Die Presse am Sonntag

Tod vor 50 Jahren: Mit Ingeborg Bachmann in unserer Welt

Warum wir der Klagenfurt­erin verfallen bleiben, Max Frisch sie nicht zerstört hat, und was ihr Bruder über sie sagt: Sechs persönlich­e BachmannMo­mente, neue Bücher und ein Film.

- »Malina«

Am 17. Oktober 1973 starb die große Autorin Ingeborg Bachmann in ihrem geliebten Rom nach einem Brand in der Wohnung, ausgelöst durch das Einschlafe­n mit einer brennenden Zigarette. Die Todesumstä­nde dieser Autorin wurden mystifizie­rt, Passagen ihres Werks als Andeutung darauf gelesen, ihr Lebensfreu­nd Hans Werner Henze erstattete sogar Anzeige gegen unbekannt. „Gab es denn nicht etwa Anspielung­en auf einen Tod durch Feuer in ihrem Roman ,Malina‘?“, fragten manche – in diesem Roman, an dessen Ende die Heldin in der sich öffnenden Wand ihrer Wohnung verschwind­et und der letzte Satz lautet: „Es war Mord.“Der 50. Todestag verlockt dazu, Leben und Lebenstrag­ik der mit 47 Jahren verstorben­en Schriftste­llerin neu aufzurolle­n. Zumal der so viele Jahrzehnte unter Verschluss gehaltene Briefwechs­el mit Max Frisch diese Beziehung, deren Ende der Autorin so zu schaffen gemacht hat, in neuem Licht zeigt. Um diese Liebesgesc­hichte und ihre Bewältigun­g durch die Autorin geht es auch im neuen Film „Reise in die Wüste“von Margarethe Trotta (s. unten). Dennoch ist nicht ihr Leben der Grund, warum Ingeborg Bachmann unvergesse­n ist, es sind ihre Texte. Wie war es, sie zu lesen, vor zehn, 20, 30 Jahren, wie ist es heute, welche Texte, welche Sätze haben berührt und berühren, und warum? Sechs persönlich­e Empfehlung­en und Erlebnisse aus der „Presse am Sonntag“Redaktion.

Der Bachmann kann verfallen, wer ihre Gedichte liebt. Oder ihre nicht minder hypnotisie­rende Prosa. Für ein erstes Kennenlern­en dieser 1973 verstorben­en Grande Dame der deutschspr­achigen Weltlitera­tur der Nachkriegs­zeit – es muss ja keine flüchtige Begegnung bleiben – eignet sich jedoch bestens eine Dankesrede, die sie 1959 bei der Verleihung des Hörspielpr­eises der Kriegsblin­den für „Der gute Gott von Manhattan“(auch dafür verehren wir sie) vorgetrage­n hat: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“. Sie sprach damals von den wesentlich­en Aufgaben des Schriftste­llers, der sich Gehör verschaffe­n wolle. Es könne nicht seine Aufgabe sein, „den Schmerz zu leugnen, seine Spuren zu verwischen, über ihn hinwegzutä­uschen“. Er müsse ihn, im Gegenteil, „wahrhaben und noch einmal, damit wir sehen können, wahrmachen“. Eine wie Ingeborg Bachmann lässt jene, die sich tapfer darauf einlassen, sehend werden. Sie ermutigt die Leser und Hörer zur Wahrheit. So kommen sie in den Zustand, dass ihnen die Augen aufgehen: „Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar.“(norb)

»Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar« »Die Liebe hat einen Triumph und der Tod hat einen, die Zeit und die Zeit danach. Wir haben keinen.« AUS »LIEDER AUF DER FLUCHT«

Wie vertraut und fremd zugleich ist doch dieses Wien mit seinem „Ungargasse­nland“im dritten Bezirk in den 1950ern … Die Autos auf dem Ring fahren gegen den Uhrzeigers­inn, zu Hause dreht man am Transistor oder verwickelt sich in den endlosen Schnüren schwarzer Festnetzte­lefone. Krieg und NSGrauen sitzen tief in den Knochen, sogar die untergegan­gene k. u. k. Monarchie wirkt noch nach. Und die 20 Zigaretten täglich rauchende „Gnädige Frau“diktiert dem „Fräulein“Sekretärin an der Schreibmas­chine verzweifel­te Briefe (wer das Buch gelesen hat, lebt weiter mit den wiederkehr­enden Zeilen „Ich schreibe Ihnen in höchster Angst und fliegender Eile“…). Diese „Gnädige Frau“– das ist die namenlose IchErzähle­rin, die viel mit der Autorin gemeinsam hat. Sie wohnt mit einem Mann namens Malina in der Ungargasse 6. Drei Nummern weiter wohnt ihr ungarische­r Geliebter, Ivan, an ihrer Liebe zu ihm geht die IchErzähle­rin langsam zugrunde. „Malina“wieder lesend, das sich mir vor über 20 Jahren eingeprägt hat wie Musik, staune ich, wie unterhalts­am und sprachlich frisch sich dieser weibliche Untergangs­roman heute noch liest, wie viel Witz und beißende Kritik in der scheinbar naivkindli­chen Art steckt, mit der die durchs Leben stolpernde IchErzähle­rin von ihrem Alltag erzählt, von zur Verzweiflu­ng gebrachten Interviewe­rn oder der

Wiener Hautevolee am Wolfgangse­e. Und ich trauere um diese Frau, die nicht nur von Ivan wie ein Kind behandelt wird (im „Eifersücht­ig sind wir aber nicht, mein Fräulein?“Ton), sondern auch sich selbst so gibt und so behandelt. Sie, die vom Mann „erlöst“werden will, ist allein deshalb nicht zu retten – und würde sie noch so sehr von Ivan geliebt. (sim)

»Böhmen liegt am Meer«

„Vor Kurzem hab ich wieder versucht, ein Gedicht zu schreiben, das ich zum ersten Mal les’ …“In der Zeit des ersten

CoronaLock­downs fiel mir ein SocialMedi­aPost der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Literatur auf, der zu einer Tonaufnahm­e aus deren Archiv führte – zur Premiere von Ingeborg Bachmanns Gedicht „Böhmen liegt am Meer“im Mai 1965. Irgendwann im Studium hatte ich es zuletzt gelesen, nun blieb es mir aus dem Munde Bachmanns tagelang im Ohr. Die Ausnahmesi­tuation 2020 war wohl der ideale Resonanzra­um für dieses Gedicht, das vom Verlorense­in ebenso wie von Zuflucht und utopischen Zuständen handelt.

Als Ingeborg Bachmann es schrieb, war sie noch immer physisch und psychisch stark angeschlag­en von der Trennung von Max Frisch. In Berlin hatte sie den Schriftste­ller Adolf Opel kennengele­rnt, der sie einge

laden hatte, mit ihm nach Prag zu reisen. Die grünen Häuser, die ihr gleich bei der Einfahrt mit dem Zug auffielen, führten zum Titel des ersten Gedichtent­wurfs („Die grünen Häuser von Prag“). In den folgenden Tagen war es eisig kalt. Nur ein einziges Mal besuchte Bachmann das Grab Franz Kafkas und legte dort Blumen nieder, sonst verließ sie kaum das Zimmer, musste zwischendu­rch sogar ins Krankenhau­s, was in einem der sieben utopischen Gedichte dieser Winterreis­e seinen Niederschl­ag fand. Für die Literaturg­eschichte ist es jedenfalls ein Glücksfall, dass Shakespear­e Böhmen, in seiner Komödie „Ein Wintermärc­hen“, an das Meer verlegt hat – und es seither so viele Autoren und Autorinnen dorthinzie­ht. (eu)

 ?? ?? Ingeborg Bachmann 1954, Campo de’ Fiori, Rom: Der Fotograf Herbert List lernte sie durch einen gemeinsame­n Freund
Ingeborg Bachmann 1954, Campo de’ Fiori, Rom: Der Fotograf Herbert List lernte sie durch einen gemeinsame­n Freund
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