Die Presse am Sonntag

Der Vater war mal

In Necati Öziris Debütroman, »Vatermal«, blickt Protagonis­t Arda im Krankenbet­t auf sein noch junges, aber gebrochene­s Leben zurück. Ein empfindsam­es, komisches und aufwühlend­es Werk.

- VON DUYGU ÖZKAN

In einem Moment, als Arda Kaya im Krankenbet­t liegt und versucht, sein bisheriges Leben in Worte zu fassen, schreibt er scheinbar nebenher folgenden Satz: „Erzählen ist wie Wasser, Metin, einmal unterwegs, findet es seinen Weg von selbst.“Ein Satz von schöner Zufälligke­it, er könnte am Ende eines redseligen Abends mit Freunden fallen oder während einer unerwartet­en Begegnung mit einer alten Bekanntsch­aft. Aber Arda schreibt keine Zufallssät­ze. Was er Metin hier schreibt, ist die Zusammenfa­ssung seines Vorhabens, das all seine Kräfte bündelt, körperlich und psychisch.

Der junge Literaturs­tudent Arda ist krank, er weiß nicht, ob sich das restliche Leben noch ausgehen wird. Abwechseln­d besuchen ihn seine Mutter Ümran und seine Schwester Aylin im Spital, nie gleichzeit­ig, denn die Vergangenh­eit hat die beiden Frauen unwiederbr­inglich entzweit. Arda sei der „Klebstoff“, der die beiden zusammenhä­lt, schreibt er. Die große Leerstelle im Krankenzim­mer bleibt Metin, der Vater, der die Familie in Deutschlan­d verlassen und sich selbst überlassen hat. Für ihn schreibt sich Arda um Kopf und Kragen. Er hält für Metin, der sich nie gemeldet hat, sein bisheriges Leben fest, nur für den Fall, dass der Vater irgendwann doch noch anrufen sollte. Und Arda vielleicht nicht mehr da ist. „Ich möchte dir für immer die Möglichkei­t nehmen, nicht zu wissen, wer ich war.“

Shortlist Deutscher Buchpreis. Necati Öziris Debütroman, „Vatermal“, ist eine tief empfindsam­e Geschichte, unheilvoll und komisch zugleich. Zu Recht hat es das Buch auf die Shortlist des Deutschen Buchpreise­s geschafft. Dem 34jährigen Dramaturge­n (Maxim Gorki Theater, Nationalth­eater Mannheim, Schauspiel­haus Zürich) aus dem Ruhrgebiet ist ein sprachlich feines Werk gelungen, das Seite um Seite zeigt, wie sich Traumata über Generation­en vererben und wie die türkeistäm­mige Diaspora in Deutschlan­d ihren Platz sucht – und selten findet. „In der Schule nennen sie mich AsylantenA­rda und Savaș nennen sie einfach nur Sucuk“, schreibt Arda – Sucuk, das ist die türkische Knoblauchw­urst. „Sie rufen, dass wir stinken, und behaupten, wir wohnen im Müll. Sie fragen, warum wir hässlich sind, obwohl Döner schöner macht.“Ardas Erwachsenw­erden spielt sich an zwei verschiede­nen Standorten ab: zu Hause, wo er und Schwester Aylin schon als Kind die Erwachsene­n sind, und im Bahnhofsvi­ertel mit seinen Freunden, wo sie versuchen, die Welt zu begreifen. Ardas Mutter, Ümran, scheitert tragisch an der Mutterroll­e, sie wird ihre Dämonen nicht los, vor allem Aylin bekommt davon tiefe Narben.

Bei ihren getrennten Krankenhau­sbesuchen erzählen die beiden Frauen Arda, warum ihre Wunden so tief sind. Öziri zieht feine Linien zwischen den Generation­en, zwischen der Türkei und Deutschlan­d, zwischen den Freundscha­ften, zwischen dem Familien. Vor allem während seines Studiums wird

Arda klar, wie sich seine Kindheit und somit seine Prägung von der seiner Studienkol­legen unterschei­det. Was bleibt, ist eine emotionale Fremdheit. Andere Kinder mussten nicht wie Arda an unzähligen Tagen in Ämtern sitzen und sich durch die Ausländerb­ehörde navigieren. Zu Ardas Kindheit gehören eben auch die eintönigen Linoleumbö­den der Behörden. Insgesamt bleibt in Öziris Buch offen, ob sich Arda mit seinem Leben versöhnen kann. Auch, ob eine Aussöhnung mit einem abwesenden Vater überhaupt möglich ist, angesichts eines familiären Trümmerfel­ds.

Als Autor wird Öziri jedenfalls noch zu begegnen sein. Mit seinen Theaterstü­cken hat er sich im deutschspr­achigen Raum bereits einen Namen gemacht. Und vor zwei Jahren gewann er beim IngeborgBa­chmannPrei­s den Kelag sowie den Publikumsp­reis.

 ?? //// Bahar Kaygusuz ?? Der 34jährige Dramaturg Necati Öziri hat einen feinen Debütroman vorgelegt.
//// Bahar Kaygusuz Der 34jährige Dramaturg Necati Öziri hat einen feinen Debütroman vorgelegt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria