Die Presse am Sonntag

Freier als bei Frisch – mit Gruppensex und in der Wüste

Er braucht Zürich, sie Rom, er kann neben ihr arbeiten, sie nicht mehr schreiben: Der Film »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« erzählt von Bachmanns unglücklic­her Beziehung zu Max Frisch. Und weckt Verständni­s für zwei Menschen, die es miteinande­r ei

- ✒ VON ANNECATHER­INE SIMON ////

Sie kriegt hier keinen guten Espresso! Sie hält das Klappern seiner Schreibmas­chine nicht aus! Sie vermisst ihre Freunde, vermisst Rom! Ingeborg Bachmann kann einem leid tun, wenn sie sich im Bett der Zürcher Wohnung wieder einmal die Ohren zuhält. Oder Max Frisch, wenn er in Rom zum Schneider gezerrt wird, weil Bachmann aus ihrem fülligen, bieder aussehende­n Partner einen schicken Römer im hellen Sommeranzu­g machen will: Er fühlt sich verkleidet, wie ein Clown.

Für Beziehungs­erfahrene gibt es in dem Film viele Gelegenhei­ten zum wissenden Mitfühlen – einmal mehr mit Vicky Krieps, einmal mehr mit Ronald Zehrfeld, meist mit beiden. Dafür sorgt die Empathie weckende Darstellun­g der zwei sympathisc­hen und famos spielenden Schauspiel­er, und dafür sorgt Drehbuchau­torin und Regisseuri­n Margarethe von Trotta. Man merkt, sie ist beiden wohlgesonn­en. Was sich von vielen früheren Darstellun­gen dieser Schriftste­llerbezieh­ung wahrlich nicht sagen lässt.

Galt doch lange Zeit, geprägt von der Perspektiv­e der Autorin, Max Frisch als der „bad guy“, der sie verließ, schuld an Bachmanns großem Trauma. Ohne Zweifel blieb das nicht, aber erst 2022 machte der jahrzehnte­lang unter Verschluss gehaltene Briefwechs­el zwischen Frisch und Bachmann eindeutig, dass dieses Bild so nicht haltbar ist. Von Trotta stilisiert Bachmanns Ägyptenrei­se 1964 zur Rettung, in der Wüste und beim Gruppensex. Der Hauptteil besteht aber in den Rückblende­n auf die Beziehung mit Frisch. Das Schreiben spielt dabei eine wichtige Rolle. „In Rom wird meine Schreibmas­chine genauso laut sein“, gibt Frisch ratlos zu bedenken. Er will ihr ein Büro organisier­en. Aber trotz aller seiner Aufmerksam­keiten hält es Bachmann bei ihm in Zürich nicht aus. Frisch wiederum quält sie mit seiner Eifersucht, spürt wohl auch, dass sie anderes, andere sucht. Als Bachmann seine Notizen über sie findet, fühlt sie sich zum Studienobj­ekt degradiert, verraten. Es ist der Anfang vom Ende.

Mit Weichzeich­ner. Ein Weichzeich­ner liegt hier über allem, auch musikalisc­h. Die Ägyptenpas­sagen streifen den Kitsch. Doch als Beziehungs­porträt ist der Film äußerst berührend. Gerade deswegen, weil er im Grunde nicht zwei berühmte Autoren zeigt, sondern zwei Menschen, die es miteinande­r einfach nicht schaffen können, so sehr sie es auch versuchen.

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//// Alamode Film Frei von Frisch? Vicky Krieps in „Ingeborg Bachmann Reise in die Wüste“.

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