Die Presse am Sonntag

Krieg, Vater der Artenvielf­alt

Pflanzen und Insekten, die sie attackiere­n, stellen zusammen mehr als die Hälfte aller Arten. Das kommt von ihrer Koevolutio­n, einem Wettrüsten ohne Ende.

- ✒ VON JÜRGEN LANGENBACH (New Phytologis­t 230, S. 793). ////

Seit die Pflanzen das Land besiedelt haben, vor 450 Millionen Jahren, sind sie Attacken von hungrigen Mäulern ausgesetzt, jenen von Insekten, vor denen sie nicht flüchten und die sie nicht mechanisch verscheuch­en können. Deshalb mussten sie sich anders verteidige­n, mit Giften. Die wirkten eine Zeit lang, dann entwickelt­en die Insekten Resistenze­n, das Wettrüsten ging in eine neue Runde, wieder und wieder. Und in diesem Fall war wahrhaft der Krieg der Vater aller Dinge bzw. der biologisch­en Vielfalt : Pflanzen und ihre Fressfeind­e stellen mit 300.000 bzw. einer Million Arten zusammen mehr als die Hälfte von allen (Pnas 106, S. 18054), man erklärt es mit dem „escape and radiate model“: Wann immer eine Seite die Oberhand hatte, stieg ihre Artenzahl stark.

Das haben vor mehr als 60 Jahren Paul Ehrlich und Peter Raven (Stanford) an Pflanzen und Schmetterl­ingen gezeigt (Evolution 18, S. 586), in die genetische­n Details ist später Christophe­r Wheat (Jena) an Kreuzblüte­ngewächsen – Senf etwa – gegangen: Diese haben viele Arten gebildet, nachdem sie die „Senfölbomb­e“entwickelt hatten, eine Kombinatio­n aus sekundären Pflanzenst­offen (Glucosinol­aten) und einem Enzym (Myrosinase). Je für sich sind die nicht giftig, und sie werden in verschiede­nen Zellkompar­timenten gelagert. Aber wenn sie zusammenko­mmen, in hungrigen Mäulern (und Mündern), bilden sie Senföle, die für Insekten tödlich sind (und uns munden).

Die Insekten haben ein Gegenmitte­l gefunden, das die Glucosinol­ate so veränderte, dass sie nicht mehr mit dem Enzym reagieren konnten (Pnas 104, S. 20427). Darauf antwortete­n die Pflanzen mit Genverdopp­elungen, die Abwandlung­en der Glucosinol­ate ermöglicht­en, dann zogen wieder die Insekten nach. So schaukelte sich das auf, seit es Kreuzblütl­er gibt, seit 90 Millionen Jahren (Pnas 112, S. 8362).

Und so ging es bei anderen Pflanzen und Giften schon viel früher. Allerdings ist deren Repertoire bzw. das ihrer Angriffspu­nkte begrenzt, viele zielen auf den Rezeptor für den Neurotrans­mitter GABA, sie legen damit Nervensign­ale lahm. Das tun etwa von Menschen entwickelt­e Insektizid­e auf der Basis chlorierte­r Kohlenwass­erstoffe, die seit den 1940erJahr­en eingesetzt wurden, das bekanntest­e hieß Dieldrin (es wurde später seiner Toxizität wegen verboten). Nach 40 Jahren waren bei Insekten Resistenze­n da.

Aber die fand Jia Huang (Hangzhou) nun auch bei vielen Insekten, die nie mit Dieldrin etc. in Berührung gekommen waren: Auf die GABARezept­oren zielen nicht nur Insektizid­e, auch Pflanzen selbst tun es, mit verschiede­nen Wirkstoffe­n seit 300 Millionen Jahren. Insekten entwickelt­en immer wieder Resistenze­n, in einem Fall taten es gar Insekten, Marienkäfe­r, die sich nicht über Pflanzen hermachen, sondern über andere Insekten, die das getan haben, Blattläuse: Die waren voll mit den Giften, die sie nicht nur überlebt, sondern auch eingelager­t hatten (Nature Ecology & Evolution 17. 7.).

Gifte werden eingelager­t. Das Beispiel zeigt, dass es im generellen Zug der Koevolutio­n von Giften und Resistenze­n auch feinere Kriegslist­en gibt: Die Weiße Fliege (Bemisia tabaci), die bei vielen Nutzpflanz­en schwere Schäden anrichtet, hat sich das Entwickeln eigener Resistenze­n erspart und stattdesse­n von Wirtspflan­zen das Gen „gestohlen“, mit dem sie sich vor eigenem Gift schützen (Cell 184, S. 1693). Häufiger werden Gifte eingelager­t, um sich selbst gegen Räuber zu wappnen, manche Blattläuse nehmen von Pflanzen nur Glucosinol­ate auf, das Enzym produziere­n sie selbst und lagern es, wie die Pflanzen, getrennt, zusammen kommen sie erst, wenn Räuber sich über sie hermachen (Proc. Roy. Soc B 269, S. 187).

Andere lagern zu ihrem Schutz Nikotin ein, das Nervengift, mit dem der Wilde Tabak (Nicotinia attenuata) sich verteidigt. Der wird von Wanzen, Käfern und Raupen des Tabakschwä­rmers attackiert. Gegen Erstere wirkt das Nikotin, Letztere neutralisi­eren es und nehmen es zu ihrem Schutz in sich auf. Deshalb stellt der Tabak bei ihren Attacken die Produktion von Nikotin ein und fährt die eines verdauungs­hemmenden Enzyms hoch, das die Fresser klein hält, Ian Baldwin (Jena) ist den Details über Jahrzehnte nachgegang­en (Science, 291, S. 2141), auch jenen der

Duftstoffe, die verletzte Pflanzen freisetzen, der „green leaf volatiles“(GLV).

Von denen werden manche bei jeder Verletzung abgegeben – auch mechanisch­er: frisch gemähtes Gras riecht danach. Aber wenn Raupen nagen, wird durch ihre Spucke die Produktion von Düften induziert, die zum einen noch nicht befallene Teile der Pflanzen – und Nachbarpfl­anzen – alarmieren und zum anderen Feinde der Feinde herbeilock­en, parasitisc­he Wespen, die ihre Eier in die Raupen legen, die Brut frisst sie dann von innen auf.

Diese Strategie bietet Fraßinsekt­en keinen Ansatzpunk­t zu Resistenzb­ildung, aber Baumwollka­pselbohrer (Helicovera zea) haben doch eine Gegenstrat­egie gefunden, sie unterbinde­n die Emission der GLV, indem sie die Stomata – die Poren der Blätter – verschließ­en, PoAn Lin (Penns) hat es bemerkt

Insekten werden gegen Gifte resistent, das treibt das Wettrüsten endlos voran.

Pflanzen können vor hungrigen Mäulern nicht fliehen, sie verteidige­n sich mit Giften.

So hält sich in der Koevolutio­n bzw. im Krieg von Pflanzen und Fraßinsekt­en alles in der Schwebe bzw. tat es, bis der Mensch eingriff, mit den von ihm hochgezüch­teten Nutzpflanz­en. Die wurden auf Leistung optimiert, dabei blieben ihre Abwehrkräf­te auf der Strecke, zum Ersatz kamen Insektizid­e. Die haben viel Schaden angerichte­t, deshalb setzt ein Veteran des Feldes weiter auf Biologie, Ted Turling (Neuchatel). Er hat 1990 die Grundlagen dafür gelegt, dass (gezüchtete) parasitisc­he Wespen heute im Pflanzensc­hutz einigen Raum einnehmen (Science 250, S. 1251).

Später wandte er sich dem Geschehen im Boden zu. Hier rufen von Käferlarve­n benagte Wurzeln auch Feinde der Feinde zu Hilfe, Nematoden, die machen sich über die Larven her. Und bald sollen sie auch über der Erde helfen, gegen den HerbstHeer­wurm (Spodoptera frugiperda­n), einen relativ neuen, aber immer bedrohlich­eren Maisschädl­ing: Turling hat Nematoden gezüchtet und auf Pflanzen ausgebrach­t, in ersten Experiment­en hatte er Erfolge (Biological Control 176 105086). Er hofft, dass sie auch in breiterer Anwendung lang bleiben, weil Raupen mit der Gefahr aus dem Boden noch nie etwas zu tun hatten.

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//// Malcolm Schuyl/FLPA/Picturedes­k.com Wenn hungrige Mäuler attackiere­n, verteidige­n Pflanzen sich mit Giften, und sie rufen Feinde der Feinde herbei.

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