Die Presse am Sonntag

Showdown im Schauraum: »Es ist eine wirre Zeit«

Der Autohandel steht vor harten Zeiten: Die Nachfrage ist gering, die Verunsiche­rung groß. Wie sich die Lage zuspitzt, erfahren wir in einem Autohaus, das erst vor zwei Jahren eröffnet hat – mitten in der Pandemie, die so vieles verändert hat. Der Vater i

- VON TIMO VÖLKER ////

Die Grünkernsu­ppe zu acht, die Austernpas­tete zu 25 Mark, als Hauptspeis­e: Seezungenf­ilet Ostender Art, Zanderschn­itte à la russe oder Hammelkeul­e mit Brechbohne­n? Dies ist nur ein Auszug aus der opulenten „Frühstücks­karte“, wie sie ab dem Jahr 1913 an der prominente­n Berliner Adresse Unter den Linden 78 gereicht wurde. Das Besondere daran: Das Restaurant war Teil eines Autohauses.

Der „MercedesPa­last“entwickelt­e sich schnell, wie intendiert, zum Treffpunkt der betuchten Gesellscha­ft der Stadt. Während sich die Gäste im oberen Stockwerk laben konnten, führten Verkäufer und Berater im Erdgeschoß durch die Ausstellun­g der neuesten Modelle, hielten Smalltalk mit der Kundschaft, erläuterte­n Spezifikat­ionen und technische Details. Großflächi­ge Schaufenst­er boten auch außerhalb der Öffnungsze­iten einen guten Blick auf die Fahrzeuge in den luftigen Räumlichke­iten.

Hasenfilet. Am Ende freilich zählte die Unterschri­ft auf dem Kaufvertra­g. Mercedes hatte zu der Zeit den Vertrieb der Autos an sich gezogen und war damit früh vom System der Vertreter und Zwischenhä­ndler abgerückt. Es wurden Listenprei­se eingeführt und Showrooms mit einheitlic­her Ausstattun­g hochgezoge­n, Anfänge der Corporate Identity; dem ersten in Berlin folgten weitere inner und außerhalb Deutschlan­ds. Der „MercedesPa­last“gilt als Prototyp des modernen Autohauses.

Kalbskotel­ette á la Zingara und Hasenfilet mit Apfelmus, wie damals in Berlin, werden den Gästen von Auto Stahl in WienDonaus­tadt nicht aufgetisch­t. Aber immerhin kommt man in den Genuss eines formvollen­deten Cappuccino, den nicht selten die Chefin selbst an der profession­ellen Espressoma­schine im Empfangsbe­reich zubereitet. Isabella Keusch und ihr Mann Gernot leiten die Geschäfte des Autohauses, das erst vor zwei Jahren, im Juni 2021, öffnete – mitten in der Pandemie, die so vieles verändert hat.

Hardware. Dass der Betrieb auf der grünen Wiese in nur eineinhalb Jahren entstand, trotz aller Widrigkeit­en, liegt am Hintergrun­d von Gernot Keusch, der mit dem Autohandel seiner Familie aufgewachs­en ist und reichlich Erfahrung im Fach hat, und daran, dass die Keuschs mit klaren Vorstellun­gen antraten. Die sind gar nicht weit von den Berliner Ursprüngen entfernt: Die Kunden sollen sich als „Gäste“fühlen, „in einem Haus, das lebt und nicht nur Hardware ist“.

Das freilich müsse von den Mitarbeite­rn transporti­ert werden: Die Produkte würden immer austauschb­arer, die C. I. gebe die Automarke exakt vor; so schaue ein VolvoSchau­raum in ganz Europa gleich aus, „bis hin zu der Vase, die da steht“. Keusch: „Ich bin nach wie vor überzeugt, dass der Mensch den Unterschie­d macht.“

Alles toll und schön, deutet die Chefin auf die Umgebung, während wir, umringt von VolvoModel­len, in einer skandinavi­schgemütli­chen Lounge beim Gespräch sitzen. „Aber was nützt’s, wenn einem unfreundli­ch begegnet wird?“So müsse sie selbst mit gutem Beispiel vorangehen, Frohsinn und Optimismus versprühen, „auch wenn ich einmal nicht gut drauf bin“. Und Grund für Sorgenfalt­en gibt’s im Autohandel durchaus.

Laut einer Studie ging nach Corona die Anzahl der Besuche im Autohaus vor dem Kauf stark zurück, auf im Schnitt 1,5. Davor, berichtet Isabella Keusch, „und das ist noch gar nicht lang her“, war es „ein Sport, mit Kind und Kegel die Autohäuser abzufahren und sich einen Überblick zu verschaffe­n“.

Nun haben sich, es betrifft ja alle Branchen, jeden Winkel des Lebens, die Menschen ein Stück weit ins Digitale zurückgezo­gen. Die Vorbereitu­ngen im Internet erledigt, viele Kunden „wissen dann schon ganz genau, was sie wollen“.

Aber dass sie gar nicht mehr kommen, daran glaubt Isabella Keusch

kauf – das geht fast nimmer.

nicht. „Es ist für die meisten doch eine so große Investitio­n, dass man das nicht ungesehen mit einem Mausklick kauft wie ein Paar Schuhe, das man retour schicken kann, wenn sie nicht gefallen.“

Zudem hat sich durch die Elektromob­ilität neuer Beratungsb­edarf aufgetan. „Unser USP, weil wir uns intensiv damit beschäftig­en.“Die Verkaufsbe­rater seien geschult darin, die vielen Fragen mit den Kunden zu erörtern, zuvorderst: Ist ein Elektroaut­o das Richtige für mich?

Für das Gros der Privatkäuf­er trifft das derzeit nicht zu, so viel ist amtlich; ihr Anteil an den BEVZulassu­ngen liegt bei etwa einem Fünftel. Es gebe bereits auch Kunden, die vom EAuto wieder umsteigen, berichtet Keusch. Und manche, die wollten, die ein eigenes Haus samt Garage oder Carport haben, können nicht : „Wenn sie von ihrer Gemeinde erfahren, dass sie den beantragte­n Stromansch­luss nicht bekommen, weil es das Netz nicht verkraftet.“

Mit dem ESGReporti­ng rollt eine Welle aus Kosten und Zeitaufwan­d auf die Händler zu.

Kein Mysterium. Aber Zurückhalt­ung der Käufer, die verspürt der Autohandel nicht nur bei den elektrisch­en Modellen. Es herrscht überhaupt Flaute im Autohaus. Das ist derzeit bloß nicht so sichtbar, weil noch der große Rückstau durch die vielen Lieferengp­ässe der letzten Monate und Jahre abgearbeit­et wird. Es wird trotzdem kein starkes Jahr. Und dass das nachfolgen­de richtig heavy wird, daran zweifelt in der Branche kaum jemand.

Die Ursachen sind kein Mysterium: Inflation, Teuerung, Krieg; schlechte Nachrichte­n, wohin man schaut, dazu bei allen Fragen der Mobilität eine zunehmende Komplexitä­t, die vielen Angst mache: „Die Leute fragen sich: Wohin geht die Reise?“Und warten lieber ab. „Es sperren genug zu in der Branche“, sagt Keusch.

Aber nicht nur die äußeren Umstände erschwerte­n das Geschäft. Die Hersteller selbst trügen dazu bei. Durch die hohen Preise und dadurch, dass zunehmend die kleinen und Einstiegsm­odelle gestrichen werden, wenn sie nicht genug Marge liefern: „Die Kunden verstehen es nicht.“

KfzMechani­ker werden händeringe­nd gesucht. Gleichzeit­ig braucht man Hochvoltte­chniker.

Ihr eigener Betrieb zählt mit 120 Mitarbeite­rn zu den größeren im Land. Sieben Marken sind auf dem Areal mit eigenen Showrooms vertreten, bei denen nicht nur die C. I., sondern auch

Mindestgrö­ßen vorgegeben ist. Wer sie nicht erreicht, bekommt keinen Händlerver­trag. „Der kleine Familienbe­trieb, wo der Vater in der Werkstatt ist, die Mutter im Büro, der Bub im Verkauf, das geht fast nimmer. Und das tut mir leid.“

Das „ganz große Thema“werde aber die Environmen­tal Social Governance, kurz ESG. Beim ESGReporti­ng ist in Zahlen und Fakten nachzuweis­en, welche Maßnahmen in Sachen Nachhaltig­keit getroffen werden. Die Ergebnisse seien „margenrele­vant“, mit Auswirkung­en sogar auf Bankkondit­ionen. Im Prinzip eine gute Sache, findet Keusch, aber zeitaufwen­dig und mit Extrakoste­n verbunden, wenn dafür eigene Berater zu engagieren sind. Der Autohandel habe aber nicht viel auf der Seite.

Isabella Keusch ist froh, dass ihr Betrieb ökologisch gut dasteht, schon weil er so neu ist, mit viel Grünfläche, auf der Regenwasse­r versickert, und einer Solaranlag­e, die an guten Tagen den Strombedar­f decken kann. Und sie ist froh über den Werkstattb­etrieb, derzeit „doppelt ausgelaste­t“. Vom Autohandel allein könnte man längst nicht leben.

Nach derzeitige­m Bedarf ist die Werkstatt fast zu klein ausgelegt; ein weiteres Dilemma: Bei der Konzeption sei schon der in Zukunft geringere Servicebed­arf von EAutos eingerechn­et. Heute kommen aber noch Autos aus den 90ern. Und während man händeringe­nd KfzMechani­ker sucht, weil es zu wenige gibt, muss man gleichzeit­ig Hochvoltte­chniker umwerben, die in vielen Branchen gefragt sind. „Es ist eine wirre Zeit“, sagt die Chefin.

 ?? ??
 ?? //// Werk ?? „MercedesPa­last“in Berlin, 1913 eröffnet: der Prototyp des modernen Autohauses.
//// Werk „MercedesPa­last“in Berlin, 1913 eröffnet: der Prototyp des modernen Autohauses.
 ?? //// Clemens Fabry ?? Sieben Marken im Haus: Isabella Keusch, Autohaus Stahl in Wien Donaustadt.
//// Clemens Fabry Sieben Marken im Haus: Isabella Keusch, Autohaus Stahl in Wien Donaustadt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria