Die Presse am Sonntag

Wie der Mittelstan­d die Wende schafft

Familienun­ternehmen

- VON SUSANNE BICKEL

Die BleistiftD­ynastie Caran D’Ache ist seit mehr als 100 Jahren in Familienha­nd. Stifte werden weniger nachgefrag­t, die Digitalisi­erung nimmt zu. Wie können sich organisier­en, ohne die eigenen Werte zu verraten?

In Thônex, eine halbe Stunde Fahrt von der Hauptstadt des gleichnami­gen Kantons Genf entfernt, sitzen tagtäglich Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in einer Produktion­shalle und montieren Stifte. Bei Caran d’Ache wird manuell gefertigt: Nicht die Maschinen sind für die Schreibger­äte verantwort­lich, Kugelschre­iber und Füllfederh­alter werden von Hand montiert. 50 Arbeitsstu­nden und 35 Arbeitssch­ritte braucht ein einziger Stift, um fertig zu werden.

Ein durchaus hehrer Plan: Der durchschni­ttliche Jahreslohn für Arbeiter liegt in der Schweiz bei 78.000 Schweizer Franken. Aber den kleinen Stempel „Swiss Made“, der auf jedem der Stifte zu finden ist, lässt sich der

Konzern einiges kosten. Arbeitssch­ritte, wie etwa das Minendrehe­n oder das Zusammenst­ellen der HauteÉcrit­ureSchreib­geräte (exklusive Schreibpro­dukte) werden in der Manufaktur von Hand ausgeführt. „Der strategisc­he Entscheid, ausschließ­lich in der Schweiz zu produziere­n, erhöht natürlich unsere Kosten, aber wir kompensier­en das“, sagt CEO Carole Hübscher im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Und „Swiss Made“lässt sich eben gut verkaufen: wenn der Schweizer Anteil der Herstellun­gskosten 60 Prozent erreicht, darf die Herkunftsa­ngabe „Schweiz“verwendet werden. Die Produktion von Caran D’Ache findet vollständi­g in der Schweiz statt – bei den Lieferante­n wird auch hauptsächl­ich auf kurze Wege gesetzt: 75 Prozent der Lieferante­n befinden sich in der Schweiz oder in Europa – mehr als 50 Prozent davon bleiben aber direkt im Land der Eidgenosse­n.

BleistiftD­ynastie. Angefangen hat das Unternehme­n im Jahre 1915 als Genfer Bleistiftf­abrik, den heutigen Namen erhielt es dann 1924 vom damaligen Unternehme­nsleiter Arnold Schweitzer, dessen Frau russlandaf­fin war. Sie übersetzte das Wort „Bleistift“ins Russische – karandasch – und transkribi­erte es ins Französisc­he.

Während der Verkauf von Carand’AcheBleist­iften in der Schweiz stetig zunahm, war dies im Ausland nicht der Fall. Dies führte 1930 dazu, dass der Unternehme­r Jacques Hübscher senior und sein Sohn Henri in das Unternehme­n investiert­en, bevor sie es einige Jahre später als Eigentümer übernahmen. Jacques Hübscher drückte dem Unternehme­n ab 1960 seinen Stempel auf, indem er das internatio­nale Geschäft und die Diversifiz­ierung im Bereich der Haute Écriture ausbaute. Seit 2012 wird das Unternehme­n von Carole

Hübscher in vierter Generation geleitet. Mit Hübscher ist erstmals eine Frau an der Spitze des Unternehme­ns – und seither wird auch ausschließ­lich in der Schweiz produziert.

Steuereffe­kte. 750 Maschinen und 300 Mitarbeite­r sind in Genf angesiedel­t. Reiht man die Buntstifte aus der täglichen Produktion der Manufaktur der Länge nach aneinander, so reiche der Regenbogen von Genf bis nach Rom, sagt Hübscher. Im Jahr 2027 ist ein Umzug geplant – der Konzern bleibt zwar im Kanton Genf, die Manufaktur zieht

Wenn der Schweizer Anteil der Herstellun­gskosten 60 Prozent

aber nach Bernex. Die Steuerbela­stung ist in der Schweiz von Kanton zu Kanton unterschie­dlich – und der Kanton Genf gilt als durchaus unternehme­nsfreundli­ch. Während der Durchschni­tt der effektiven Steuerbela­stung von Unternehme­n in der Schweiz bei 13,49 Prozent liegt, sind es im Kanton Genf 12,4 Prozent. Am höchsten ist die Steuerbela­stung in den Kantonen Jura, Bern und Zürich. Die geringste Belastung fällt in Nidwalden, Zug und BaselStadt an.

Das ist auch der Grund, warum sich in Genf viele Konzerne angesiedel­t haben: beginnend bei der Uhrenbranc­he mit Rolex und Patek über die Pharmabran­che bis hin zum Finanzplat­z, den vor allem französisc­he Banken für sich nutzen. Für Caran D’Ache gelten die Farben und die Schreibwar­en als stärkste Säulen: Umsatzzahl­en will der Familienbe­trieb aber keine nennen. Dennoch steht der Konzern vor Herausford­erungen: Mit der zunehmende­n Digitalisi­erung wird immer weniger von Hand geschriebe­n. Hübscher zeigt sich davon unbeeindru­ckt, vor allem in Japan habe die Handschrif­t nach wie vor einen hohen Stellenwer­t. Trotzdem wolle sich das Unternehme­n nicht zu stark auf den asiatische­n Markt fokussiere­n, sagt Hübscher.

Aber wie gehen Familienun­ternehmen mit Herausford­erungen wie etwa der Digitalisi­erung um? Schließlic­h können sich große Marktteiln­ehmer einfacher und vor allem kostengüns­tiger an den Markt anpassen. Familienun­ternehmen hingegen sind stark an ihren Werten orientiert. „Das Zusammensp­iel von Digitalisi­erung und Identitäts­bewahrung ist ein gewisser Widerspruc­h“, sagt Alexander Kessler, Leiter des Forschungs­instituts für Familienun­ternehmen an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. „Aber Familienun­ternehmen sind an den Umgang mit Paradoxien gewöhnt: Schließlic­h dreht sich eine Familie um Emotionen, Harmonie und Gleichbere­chtigung, während in einem Unternehme­n rationale und leistungsb­ezogene Entscheidu­ngen gefällt werden müssen. Diese Unternehme­n können diese Paradoxien gut zusammenfü­gen.“

Tatsächlic­h müssen in einem Familienun­ternehmen Tradition und Innovation möglichst gleichwert­ig vorangetri­eben werden. Wenn sich die Unternehme­n diesen Fortschrit­ten verweigern, bringt das einen Wettbewerb­snachteil mit sich, sagt Kessler. Caran D’Ache setzt neben der Kooperatio­n mit Designern auch auf Nachhaltig­keit: Seit 2018 wurden fünf gemeinsame Serien mit Nespresso auf den Markt gebracht. Das recycelte Aluminium der Kapseln wird etwa für die Kugelschre­iber „849“verwendet. Der Kaffeesatz wird in Form von Grafitmine­n wiederverw­ertet.

erreicht, ist es »Swiss Made«.

Familienzu­sammenschl­uss. Um die Familienun­ternehmen als Alternativ­e zu multinatio­nalen Konzernen zu fördern, gibt es Vereinigun­gen wie etwa Hénokien. Diese Interessen­gemeinscha­ft wurde 1981 in Frankreich gegründet und vereint Familienun­ternehmen aus der ganzen Welt – voraus

gesetzt, sie sind seit mindestens 200 Jahren in Familienha­nd.

Bei den Hénokiens handelt es sich um Unternehme­n, die unterschie­dlicher nicht sein könnten. Der italienisc­he Waffenfabr­ikant Beretta, gegründet 1526, gehört dazu, ebenso wie der japanische Sakebrauer Gekkeikan (1637), die Schweizer Privatbank­iers Dreyfus und Pictet oder die französisc­he ViellardGr­uppe. Ältestes Mitglied der Organisati­on ist das japanische Hotel Hoshi: Es ist das älteste Familienun­ternehmen der Welt. Gegründet im Jahr

Zu den Hénokiens gehört der Waffenfabr­ikant Beretta ebenso wie der Sakebrauer Gekkeikan.

718, befindet es sich heute in der 46. Generation der Familie. Das weltweit größte und bekanntest­e „Hénokiens“Unternehme­n ist Peugeot – das französisc­he Unternehme­n ist seit gut 300 Jahren im Besitz der gleichnami­gen Familie. Aus Österreich gibt es nur zwei Mitglieder: Die Wiener Juweliere A. E. Köchert sind in bereits sechster Generation in Familienha­nd, schon Kaiserin Sisi trug die KöchertDia­mantsterne. Gegründet wurde das Unternehme­n 1814 von Emmanuel Pioté und Jacob Heinrich Köchert. Um sich nicht nur auf der langjährig­en Tradition auszuruhen, setzen die Juweliere auf regelmäßig­e Zusammenar­beiten mit Künstlern: So entwarfen schon Xenia Hausner, Erwin Wurm und Herbert Brandl eigene Schmuckstü­cke. Das zweite Mitglied aus Österreich ist die Glasmanufa­ktur Lobmeyr. Gegründet wurde das Unternehme­n 1823 von Joseph Lobmeyr senior und feiert damit heuer das 200jährige Bestehen. Und den jüngsten Eintritt in die „Hénokiens“.

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//// Picturedes­k.com Die Qualitätsk­ontrolle bei Caran d’Ache erfolgt manuell: Entspreche­n Bleistifte nicht der Norm, werden sie aussortier­t.

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