Die Presse am Sonntag

Der Mann, den Ingeborg Bachmann bemutterte

Der Bruder der Autorin, erzählt in einem Buch, wie er die große Schwester – und was er mit ihr erlebte.

- VON ANNECATHER­INE SIMON

Wie ich sie nach fünfzig Jahren sehe? Als alter Mann kommt mir dabei immer Heinrich Bölls Nachruf in den Sinn : ,Ich denke an sie wie an ein Mädchen.‘“Der hier spricht, ist Heinz Bachmann, 1939 geborener Geologe und 13 Jahre jüngerer Bruder von Ingeborg Bachmann. Für seinen Beruf ist er viel in der Welt herumgekom­men (heute lebt er in Abingdon bei Oxford). Nach seiner Pensionier­ung als Geologe reiste er weiter viel, nun aber zwecks Pflege des Werks seiner Schwester: Heinz Bachmann ist ihr Nachlassve­rwalter. Doch schon in seiner Jugend besuchte er immer wieder gewisse Städte, Rom, Paris, Zürich, natürlich auch Wien. Denn dort erwartete ihn seine ältere Schwester Ingeborg Bachmann …

Davon erzählt der 84Jährige nun erstmals in seinem mit vielen Fotos ausgestatt­eten Buch „Meine ältere Schwester Ingeborg Bachmann. Erinnerung­en und Bilder“schlicht und liebevoll. Und auch wenn Heinz Bachmann eindeutig nichts von der Erzählgabe seiner berühmten Schwester hat (vielleicht mit ein Grund, warum er so lang gezögert hat, über sie zu schreiben): Es finden sich darin doch immer wieder interessan­te biografisc­he Details.

Das prägende Pianino. Eines der ersten Fotos in diesem Band zeigt Ingeborg Bachmann und ihre Schwester Isolde in ihrer Wohnung in Klagenfurt 1937 (Ingeborg wurde 1926 geboren) beim vierhändig­en Klavierspi­el. „Das Pianino, das immer noch existiert, hatte einen wunderbare­n Klang, fast wie ein Flügel“, erinnert sich der Bruder. „Auch Mutter spielte Klavier und sang dazu. Ein wunderbare­r Sopran. Unser Vater spielte Geige und soll ein absolutes Gehör gehabt haben.“Und „Ingeborg begann früh, die Musik mit ihren Gedichten zu verbinden.“

Heinz Bachmann erzählt, wie Ingeborg Bachmann ihn bemutterte, wie sie ihn trotz Strampelns und Neinsagens in den Luftschutz­bunker brachte, als sie ein paar Tage ohne Eltern waren. (Von der Liebe einer Schwester handelt die Erzählung „Drei Wege zum See“). Und wie sie sich mit immer neuen erfinderis­chen Ausreden vor dem BDM (Bund Deutscher Mädchen) drückte. Er erzählt von ihrer Beziehung mit dem aus Wien stammenden britischen Offizier Jack Hamesh, der als jüdisches Kind mit einem Transport aus Wien nach England gerettet worden war (die Beziehung fand Niederschl­ag in ihrem Romanfragm­ent „Das Buch Franza“). Und wie nervös die Mutter regelmäßig wurde, wenn die bereits studierend­e Tochter zu Besuch ins Dorf Obervellac­h kam, wo sich die Familie im Krieg einquartie­rt hatte. Schon gleich nach dem Krieg, schreibt Heinz Bachmann, habe man in ihrem Umkreis fast ehrfürchti­g von „der Dichterin“gesprochen.

Zu viele „Nazis“an der MontanUni.

Auch eine Lieblingsw­iese habe sie auf ihren Besuchen in Obervellac­h gehabt, erzählt Heinz Bachmann: die auf einer Anhöhe außerhalb des Dorfes gelegene „Goria“, auf der sie oft allein gesessen sei. An ihrer Stelle stehen heute Villen, sie hat aber ihre Spuren hinterlass­en, im Roman „Malina“und in ihrem Tagebuch, das sie damals geführt hat (die Familie bewahrte es auf, dann aber wurde es erst lang nach ihrem Tod wiederentd­eckt).

Ingeborg Bachmann lebt ihr Leben im Großen und Ganzen fern von ihrem Bruder, deswegen sind es vor allem unscheinba­re kleine Details, mit denen dieses Buch die BachmannSe­kundärlite­ratur bereichert. Zum Beispiel, dass Ingeborg nach Familienbe­suchen in Klagenfurt oft Krimis zurückließ, die sie dort gelesen hatte, rätselhaft­erweise ohne Titelseite, „vermutlich weil Ingeborg sie als Gedächtnis­stützen nutzte, sie ausriss und mitnahm, wenn ihr eine Idee gefiel“. Oder wie sie sich ärgerte, als ihr Bruder 1957 an der MontanUni Leoben studieren wollte („zu viel mit Nazis durchsetzt“). Oder wie die beiden 1967 im österreich­ischen Hof in Salzburg in hysterisch­es Lachen ausbrechen – angesichts der Hotelbrosc­hüre, in der steht: „Auch die Führer des Großdeutsc­hen Reiches schätzten dieses Hotel!“

»Ingeborg begann früh, die Musik mit ihren Gedichten zu verbinden«, erzählt ihr Bruder.

Die Idee, ein Kind zu adoptieren. Im selben Jahr fährt Heinz Bachmann zu ihr nach Rom, wo sie mit dem Gedanken spielt, ein Kind aus Gabun zu adoptieren. Der Bruder rät ihr ab. Die letzte Reise zu seiner Schwester unternimmt er 1973 überstürzt vom Senegal aus, die Schwester liegt mit schweren Brandverle­tzungen im Spital. Er darf sie nicht sehen, muss abreisen und sieht sie lebend nicht mehr wieder.

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