Zufällig Fußballprofi: »Ich habe nie davon geträumt«
Patrick Wimmer ist einer der Lieblingsschüler von Teamchef Ralf Rangnick, dabei hat er sich erst mit 13 Jahren für Fußball und gegen Gewichtheben entschieden. Ein Gespräch über Jugendjahre auf dem Bauernhof, Martin Hintereggers Karriereende und Pläne der
Vor fünf Jahren spielten Sie noch in der niederösterreichischen Landesliga und waren FußballÖsterreich völlig unbekannt. Heute sind Sie einer der Lieblingsschüler von Teamchef Ralf Rangnick in der Nationalmannschaft und bestreiten bereits Ihre zweite Saison beim VfL Wolfsburg. Sind Sie selbst überrascht von Ihrem Aufstieg?
Patrick Wimmer: Wenn man sich andere Fußballerkarrieren ansieht, dann sind meine Karrieresprünge schon groß gewesen. Obwohl: Für mich hat sich das alles nicht so rasant angefühlt. Die Jahre ziehen an einem vorbei – und schon ist man 22 …
… und hat einen Marktwert von 18 Millionen Euro. Vor zwei Jahren waren es noch 1,5 Millionen. Machen Sie sich etwas aus solchen Zahlen?
Ich habe schon mitbekommen, dass mein Marktwert in letzter Zeit gestiegen ist. Für mich ist das eine schöne Bestätigung meiner Leistungen und gleichzeitig eine Motivation: Ich will meinen Marktwert weiter in die Höhe treiben!
Sie sind der drittwertvollste Spieler im Wolfsburger Kader. Verspüren Sie deshalb Druck?
Natürlich geht das mit Erwartungen einher. Aber Druck? Nein, den mache ich mir nie. Ich spiele Fußball, weil er mir Spaß macht. Ein Spieler, dessen Ablöse sehr hoch war, hat vermutlich mehr Druck als ich. (Wimmer wechselte im Sommer 2022 um fünf Mio. von Bielefeld nach Wolfsburg, Anm.)
Sie haben anders als der Großteil Ihrer Kolle
gen keine Akademie durchlaufen, sind über Umwege im Profifußball gelandet. Ist Ihre Karriere eine glückliche Fügung?
Sie ist zufällig passiert. Ich habe eigentlich nie davon geträumt, Profifußballer zu werden.
Welcher Zufall war entscheidend?
Dass ich Unternehmer Raimund Harreither bei einem Spiel des SV Gaflenz in der vierten Liga aufgefallen bin. Herr Harreither hat seinen Firmenstandort in Gaflenz, war dort genauso wie bei der Austria Sponsor. Kurze Zeit später hat mich ein AustriaScout beobachtet. Dann hat alles seinen Lauf genommen.
»Ein Spieler, dessen Ablöse sehr hoch war, hat vermutlich mehr Druck als ich.« PATRICK WIMMER
Sie müssen Raimund Harreither heute aber keine Prämien zahlen, oder?
Ich glaube, die braucht er nicht mehr (lacht).
Würden Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, Ihr Können wurde viele Jahre unterschätzt, vielleicht auch nicht entsprechend gewürdigt?
Unterschätzt weiß ich nicht, aber ich bin bestimmt ein bisschen unter dem Radar geflogen. Ich war früher nie in den Nachwuchsnationalteams, habe auch im U21Team nicht viele Spiele gemacht. Mittlerweile bestreite ich meine zweite Saison in Wolfsburg und bin Nationalteamspieler.
Sind Sie stolz darauf, all dass ohne Akademiehintergrund geschafft zu haben?
Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich einen anderen Weg gegangen bin. Akademien sind schon richtig professionell aufgebaut, da darfst du dir nicht viel erlauben. Ich hatte wenigstens noch etwas von meiner Jugend, dafür aber bis heute kein Medientraining. Im Grunde weiß doch jeder, wie er sich in Interviews zu verhalten hat. Und ein paar erfrischende Aussagen tun immer gut.
Eine Ihrer großen Stärken ist Ihre Laufbereitschaft. Sind Sie immer schon gern Ball und Gegenspielern hinterhergerannt?
Mir hat das Laufen tatsächlich schon als kleiner Junge richtig Spaß gemacht. Früher habe ich mit Freunden auf der Wiese gekickt. Jeden Tag, stundenlang. Dann haben wir so eine Art MiniWM gespielt. Einmal war ich der Gejagte mit dem Ball, einmal der Jäger. Und manchmal habe ich allein gegen alle gespielt. Da läufst du zwangsläufig viel.
Sie sind nicht nur gern und viel gelaufen, sondern hatten auch Spaß daran, Gewichte zu heben. Bis zu Ihrem 14. Lebensjahr war sogar eine Karriere als Gewichtheber Thema. Wissen Sie noch, wie viel Sie damals gerissen und gestoßen haben?
Beim Reißen waren es um die 30, 35 Kilo, beim Stoßen 50 Kilo. Ich war ja erst 13
Wie viel wären es heute?
Schwer zu sagen, weil wir in der Kraftkammer nicht auf Maximalkraft gehen. Aber bei den Übungen merke ich, dass ich die Spritzigkeit noch in mir habe.
Sie sind auf einem Bauernhof in der Nähe von Tulln aufgewachsen. Das klingt nach einer behüteten Jugend – und nach Arbeit.
Wenn ich nicht gerade mit Freunden unterwegs war, habe ich im Wald oder in den Weingärten mitgeholfen. Wer eine Wirtschaft zu Hause hat, der hat immer etwas zu tun. Manchmal vermisse ich diese Arbeiten.
Sie haben das Leben auf dem Bauernhof einmal als „schön und entspannt“bezeichnet. Wie würden Sie Ihr Leben als Fußballprofi beschreiben?
Es ist ein völlig anderes Leben. Als Fußballer musst du darauf achten, was du isst, wie du regenerierst. Du musst dich körperlich jeden Tag fit halten, um Leistungen bringen zu können. Und du hast einen sehr durchgetakteten Alltag. Training, Match, Physio, Kraftkammer – auf dem Bauernhof kannst du dir deinen Tagesablauf ein Stück weit selbst einteilen.
Was schätzen Sie am meisten am Profidasein?
Die Zeit, die man als Gruppe miteinander verbringt. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und verdiene Geld mit dem, was mir am meisten Spaß macht: Fußballspielen.
Und worauf könnten Sie verzichten?
Die genauen Pläne eines strukturierten Alltags, wie vorhin beschrieben. Ich musste erst lernen, wie man damit umgeht.
Martin Hinteregger hat mit nur 30 Jahren und auf dem Höhepunkt seiner Karriere beschlossen, nicht mehr länger das Leben eines Fußballprofis führen zu wollen. Basierend auf Ihren vorangegangenen Aussagen: Sie konnten Hintereggers Entscheidung gut nachvollziehen, oder?
Sehr gut sogar, ja. Abgesehen davon, dass wir in diesem Beruf richtig gutes Geld verdienen können, ist es wichtig, dass er Spaß macht. Es ist wie in jedem anderen Job: Wenn du keinen Spaß mehr an der Arbeit hast, dann siehst du dich nach etwas Neuem um.
Könnten Sie sich denn auch vorstellen, mit 30 einen Schlussstrich zu ziehen?
Wenn ich keinen anderen Ausweg mehr finden würde, wäre es auch für mich eine Überlegung, es bleiben zu lassen. Derzeit bin ich aber sehr happy, wie alles läuft. Wie es in ein paar Jahren aussieht, wird man sehen.
Am Mittwoch hat der Weltverband Fifa die WM 2030 an sechs Länder in drei Kontinenten vergeben. Wie denken Sie als Spieler, aber auch als Privatperson über eine solche Entscheidung?
Ich habe gelesen, dass das Eröffnungsspiel in Uruguay stattfinden wird. Und dann? Müssen dann die beiden Mannschaften ihr nächstes Spiel drei, vier Tage später in Europa bestreiten? Egal, wie trainiert wir Fußballer auch sind: Das sind extreme Belastungen für den Körper. Es wird immer stressiger, immer anstrengender – und da rede ich noch gar nicht von dem Aufwand, den Fans betreiben müssen oder wie klimafeindlich das Ganze ist. Früher haben Turniere in einem Land oder maximal in zwei Ländern stattgefunden. Das war besser für alle Beteiligten. Ob eine WM in Katar oder Saudiarabien stattfinden muss, sei dahingestellt. Das ist aber wohl immer noch besser, als sie über drei Kontinente zu verteilen.
Bei diesen Aussichten muss die Vorfreude auf die Europameisterschaft 2024 in Deutschland umso größer sein.
Das wird ein überragendes Turnier mit großartiger Stimmung, dafür wird das ganze Land sorgen. Wir wollen am Freitag im Heimspiel gegen Belgien unbedingt die Quali fixieren. Dann haben wir ein schönes Festival in Wien.