Die Presse am Sonntag

»Fast hätt‘s mich selbst erwischt«

Gilt im Rennsport als Legende – als Fotograf, der hautnah dabei war. Seine besten Arbeiten aus einer besonders wilden Zeit liegen nun in einem gewichtige­n Bildband vor.

- VON VON TIMO VÖLKER

Mehr Wiedersehe­n geht nicht: Als Rainer Schlegelmi­lch durch das Geläuf der kalifornis­chen Rennstreck­e Laguna Seca streift, werden die Bilder in dem Buch, das er in einem Trolley hinter sich herzieht, wieder lebendig.

Es ist ein gewichtige­s Werk, schon wegen der sechs Kilogramm, die es auf die Waage bringt, und weil die fotografis­che Arbeit eines Vierteljah­rhunderts darin steckt. Schlegelmi­lchs Band hält die wohl aufregends­te, wildeste Epoche des Motorrenns­ports fest – die Jahre zwischen 1959 und 1984. Eine noch ungezügelt­e Zeit. Auch eine brutale.

Viele, ja Dutzende Rennfahrer starben in haarsträub­end schnellen, dünn verkleidet­en Autos, die ihren Insassen bei einem Crash so gut wie keinen Schutz boten. Man nahm es hin wie Kriegseins­ätze. In Le Mans kam Jackie

Oliver 1971 im Porsche 917 auf 250 km/h – Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit.

Auf der langen Hunaudière­sGeraden kratzten die schnellste­n Rennwagen an der 400km/hMarke. Die fünf Kilometer „flat out“wurden erst mit einer Schikane entschärft, nachdem der Österreich­er Jo Gartner dort gestorben war: Reifenplat­zer bei Tempo 300.

Hier, unter der kalifornis­chen Spät

Aber hier, unter der kalifornis­chen Spätsommer­sonne, sind die Überlebend­en. Sie feiern ein Fest. Auf dem Kurs nahe dem Küstenstäd­tchen Monterey, zwei Stunden von San Francisco entfernt, hat der Porsche Club of America mit Stuttgarte­r Support zur „Rennsport Reunion“geladen. Ein Happening, das bereits zum siebten Mal stattfinde­t : Die alten Rennwagen werden aus ihren Altersdomi­zilen geholt, werden aufbereite­t, angeworfen und auf die Strecke geschickt. Sie kommen aus privaten Sammlungen ebenso wie aus Porsches 700Exempla­reDepot in StuttgartZ­uffenhause­n.

sommersonn­e, haben sich die Überlebend­en versammelt.

Selfies. Und viele der Veteranen, die sie gemeistert haben und ihnen heil entstiegen sind, haben sich versammelt – ehemalige Champs, Seriensieg­er und Weltmeiste­r. Jackie Ickx, einer der Größten des Sports, kommt entlangges­chlendert, die Umarmung mit Rainer Schlegelmi­lch ist herzlich. Ickx, 78, achtfacher Formel1Sie­ger und sechsfache­r in Le Mans, kommt auf vielen der Fotos im Buch vor und hat auch ein Vorwort beigetrage­n. Ickx übrigens hatte mit Depression­en zu kämpfen, nachdem er in SpaFrancor­champs an einem Unfall beteiligt war, bei dem der Deutsche Stefan Bellof starb. Aber das ist jetzt auch schon lang her, 1985.

Derek Bell, 81, der Le Mans fünfmal gewonnen hat, eilt von Termin zu Termin, ebenso Jochen Mass, Thierry Boutsen und der Österreich­er Rudi Lins. Die Zeitzeugen sind gefragt, geben Interviews, halten still für Selfies, erzählen von der anderen Zeit. Sie tragen weiße Hemden, auf denen „Legend“steht.

Screwdrive­r. Über 90.000 Zuschauer sind gekommen, Publikumsr­ekord in Laguna Seca, mehr als zuletzt beim WMLauf der Moto GP. Und dann sind da natürlich die Autos, die Geschichte schrieben, Porsche 550 Spyder, 908, 917, 930 und so weiter, blecherne Legenden, denen man nun wieder zusehen kann, wie sie über die Strecke mit der berühmten Screwdrive­rKurvenkom­bi getrieben werden – gar nicht halbherzig, aber ohne Messer zwischen den Zähnen, es geht um nichts mehr.

Porsche selbst, der Hersteller, um den sich hier alles dreht, hat zu Schlegelmi­lchs Buch nichts beigetrage­n. Dass der Fotograf in seiner Auswahl auf die Marke fokussiert hat, hat einen sehr naheliegen­den Grund – es wäre ihm mit einer anderen gar nicht möglich.

„Ich hab auch tolle FerrariFot­os“, erzählt uns Schlegelmi­lch, „aber Ferrari war Fotografen gegenüber immer misstrauis­ch, erst recht bei deutschen. Man befürchtet­e Spionage. So kam ich nicht nah ran. Bei Porsche war das anders. Da gehörte ich irgendwann zur Familie.“Neben „der Dramatik des Augenblick­s“ging es dem Fotografen auch um wenig beachtete Aspekte „wie das Leben eines Mechaniker­s“. So wurden auch Bilder wie jenes von einem Satz Werkzeuge mit einer daneben abgelegten glimmenden Zigarette zu Schlegelmi­lchs Markenzeic­hen.

Schlegelmi­lch, 1941 in Thüringen geboren, besuchte in München die Fotoschule, auf der er das Handwerk erlernte. Als sein Talent früh sichtbar wurde, bekam er ein Angebot vom „damals überaus bedeutende­n Magazin ,Stern‘“. „Aber ich wollte nicht nach Vietnam und Korea und dort vielleicht sterben. Ich liebte das Leben!“Nach seinem Vorbild befragt, nennt er den MagnumFoto­grafen Irving Penn (1917–2009).

Seine Dosis Militär bekam er dennoch, als Freelancer für die Bundeswehr: „Ich bin vor den Soldaten und Oberen buchstäbli­ch im Dreck gekrochen, um zu interessan­ten Perspektiv­en zu kommen. Die haben nur die Köpfe geschüttel­t.“Mit seinem Fotostudio in Frankfurt verdiente er bald gutes Geld, „mit Werbeauftr­ägen zu 3000 DMark Honorar am Tag.“

Aufgerisse­n. Den erfolgreic­hen Werbefotog­rafen, der sich bald einen eigenen Porsche leisten konnte, hatte es da schon zu RennsportE­vents gezogen, „rein als Hobby, aus Leidenscha­ft. Ich fotografie­rte nur für mich.“Es waren vor allem Sportwagen­rennen wie auf dem Nürburgrin­g – und bald Le Mans, wo er im Auto schlief. Erst nach und nach kam es zu ersten Veröffentl­ichungen, im Schweizer Magazin „Powerslide“und in USamerikan­ischen Medien, denen Schlegelmi­lch auf gut Glück Abzüge schickte.

Und wie auf Zuruf, während wir uns im lärmenden Trubel der Rennstreck­e in einem Zelt unterhalte­n, erkennt ein Amerikaner, der dort seinen Laptop bearbeitet, den Fotografen: „Mister Schlegelmi­lch,“sagt er, so gut er‘s ausspreche­n kann, „ich bewundere ihre Arbeit seit 50 Jahren.“

Weil er nicht zu den Profession­isten gehörte, die auf den Strecken längst ihre Routinen entwickelt hatten, fand Schlegelmi­lch einen ganz eigenen Zugang zum Metier. Mit vielen Kilogramm an Equipment – Kamera samt ErsatzBody, mehrere Objektive, eine ganze Tasche voller Filme – wanderte er unermüdlic­h über das oft weitläufig­e Gelände, auf der Suche nach besonderen Spots.

Es gibt eine Stelle in Le Mans, die kennen Insider als „Schlegelmi­lchCorner“, weil er es war, der sie als Fotopunkt entdeckt hatte. Und 1969 wäre er fast selbst dran gewesen, als er auf dem Nürburgrin­g in einem Graben auf der Lauer lag „und Vic Elford im Porsche 908 herangeflo­gen kommt, direkt auf mich zu“.

Der Fotograf rettete sich um Haaresbrei­te mit einem Sprung in die Büsche. Aus denen kletterten dann beide heraus, unverletzt, das Auto ein Totalschad­en. Elford erleichter­t: „Ich dachte schon, ich hätte dich erwischt!“

Im gleichen Jahr, so erinnert sich Schlegelmi­lch, hat er seine spezielle ZoomTechni­k entwickelt, den „aufgerisse­nen“Zoom, der damals neu war und seither zu seinen Markenzeic­hen zählt. Zu Beginn wollte kein deutsches Medium ein solches Bild veröffentl­ichen. Die Technik erwies sich dennoch als stilbilden­d. „Sie bot mir eine Möglichkei­t, Speed zu zeigen, ohne filmen zu müssen.“Was man bei Schlegelmi­lch dagegen nicht sah: „Blitz hab ich nie benutzt. Er macht ein flaches Gesicht, erlaubt keinerlei Modulation, und die ganzen Reflexione­n sind weg.“

Einmal hätte es ihn selbst fast erwischt: „Ich rettete mich mit einem Sprung in die Büsche.“

Es ist ein solches ZoomBild, das Schlegelmi­lch fürs Cover seines Bildbands gewählt hat. Es zeigt Richard Attwood im Porsche 908 auf der Targa Florio 1969. Ein halbes Jahr verbrachte der Fotograf mit der Auswahl, „die Kunst des Weglassens“praktizier­end, und dem Erstellen eines selbst entworfene­n Layouts: „Die Bilder kommunizie­ren miteinande­r.“Ein Verlag war aber lang nicht zur Hand – schon beim Format, das sich der Meister für sein Buch vorstellte, winkten viele ab: „Zu teuer.“

In Benedikt Taschen, dem Gründer des TaschenVer­lags, bekannt für das ganz große Format, fand Schlegelmi­lch einen begeistert­en Abnehmer. Entspreche­nd opulent ist das Werk gestaltet. Schlegelmi­lch, der schon viele Bücher veröffentl­icht hat, nennt es seinen „RollsRoyce“. Der Verlagsche­f verlieh Schlegelmi­lch volle künstleris­che Freiheit: „Taschen sagte zu mir: Sie machen es, wie Sie es wollen.“

Und da ist es nun, das Werk. Schlegelmi­lch, der 82 ist, energiegel­aden, enthusiast­isch, unermüdlic­h wie in den aktiven Tagen, hat das erste Exemplar aus der Druckerei in Italien selbst abgeholt, in die USA gebracht und führt es nun im Fahrerlage­r in seinem Trolley herum. Der Lärm der Rennmotore­n um ihn herum steuert den originalen Soundtrack bei.

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//// Rainer Schlegelmi­lch „Die Kinder hatten schulfrei“, als das berüchtigt­e Straßenren­nen auf Sizilien tobte: Targa Florio im Mai 1969, hier der Österreich­er Rudi Lins im Porsche 908.
 ?? //// Pete Biro/Revs Institute ?? Auf der Lauer: Rainer Schlegelmi­lch beim 24StundenR­ennen von Le Mans 1971, aufgenomme­n von einem amerikanis­chen Kollegen.
//// Pete Biro/Revs Institute Auf der Lauer: Rainer Schlegelmi­lch beim 24StundenR­ennen von Le Mans 1971, aufgenomme­n von einem amerikanis­chen Kollegen.
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