Steigt der Twitter-Vogel in den Bluesky auf?
Dunkle Wolken ziehen über Twitter (X) auf. Seit der Übernahme durch Elon Musk sind viele User unzufrieden und wechseln zu neuen sozialen Netzwerken.
Das Blaue vom Himmel verspricht das Pendant zum ehemaligen Twitter. Bluesky nennt sich die zum Verwechseln ähnliche Plattform, die derzeit viele verärgerte XNutzer anlockt. Denn mit der Übernahme durch Elon Musk wurde nicht nur der Auftritt von Hellblau auf Schwarz gefärbt, auch der Umgangston ist rauer geworden. Zusätzlich wurde das Abomodell forciert, viele Funktionen stehen nur mehr exklusiv für Nutzer mit dem zu bezahlenden blauen Haken zur Verfügung, Überschriften und Teaser von Links zu NachrichtenArtikeln werden nicht angezeigt. Die jüngste Ankündigung, X gänzlich kostenpflichtig zu machen, ist auf zusätzliche Ablehnung gestoßen. Diese Gelegenheit nutzt der ehemalige TwitterGründer Jack Dorsey. Er kündigte bereits 2019 in einem Tweet an, Bluesky zu gründen. Zwei Jahre später verantwortet er das Medium.
„Die App soll in der Funktionalität und Ausrichtung offensichtlich ein Ersatz für X sein“, bringt es Ingrid Brodnig auf den Punkt. Die Autorin und SocialMediaExpertin beschäftigt sich mit Hass im Netz, Desinformation und der digitalen Gesellschaft. „Es ist quasi ein
Twitter, das nicht Musk gehört. Und das reicht den meisten als Grund zu gehen“, behauptet sie. Die bisherigen Alternativen, Mastodon und Threads, seien in der Handhabung zu komplex. „Im Zweifelsfall wollen die Leute gar nicht die große technische Innovation, sondern einfach nicht mehr auf einer Plattform sein, die Musk de facto regiert.“Er treibe dort sein Unwesen, wie sie sagt, dazu zähle auch, gesperrte Profile freizuschalten und mehr Hassreden sowie SpamBots zu dulden.
Mittlerweile zählt auch Brodnig zu diesen frustrierten Usern. Deshalb nutzt sie seit vier Monaten Bluesky. Der Anstieg macht sich in Zahlen bemerkbar, die Plattform verzeichnet rund eine Million Nutzer, wie die Analysefirma Similarweb berichtet. Sich anzumelden, funktioniert derzeit nur auf Einladung. Eine Maßnahme, um einerseits Knappheit zu suggerieren und andererseits die Server nicht zu überlasten.
Medialpolitischer Diskurs. „Wenn der Eigentümer Verschwörungsmythen und RechtsaußenBehauptungen promotet, dann ist es für den etablierten Journalismus und politische Akteure wesentlich uninteressanter, weiter sichtbar zu sein“, ist die Publizistin überzeugt. Zuletzt sorgte Musks Hetze gegen die Seenotrettung im Mittelmeer für Aufsehen. „X dient als Verstärkerkanal. Ob die Plattform relevant ist, hängt davon ab, ob Medien und Politik dort miteinander diskutieren. Wenn viele wechseln, ist X hierzulande de facto zerstört.“
Die Nische, in der sich zu medialen, politischen oder technischen Themen ausgetauscht wird, versuche Bluesky nun für sich zu gewinnen. Es bleibt abzuwarten, ob dies gelingt. Doch keine andere Plattform habe jüngst so eine Herdenbewegung bewirkt. Reichweitenstarke Accounts, wie etwa Brodnigs eigener mit rund 65.000 Followern oder das Profil des Klimaministeriums, würden davon zeugen, dass etwas im Entstehen ist. „Allem Neuen wohnt ein gewisser Zauber inne, das merkt man auch hier. Ich habe kürzlich angefangen zu posten, und es macht Spaß. Man merkt, dass die Leute Freude daran haben.“Dies liegt wohl auch daran, dass das Forum noch werbefrei ist. Und es sich um eine der wenigen Apps handelt, bei denen der Algorithmus angepasst werden kann. Eigenen Angaben zufolge soll die Nutzung dezentral und moderiert ablaufen. Geplant ist, ein eigenes Kurations und Moderationssystem zu implementieren.
Derzeit fehlt es zwar noch an Funktionen wie dem Versand privater Nachrichten, doch feststeht: Wer den blauen Vogel gewohnt war, wird sich auch im blauen Himmel zurechtfinden.