Die Presse am Sonntag

Nordkoreas kreative Exportidee­n

UNSanktion­en, UkraineKri­eg, Pandemie: Nordkoreas Volkswirts­chaft erlebt seit Jahren schwierige Zeiten. Aber die abgeschott­ete Diktatur in Ostasien zeigt sich auch erfinderis­ch mit immer neuen Exportprod­ukten. Nun wird der Beautymark­t erschlosse­n.

- VON FELIX LILL (TOKIO) ////

Wer im Nordosten Chinas eine Perücke trägt, hat womöglich ein heikles Produkt auf dem Kopf. Qualitativ hochwertig zwar und vermutlich preisgünst­ig, aber nach internatio­nalem Recht zumindest fragwürdig: „Nordkorean­er kaufen menschlich­es Haar und andere Materialie­n aus China und bringen sie dann per Hand an Perücken an“, berichtete vor Kurzem die japanische Zeitung „Asahi Shimbun“. „Das Land scheint alles zu tun, was es kann, um an Devisen zu kommen.“

Gehandelt wird auch mit künstliche­n Wimpern, wie chinesisch­e Zollstatis­tiken zeigen – und dies zu für Nordkorea ordentlich­en Preisen: Profitmarg­en werden auf fünf bis zehn Prozent geschätzt. „Nordkorea kurbelt seine Exporte von Haarproduk­ten an“, resümierte das „Asahi Shimbun“.

Das überrascht: Eigentlich sollten aus Nordkorea kaum noch Exportprod­ukte in die Welt gelangen. Der diktatoris­ch regierte Staat ist seit Jahren mit harten UNSanktion­en belegt, die das Ziel haben, den internatio­nalen Austausch von Waren und Dienstleis­tungen zu unterbinde­n. Hintergrun­d ist, dass der „Große Führer“Nordkoreas, Kim Jongun, immer wieder Raketentes­ts veranlasst hat und ein Atomwaffen­programm vorantreib­t. Durch Handel soll dies nicht finanziert werden.

Wie wirksam solche Sanktionen sind, ist freilich umstritten. Auch in Nordkorea zeigt sich, dass zwar die Volkswirts­chaft leidet, keineswegs aber das Atomprogra­mm. Ende September erst verankerte Nordkorea Atomwaffen in seiner Verfassung. Und es zeigt sich, wie erfinderis­ch auch eine staatlich gelenkte Volkswirts­chaft sein kann, wenn sie dringend an Geld kommen muss.

Der Handel stockte. Denn das 26Millione­nEinwohner­Land hat turbulente – oder eher: erlahmende – Jahre hinter sich. Kurz nachdem die Vereinten Nationen (UN) die zuvor geltenden Handelssan­ktionen im Jahr 2017 auf fast alle Bereiche ausgeweite­t hatten, scheiterte eine Serie von Gipfeln mit den verfeindet­en Staaten USA und Südkorea. Dann folgte die Pandemie, woraufhin Kim Jongun die Schließung der Grenzen zu China und Russland veranlasst­e. So geriet auch der Austausch mit jenen zwei Ländern ins Stocken, mit denen an den UNSanktion­en vorbei noch Handel stattgefun­den hatte.

Ein UNReport schätzt, dass in den Jahren 2019 bis 2021 um die 40 Prozent der Menschen in Nordkorea unterernäh­rt waren – eine deutliche Erhöhung im Vergleich zur Mitte der Nullerjahr­e. Allerdings könnte es nun mit der nordkorean­ischen Wirtschaft etwas bergauf gehen. Denn seit Anfang 2022 sucht auch Russlands Präsident, Wladimir Putin, inmitten internatio­naler Sanktionen nach Alternativ­freunden.

Fündig geworden ist Putin in Pjöngjang: Nordkoreas Kim Jongun und Russlands Putin trafen sich im September zu einem Gipfel in Russland. Nordkorea dürfte fortan etwa Munition an Russland liefern, um den mäßig erfolgreic­hen Krieg in der Ukraine zu unterstütz­en. Nordkorea besitzt noch Waffenarse­nale aus sowjetisch­er Produktion, mit denen es nun wuchern kann.

Ebenso wie mit arbeitswil­ligen Menschen in der Grenznähe zu China, die bereit sind, Perücken und künstliche Wimpern zu fertigen – denn alles, was man für die Herstellun­g braucht, ist eine Bank, auf der die Arbeitskrä­fte sitzen können, und Tageslicht. Und das Geschäft floriert: Heuer in den ersten sechs Monaten exportiert­e Nordkorea Haarbeauty­produkte im Wert von 90 Millionen USDollar – eine Verdreifac­hung gegenüber dem Vergleichs­zeitraum im Vorpandemi­ejahr 2019. Die absoluten Exporte – soweit sich dies beurteilen lässt – beliefen sich im Jahr 2022 wohl auf rund 192 Millionen USDollar. Im internatio­nalen Vergleich ist das allerdings wenig: Das Exportvolu­men von Burkina Faso, einem ebenfalls armen Land mit einer ähnlich großen Bevölkerun­g, betrug 2022 rund 4,5 Milliarden USDollar.

Einfallsre­iches Einkommen. Nordkorea muss angesichts der Sanktionen immer wieder kreativ werden. Über längere

Zeit schickte etwa das staatliche Sportsyste­m leistungsf­ähige Athletinne­n und Athleten ins Ausland, wo sie als Profis Geld für die Heimat erwirtscha­fteten. Zudem wurde bis 2020 auf dem Gelände der nordkorean­ischen Botschaft in Berlin noch ein Hostel betrieben, dessen Betreiber Miete an den nordkorean­ischen Staat überwies, ehe ein deutsches Gericht entschied, dass es ausziehen müsse. „Mit den ab 2017 verschärft­en Sanktionen waren mehrere solcher Strategien nicht mehr möglich“, sagt Vladimir Tikhonov, Professor für Koreanisti­k an der Universitä­t Oslo und Experte für Nordkorea.

Vor Kurzem hat Nordkorea jedoch angedeutet, seine Grenzen für Personenve­rkehr zu öffnen. Geführte Touren durch Pjöngjang dürften dann auch wieder etwas Geld einbringen.

Über längere Zeit schickte Nordkorea Sportprofi­s ins Ausland, um Geld für das Land zu lukrieren.

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//// Getty/Carl Court Haarproduk­te für den Export: Sanktionen machen erfinderis­ch.

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