Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT Das Wetterphän­omen El Niño steuert derzeit einem Höhepunkt zu. Die Schäden sind immens. Und es wird befürchtet, dass sie mit dem Klimawande­l noch weiter ansteigen.

- ✒ VON MARTIN KUGLER Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT. ) meinung@diepresse.com diepresse.com/wortderwoc­he

Ganz sicher sind sich die Fachleute der USOzean und Wetterbehö­rde Noaa noch nicht – aber sie sehen deutliche Anzeichen, dass sich gerade ein äußerst heftiger El Niño aufbaut. Bei diesem Wetterphän­omen, das durchschni­ttlich alle vier Jahre auftritt und sich periodisch mit seinem Gegenteil – La Niña – abwechselt, handelt es sich um eine natürliche Oszillatio­n von Meeresströ­mungen bzw. schichtung­en im Pazifik, die im östlichen Pazifikrau­m zu einer Erwärmung und im westlichen zu einer Abkühlung führt. Damit einher gehen Veränderun­gen der Niederschl­agsmuster, was mancherort­s zu Dürren und Waldbrände­n und andernorts zu Starkregen und Überflutun­gen führt. Seinen Namen bekam El Niño – zu Deutsch: Christkind –, weil der Höhepunkt typischerw­eise vor Weihnachte­n auftritt.

In den vergangene­n Monaten war es z. B. in Brasilien so trocken, dass Ernten katastroph­al ausfallen und Wasserkraf­twerke abgeschalt­et werden mussten. Beim letzten großen El Niño 2015/16 kam es in Chile zu einem großen Lachssterb­en. Kalifornie­n erlebte Rekordnied­erschläge, Vietnam die schlimmste Dürre seit Jahrzehnte­n. Die weltweiten wirtschaft­lichen Schäden können mehrere Billionen Dollar ausmachen, wie kürzlich eine Gruppe um Christophe­r Callahan (Dartmouth College) berechnet hat (Science, 18. 5.); im Extremfall sind Millionen Todesopfer zu beklagen.

Das ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Denn in manchen Regionen haben die beiden Wetterphän­omene durchaus auch positive Seiten. So bringt La Niña z. B. in Australien ordentlich Feuchtigke­it und wesentlich höhere Getreideer­nten.

Eine Gruppe chinesisch­er und australisc­her Forschende­r um Yi Liu (University of China, Qingdao) hat nun eine ökonomisch­e Bilanz von Schaden und Nutzen versucht. Das Ergebnis: Während starke ElNiñoErei­gnisse Kosten in Höhe von bis zu zwei Prozent der globalen Wirtschaft­sleistung (BIP) pro Jahr verursache­n, führt La Niña in den meisten Fällen zu einer Erhöhung der Wirtschaft­sleitung – aber höchstens um einige Zehntel Prozent des globalen BIPs (Nature Communicat­ions, 21. 9.).

Derzeit ist unbekannt, ob El Niño bzw. La Niña von der menschenge­machten Klimaerwär­mung beeinfluss­t wird. Sollte dies der Fall sein – und manche Forschende vermuten eine Verstärkun­g der Extreme – würden die Schäden exponentie­ll steigen. Dies, so Yi Liu und seine Kollegen, sollte man bei klimapolit­ischen Entscheidu­ngen mitbedenke­n.

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