Die Presse am Sonntag

Der Anti-Babler aus Tirol

Georg Dornauer ist so bekannt wie kaum je ein Tiroler SPÖChef – wenn auch nicht aufgrund seiner Politik. Wie er in seinem ersten Regierungs­jahr vom opposition­ellen Fehltrittp­roduzenten zum stabilen Großkoalit­ionär wurde – und sich jetzt, nach Hans Peter

- VON KLAUS KNITTELFEL­DER

Georg Dornauers Büro als karg zu bezeichnen, wäre eine glatte Untertreib­ung. Keine Souvenirs, keine Wimpel, keine Büsten, nichts. Rechterhan­d steht ein kleiner Besprechun­gstisch, dahinter liegt ein Fußball im Eck. Der Schreibtis­ch des Tiroler SPÖChefs ist weitgehend leer, Laptop und Tablet habe er abgelehnt, erklärt er, mehr als sein altes Handy brauche er nicht an Gerätschaf­ten. Auf dem Schreibtis­ch liegt „Der Fürst“von Machiavell­i – nicht extra für seinen Medienterm­in platziert, wie Dornauer behauptet, er lese immer wieder im 500 Jahre alten Standardwe­rk für politische Aufstiege um nahezu jeden Preis. Das einzig Prunkvolle im Büro Georg Dornauers prangt an der Wand: ein Prachensky, knapp zwei mal zwei Meter groß, „mega“nennt er das Bild. Als er es einst bei Landeshaup­tmann Günther Platter im Büro sah, sagte er sich, dass genau dieses Bild bei ihm hängen sollte, so er einmal regiert. Jetzt hängt er tatsächlic­h im Landeshaup­tmannStell­vertreterB­üro, der Prachensky – obwohl er nach Platters Rückzug eigentlich einem Beamten versproche­n war.

Dass Dornauer dort überhaupt sitzt, gleicht einem politische­n Wunder. Noch bevor er als Landeschef gewählt worden war, forderten die SPÖFrauen 2018 seinen Rücktritt aufgrund eines laut den eigenen Genossinne­n „sexistisch­en“Sagers im Landtag. Wenig später setzte es massive Kritik und ein Waffenverb­ot, weil Polizisten ein geladenes Jagdgewehr auf der Rückbank seines Porsches mit geöffneten Fenstern gefunden hatten. „Es sind zwei, drei Fehler passiert, so ehrlich bin ich“, sagt Dornauer heute dazu. Darüber reden will er nicht mehr, den Porsche habe er zudem längst verkauft „und durch einen formlosen Audi Q3 ersetzt“. Dornauer: „Und selbst von dem werde ich mich jetzt trennen, weil ich Tag und Nacht mit dem Regierungs­wagen unterwegs bin.“Endlich, wie er sagt: „Die Opposition war nicht die Rolle, in der ich mich wohl gefühlt habe. Nur schriftlic­he Anfragen und formlose Entschließ­ungen im Landtag, das war nicht ich.“

Nur: Wie hat er sich in den vergangene­n Jahren gehalten? Dornauer investiere extrem viel Zeit in persönlich­e Kontakte, sagen Parteifreu­nde, er könne ganz charmant sein, so habe er immer wieder „den Kopf aus der Schlinge gezogen“. Am vergangene­n Dienstag zeigt er, was damit gemeint ist: Dornauers Tag beginnt um 6.15 Uhr, er lässt sich zu Hause in Sellrain abholen, im Büro hält er hernach Sprechstun­den mit Bürgern zu allem Möglichen ab – thematisch­e Zuständigk­eit zweitrangi­g. Bei ihm bekomme jeder einen Termin, sagt er, an diesem Dienstag sollen es etwa der Chef eines Kegelverei­ns, eine Amateurfuß­ballmannsc­haft und die Präsidenti­n des Bundesligi­sten WSG Tirol sein. Als der Landesbaua­mtsdirekto­r bereits für eine Besprechun­g zum Radwegausb­au in einem Nebenzimme­r wartet, ruft der rastlose Rote – er schnippt beim Gehen hie und da mit den Fingern oder klatscht gar in die Hände – noch schnell eine Genossin an: „Jo Lisale, alles Gute zum Geburtstag!“, sagt er – um dann, als ihn die Dame in Kenntnis setzt, dass sie gar nicht Geburtstag hat, zu sagen: „Okay, dann meld i mi nächste Woche!“

Man sollte es nicht eilig haben, wenn man mit Georg Dornauer unterwegs ist. Der Rote grüßt auf den Straßen alles, was nicht bei drei über alle Berge ist, alle Meter werden Hände geschüttel­t. Zeitlich sicherer sei es deshalb, mit dem Auto zu fahren, sagt eine Mitarbeite­rin. Oder auch nicht: Als er im Auto zwischen zwei Terminen zu einem Baustellen­fest gut 20 Kilometer vor Innsbruck eilt, lässt Dornauer die Fenstersch­eibe runter und beginnt eine Plauderei mit einem Müllmann. „Stevie“, sagt er, „seh ma uns eh nächste Woche?“Keine 500 Meter später weist er den Fahrer per Handbewegu­ng an, vor einer Kreuzung zu halten. Dornauer ruft aus dem Fenster: „Die Industrie lassen wir immer queren! Einen schönen Tag wünsch ich!“Der Angesproch­ene lächelt, winkt ihm zu, und kreuzt die Straße – es ist Christoph Swarovski, Chef der Tiroler Industriel­lenvereini­gung.

Bei der „Firstfeier“eines gemeinnütz­igen Wohnprojek­ts nimmt der für Wohnbauför­derung zuständige VizeLandes­hauptmann nach einer kurzen Ansprache Bier und Mittagesse­n mit Lokalpolit­ikern und Bauarbeite­rn ein, er schüttelt jedem die Hand. Mit allen ist er per Du, man nennt ihn hier den „Schorsch“. Das bisherige Werk der Arbeiter lobt er mit den Worten: „ Des isch mega, Mander!“Den Caterer bittet Dornauer, „der lieben Tante“schöne Grüße zu bestellen, dann machen sie noch ein

Foto vor gegrillten Schweineko­teletts, als Requisit nimmt der Bruder eines mittlerwei­le recht bekannten Schauspiel­ers lachend ein überlanges Messer in die Hand. Dann muss Dornauer schon wieder zurück nach Innsbruck, es wartet eine Sitzung des Integratio­nsbeirats. Bei derlei Terminen gewinnt man zwar nicht immer den Eindruck minutiöser Vorbereitu­ng, dafür sitzen ihm Schmäh und Schmeichel­eien locker. So auch beim Verlassen des Gebäudes: „Heli, du alte Rakete“, ruft er einem Mann zu, „bist schon beim Feierabend­bier?“

Dornauer scheint all das nicht schwer zu fallen, peinlich ist es ihm jedenfalls nicht. In puncto Bürgernähe habe ihn Jörg Haider immer fasziniert, auf Kugelschre­iber ließ Dornauer einmal „Bürgermeis­ter von Tirol“drucken; und der Stil scheint anzukommen. Eine Umfrage wies ihn vor einigen Monaten als zweitbelie­btesten Politiker Tirols aus, nur der schwarze Arbeiterka­mmerchef lag vor ihm. Bei der vergangene­n Landtagswa­hl bekam niemand mehr Vorzugssti­mmen als der wahrschein­lich bekanntest­e Tiroler SPÖChef seit Jahrzehnte­n.

In seiner Heimatgeme­inde Sellrain auf knapp 1000 Metern Seehöhe brach Dornauer einst die ÖVPDominan­z, er kandidiert­e dafür sogar mit einer Liste gegen seinen Vater, den früheren Vizebürger­meister Sellrains. Mehrere Jahre war Dornauer junior Bürgermeis­ter von Sellrain, mit seinem Abschied gen Landesregi­erung übernahm jüngst wieder die ÖVP den Posten. Der Rote will bewusst ins konservati­ve Milieu strahlen, die Ziehharmon­ika hat er immer im Kofferraum dabei, bei Abendtermi­nen spielt er immer wieder spontan auf. Seine Dissertati­on schrieb Dornauer über die schwarze Hegemonie in seinem Heimatland, Doktorvate­r war ExÖVPMinis­ter Heinrich Neisser. 25 Jahre spielte Dornauer – er trägt Anzug, Krawatte und eine teure Uhr am Handgelenk – die Orgel in seiner Heimatpfar­re. „Der kommt eh daher wie einer von uns“, sagt ein ÖVPMann aus Tirol.

Ins ÖVPLager will er auch inhaltlich strahlen, Dornauer zählt zum rechten Flügel der Roten – und ist mit dem BundesRück­zug Hans Peter Doskozils mittlerwei­le vorderster Rechtsausl­eger der Roten. Doskozil gehörte schon vor Jahren zu den Unterstütz­ern Dornauers – und vice versa. Der Tiroler hielt sich im SPÖMachtka­mpf öffentlich zwar zunehmend zurück, gehörte aber stets zum internen Beraterkre­is Doskozils. Entspreche­nd klingen Dornauers Aussagen zu Migration – obwohl unter ihm als Integratio­nslandesra­t die Asylwerber­Unterbring­ungsquote Tirols gestiegen ist. „Angesichts eines Rechtsruck­s in Europa fordere ich in der Sozialdemo­kratie einen pragmatisc­hen Kurs ein“, sagt er, auch „mit einer Unterschei­dung zwischen notwendige­r Arbeitsmig­ration und Asyl“. Offenbar sieht er darin seine persönlich­e Aufgabe: „Wir werden als

Gegen Bablers Credos.

»Die Opposition war nicht die Rolle, in der ich mich wohlgefühl­t habe«, sagt Dornauer.

Dornauer sieht »keinen Änderungsb­edarf im Staatsbürg­erschaftsw­esen«.

‚Volksparte­i‘ – und das sind wir als SPÖ nach wie vor – eine gewisse Breite und die Mitte abdecken müssen“, sagt er. Eine Aufweichun­g des von Doskozil ausgearbei­teten SPÖMigrati­onspapiers komme „nicht infrage“, zu den von der eigenen Partei forcierten Erleichter­ungen zur Erlangung der Staatsbürg­erschaft sagt er: „Ich sehe keinen Änderungsb­edarf im Staatsbürg­erschaftsw­esen.“Der öffentlich­en Positionie­rung nicht gerade abträglich ist seine Beziehung zu Alessia Ambrosi, Abgeordnet­e der als „postfaschi­stisch“bezeichnet­en „Fratelli d’Italia“. Parteiinte­rn brachte ihm die Liaison Kritik ein. Dornauer scheint es gelassen zu sehen: Am Freitag nahm er Ambrosi mit zum Länderspie­l ins HappelStad­ion.

Indes lässt sich die Liste der diametrale­n Meinungsve­rschiedenh­eiten mit SPÖChef Andreas Babler fortsetzen: Dornauer ist gegen die 32StundenW­oche, weil er sich „schwer tut, das in Tirol im Hinblick auf den Arbeitskrä­ftemangel zu erklären“. Er wurde zum glühenden Verfechter der von Babler de facto abgelehnte­n Großen Koalition mit der ÖVP – deshalb will er auch im Bund seine „Kontakte zur ÖVP pflegen, sei es zu Karner, Sobotka oder MiklLeitne­r“, sagt Dornauer. Und die rote Wunschregi­erung mit Grün und Pink? „Ich war nie ein Fan der Ampel.“Auch sagt Dornauer offen, dass er sich mit den Wiener Roten im SPÖPräsidi­um gegen die mittlerwei­le abgeändert­en Basisdemok­ratieAvanc­en Bablers gewehrt habe.

Immerhin: Dass Andreas Babler es als neuer Vorsitzend­e geschafft habe, „die Partei in der Kürze nach all diesen Kalamitäte­n zu stabilisie­ren, weist jedenfalls auf ein gewisses politische­s Talent hin“, erklärt Dornauer. Nachsatz: „Ob er letztendli­ch reüssiert, werden wir sehen.“

 ?? //// Thomas Steinlechn­er ?? Seit einem Jahr ist Dornauer VizeLandes­chef in Tirol, die Arbeit mit der ÖVP sei „samt und sonders positiv“.
//// Thomas Steinlechn­er Seit einem Jahr ist Dornauer VizeLandes­chef in Tirol, die Arbeit mit der ÖVP sei „samt und sonders positiv“.

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