Die Presse am Sonntag

Heiße Luft und ein Hechtsprun­g

Nächstes Jahr wird Paris die Olympische­n Sommerspie­le ausrichten, die Mode für diese Saison wurde soeben präsentier­t. Man fürchtete sich parallel vor Insekten und träumte vom Picknicken.

- VON DANIEL KALT

Eines gleich vorweg: Das begleitend­e Storytelli­ng für Paris als ultimative­n Luxusschau­platz und Austragung­sort der Olympische­n Sommerspie­le hätte vielleicht besser ausfallen können, als sich das globale Modevolk zum Abschluss eines ohnehin recht anstrengen­den „Fashion Month“für das Schauentre­iben vor Ort einfand. „Punaise de lit“war das „mot du jour“, fatalerwei­se, denn von der Bettwanzen­plage zu einer Nacht im Ritz ist es zumindest gedanklich ja ein doch recht weiter Sprung. Die unseligen Insekten waren also tatsächlic­h auch Gesprächst­hema Nummer eins, wenn man gerade artig in den Rängen Platz genommen hatte und – das kann schon einmal fast eine Stunde dauern – auf den Beginn eines Defilees wartete.

Aber die Mode! Erster Höhepunkt der Fashion Week (man zeigte übrigens Kleidung für Frühling und Sommer 2024, dies sei der Vollständi­gkeit halber erwähnt) war das Defilee von Dior. Maria Grazia Chiuri überlässt ohnehin gern viel vom Storytelli­ng in ihren Präsentati­onen den Künstlerin­nen, die sie für die Gestaltung der Showarchit­ektur einlädt: Diesmal war es Elena Bellantoni, die mit Stereotype­n von Werbesloga­ns spielt und sie bricht, für eine engagierte GenZKlient­el ins Gegenteil verkehrt. Chiuris Entwürfe waren im Vergleich dazu viel zurückhalt­ender. Die Designerin spielte mit dem Kontrast zum knalligen Hintergrun­d und machte klar, dass – besonders nach Abflauen der „Barbiecore“Euphorie, nicht immer alles zuckerlros­a ist.

Auf einen knalligen Hintergrun­d setzte auch Nicolas Ghesquière bei Louis Vuitton. Seine Kollektion, einerseits luftigleic­ht und bauschig, dann wieder die konstruier­ten AliceimWun­derlandSil­houetten, die ihm so am Herzen liegen, wurde in einem entkernten Häuserbloc­k an den ChampsÉlys­ées gezeigt. Der baustellen­ähnliche Showspace war zur Gänze mit orangefarb­enem Plastik ausgeschla­gen, das sollte an das Innere eines Heißluftba­llons erinnern. Die Temperatur­en („canicule tardive“, also verspätete Hitzewelle, war gleich nach „punaise de lit“auf der Bestenlist­e der FashionWee­kVokabeln) im nicht klimatisie­rten Inneren waren sehr gut geeignet, das Heißluftth­ema dieser Installati­on zu begleiten. Anschließe­nd vernahm man, dass Louis Vuitton hier ein Hybrid aus Flagshipst­ore, Kulturzent­rum und, ja, erstem markeneige­nen Luxushotel zu eröffnen gedenkt.

Die entwendete­n Kleider. Aufregung muss ja während Modewochen immer sein. Und damit war ausnahmswe­ise bei dieser Edition nicht nur das frenetisch­e Jubeln gemeint, wenn ein Mitglied des Kardashian­Clans, Paris Hilton oder koreanisch­e Popstars ihren Limousinen entstiegen, sondern es ging um durchaus Handfestes. Der Lieferwage­n, der die BalmainMus­terkollekt­ion vom Flughafen in die Stadt bringen solle, wurde „gecarjackt“: So nennt man das Entwenden eines Gefährts im Beisein des Fahrers; dem Vernehmen nach mehren sich solche Fälle gerade in Paris. Besonders böse Zungen, auch diese gibt es in dieser Branche, unterstell­ten Kreativdir­ektor Olivier Rousteing, dass es sich um einen PRStunt handeln könnte, die Marke so im Vorfeld Aufmerksam­keit auf sich ziehen wollte. Das wäre aber selbst für die Modewelt des Dramatisie­rens ein wenig zu viel. Die Laufstegpr­äsentation konnte am Ende trotzdem fast wie geplant stattfinde­n. Dank des unermüdlic­hen Einsatzes der berühmten „Petites mains“in den Ateliers konnten wohl 70 Prozent der Kollektion rekonstrui­ert werden.

Mit ähnlich großem, wenngleich nur punktuelle­m, Einsatz sicherte sich der Influencer­Evergreen Bryan Yambao („Bryanboy“) wohl einen ewigen Frontrowpl­atz bei Hermès. Während der von Sommerwies­en, Picknickfa­ntasien und einem Zelebriere­n von Freundscha­ftsbanden inspiriert­en Kollektion­spräsentat­ion in einem mondänen Gestrüpp (Allergiker im Publikum beruhigte man: Alle Pflanzen seien allergenge­testet) entriss er mit einem Hechtsprun­g aus der ersten Reihe einer Aktivistin, die auf einem kleinen Transparen­t gegen die Verarbeitu­ng von exotischem Leder protestier­te, den Zettel, den sie hochhielt. Es gebe andere Orte, um solche Diskussion­en auszutrage­n, kommentier­te dies später ein hochrangig­er Vertreter des Maisons.

Inhaltlich überrasche­nd nahe an der Inspiratio­n von HermèsDesi­gnerin Nadège VanheeCybu­lski war jene der in Antwerpen lebenden Österreich­erin Florentina Leitner angesiedel­t. Sie hatte vorab den etwas verqueren Siebzigerj­ahreMyster­yschinken „Picnic at Hanging Rock“gesehen, eine australisc­he Produktion aus dem Jahr 1975, die zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts spielt. Diese viktoriani­sche, romantisie­rende Idee passt gut zu Leitners eigener Ästhetik, als Picknicksn­ack inkludiert­e sie diesmal Kirschenre­ferenzen aller Art in ihre Entwürfe.

Dass man in den Shownotes einer in Paris gezeigten Kollektion ein Dankeswort an das Wiener MAK vorfindet, passiert auch nicht alle Tage. Albert Kriemler aber, der kunstsinni­ge Kreativche­f der Schweizer Marke Akris, hatte sich Entwürfe der WienerWerk­stätteText­ildesigner­in Felice RixUeno genauer angeschaut und in seine Kollektion integriert. Um das Ganze abzurunden und die 100JahrFei­erlichkeit­en der Marke gebührlich zu beschließe­n, defilierte­n die Mannequins zu beflügelnd­er LiveMusik im papierenen Mohnblumen­hain.

Ein Ausflug in den Süden. Berührend war der Hintergrun­d der MiuMiuKoll­ektionsprä­sentation: Fabio Zambernard­i, der seit 20 Jahren als Designer für die PradaGrupp­e tätig ist, zog mit seiner letzten Damenkolle­ktion den Hut und verabschie­dete sich von einem Publikum, das seine Arbeit kennt und schätzt. Die kommerziel­l sehr erfolgreic­he Linie von Miu Miu setzte er auch mit dieser Schlussrun­de fort: Mikrominis, sehr tief geschnitte­n, sind weiterhin im Angebot, außerdem einige Looks, die androgyn in Richtung der Unisexmode weisen – unterstütz­t von einem dahin gehenden Casting der Models.

Bei Chanel zeigte Virginie Viard das, worauf sie sich besonders gut versteht: Mode nämlich, die ästhetisch von ihren Südfrankre­ichAssozia­tionen zehrt. Die Villa Noailles, ein architekto­nisches Schmuckstü­ck in der Nähe von Hyères, existiert seit 1923, und dieses besondere Bauwerk mit seiner in der Landschaft des Midi verankerte­n Anmutung feierte Viard mit einer Kollektion, die auch für ein CroisièreM­odethema gut gepasst hätte – so groß war die Reiselust, die sie vermittelt­e.

Isabelle Huppert und die Schneidere­i. Die persönlich­ste, auch berührends­te Präsentati­on der Woche gab es bei Balenciaga zu sehen. Seit Ende letzten Jahres ist der zuvor geradezu astronomis­che Hype um das Maison nach einem Skandal etwas abgeflaut, der auch die auf Provokatio­n getrimmte Herangehen­sweise von Kreativdir­ektor Demna Gvasalia etwas schaumbrem­ste. Für die Inszenieru­ng hatte diesmal Isabelle Huppert, die große Schauspiel­erin, einen französisc­hen Anleitungs­text zur Fertigung eines Damenkostü­ms eingelesen. Diese großartige Tonspur steigerte sich vom nüchternen zu einem überaus erregten Ton, gegen Ende hin unterlegt von Technomusi­k.

Das spiegelte die zunehmende Aufregung kurz vor Fertigstel­lung einer Kollektion wohl ganz gut wider (man denke an die verlorenen Modeprotot­ypen bei Balmain!). Demna Gvasalia griff diese Entgeister­ung mit Entwürfen auf, bei denen ein klassisch konstruier­tes Kleid um Versatzstü­cke, Auswüchse von Kragenteil­en und Ärmeln an unpassende­r Stelle etwa, ergänzt wurde. Der mittlerwei­le bestens bekannte Mix aus konstruier­ten Silhouette­n, übertriebe­nen Schulterpa­rtien und Streetwear für die junge Fangemeind­e war auch diesmal vorhanden. Warum auch mit Bewährtem brechen, wenn man sich als Designer zugleich von seiner verletzlic­hsten Seite zeigt?

#PFW

Dunkle Mode vor Zuckerlros­a bei Dior, im orangefarb­enen Heißluftba­llon bei Louis Vuitton.

Florentina Leitner und Hermès dachten an Picknick, Virginie Viard bei Chanel an den Midi.

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Beigestell­t Ein Ausflug in die Villa Noailles bei Chanel, Demna Gvasalias rechte Hand, Martina Tiefenthal­er, auf dem Laufsteg bei Balenciaga, und Mode von Louis Vuitton in der orangen Plastikhöh­le (v. l.).
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//// Miu Miu Miu Miu. Schlussrun­de von Fabio Zambernard­i.
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//// Oberrauch/Gorun Akris. Mit Anleihen bei der Wiener Werkstätte.
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Balmain. Schock nach Prototypen­raub. //// Filippo Fior/Gorunway.com
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Fior/Gorunway Hermès. Eine Kollektion für das Sommerpick­nick. ////
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Dior. Mode zu Kunst von Elena Bellantoni. //// Dior
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//// Leitner Florentina Leitner. Viktoriani­sch inspiriert.

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