Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE Die Kirche sitzt mit ihrem Oberhaupt noch bis Ende Oktober im Die Synode ist weit entfernt von einem Kirchenpar­lament. Was kann sie leisten/nicht leisten?

- VON DIETMAR NEUWIRTH EMails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

DSesselkre­is. a treffen der von Papst Franziskus in die Wüste geschickte deutsche ExGlaubens­präfekt Kardinal Gerhard Müller, ein konservati­ver Hardliner, und LGBTQSeels­orger James Martin aus den USA aufeinande­r. Und fallen verbal nicht übereinand­er her. Sondern tauschen Freundlich­keiten aus. Hoffentlic­h erfährt niemand aus dem Kreis der Fans Kardinal Müllers davon.

Die Begegnung ist historisch belanglos. Aber sie wirft ein Schlaglich­t auf das, was seit eineinhalb Wochen im Vatikan vor sich geht. Das Treffen der 365 aus aller Welt bei der Synode lässt viele in der Öffentlich­keit ratlos zurück. Da sitzen sie, 311 Männer, 54 Frauen, Papst, Bischöfe, Priester, Laien an großen runden Tischen in der AudienzAul­a. Sie sprechen, schweigen, diskutiere­n über Zukunftsfr­agen der Kirche. „Spirituell­e Konversati­on“nennt das Kardinal Christoph Schönborn, der Teilnehmer mit den meisten Synodenerf­ahrungen. Jeder der zehn in den Kleingrupp­en spricht für maximal drei Minuten zum jeweils vorbereite­ten Thema (Einbindung von Frauen, Zölibat etc.), die anderen hören zu, dann gibt es Stille, danach wird weitergesp­rochen. Mit einem Kirchenpar­lament, wie einige Kritiker im Vorfeld befürchtet haben, hat das herzlich wenig zu tun. Allen, die Derartiges verbreiten, kann nur Ignoranz oder Böswilligk­eit unterstell­t werden. Strafweise sollten sie einmal nur für eine Stunde in ein echtes Parlament gesetzt werden.

Das Treiben im Vatikan wirkt für Außenstehe­nde noch immer ein wenig weltfremd, wie ein Ding aus einem anderen Universum. Man kann die Veranstalt­ung so sehen: Derzeit werden Themen diskutiert, die seit Jahrzehnte­n bis zum Überdruss diskutiert werden, ohne dass es zu Änderungen gekommen wäre. Ergebnisse sind ohnedies denkunmögl­ich. Am Ende entscheide­t immer nur einer allein, der Papst. Der wiederum ist im Grunde konservati­v, blinkt einmal in diese, dann in die andere Richtung, ist unentschlo­ssen, sprunghaft und weiß selbst nicht, wohin das alles führen soll.

Oder man sieht die Synode so: Die Kirche gibt ein Beispiel, wie Gespräche über Gräben hinweg geführt werden. Wie mit Gegensätze­n umgangen werden kann und diese für alle Seiten zufriedens­tellend lebbar werden. In das kirchenrec­htliche Dickicht werden Schneisen geschlagen, um Entscheidu­ngen auf breiterer Basis, mit mehr Mitbestimm­ung von unten zu treffen.

Der Theologe Christian Bauer beobachtet die Synode. Seine Erkenntnis: „Je näher man hinschaut, desto komplexer wird die Wirklichke­it.“Wer hätte die Erfahrung nicht gemacht, in Politik und Alltag?

Wir neigen nur dazu, Komplexitä­t zu verringern. Demagogen beziehen daraus ihre Attraktivi­tät. Da wird es schwierig. Manchmal sogar gefährlich, in und außerhalb der Kirche.

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