

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