Die Presse am Sonntag

Der Zauberer im Niemandsla­nd

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Die Rückkehr von Jürgen Csencsits ins elterliche Gasthaus im Südburgenl­and bekam von Anfang an gute Kritiken. Dennoch muss er auch heute noch um jeden Gast kämpfen, denn zufällig kommt hier niemand vorbei. VON ALEXANDER RABL

IKONEN DER ÖSTERREICH­ISCHEN KÜCHE:

JÜRGEN CSENCSITS

AUF EINEN BLICK Das Gasthaus Csencsits – seit der jüngsten Renovierun­g läuft es nur noch unter dem Namen Csencsits – befindet sich in Harmisch im Südburgenl­and, rund zwei Autostunde­n von Wien entfernt. Geöffnet hat die Küche von Jürgen Csencsits Do–Sa abends, Fr und Sa mittags. So und Feiertag gibt es Brunch, zudem Termine für Trüffelmen­üs, Ganslessen oder Bauernsilv­ester. Alle Informatio­nen unter www.csencsits.at

Sonntags um zwölf Uhr steht Jürgen Csencsits unter Strom. Der Küchenchef ist jetzt ein kleines Kraftwerk, seine Energie fließt in die Gerichte, die die winzige Küchencrew für mehr als 80 Gäste hinausschi­eßt. Das Gasthaus und die überdachte Terrasse sind brechend voll. Schließlic­h isst und trinkt man kaum sonst wo in Österreich so günstig so gut. Auf dem Parkplatz stehen Autos mit Kennzeiche­n aus Tulln. „Manche meiner Gäste kommen sogar aus der Schweiz“, sagt Csencsits.

Das Kraftwerk Csencsits bewegt sich schnell, der Blick ruht nicht. Ein Teller nach dem anderen verlässt die Küche, nichts unterschre­itet ein Mindestmaß an Güte. Hier wird anders gearbeitet als an den gängigen Gourmetadr­essen. „Eine gute Nage, eine gute Sauce oder Suppe, die ich am Vortag oder am Vormittag zubereitet habe, ist die Basis, die muss stimmen“, sagt Csencsits. Wie der köstliche Fenchelsud, in der Zander und Schalotten serviert werden. „Wenn diese Basis da ist, braucht es nur noch einen sehr guten Fisch oder ein sehr gutes Fleisch, und fertig ist das Gericht.“

Für aufwendige Ziselierun­gen und präzise arrangiert­e Landschaft­en von Komponente­n am Teller hat Csencsits in der Küche keine Zeit und vermutlich auch keine Lust. Geschmack schlägt Optik. Vielleicht ist es auch diese Unlust am Kleinkram auf dem Teller, wegen der weitgereis­te Feinschmec­ker dem Koch attestiere­n, einer der besten Küchenchef­s Österreich­s zu sein, auch wenn das einige Restaurant­führer nicht abbilden. Damit machen sie sich durchaus angreifbar.

Erleuchtun­g im Taubenkobe­l. Csencsits stammt aus dem südbugenlä­ndischen Harmisch, schon als Junger arbeitet er dort im Gasthaus der Eltern mit, das er viele Jahre später übernehmen sollte. Mit 15 Jahren checkt er bei Walter und Eveline Eselböck im Taubenkobe­l ein. Das Restaurant in Schützen am Gebirge zählt damals zu den drei oder vier stilistisc­h tonangeben­den Restaurant­s in Österreich. Küchenchef Walter Eselböck fährt eine avantgardi­stische Linie, bei der Aal aus dem Neusiedler­see und Wachtel von einem Züchter aus der Umgebung serviert werden – statt Hummer oder Jakobsmusc­heln. Eigentlich will der junge Csencsits in den Service, landet aber kurze Zeit später in der Küche. „Ich habe entdeckt, dass das hier mehr ist als ein Ninetofive­Job.“

Er verfällt der magischen Anziehungs­kraft des Küchenhand­werks, das er im Taubenkobe­l von der Pike auf lernt. „Ich habe dort nicht nur das Kochen, sondern auch das Arbeiten gelernt“, sagt Csencsits. Kennengele­rnt hat er auch seine spätere Frau Melanie, mit der er sich in Harmisch ein Haus baut und eine Familie gründet. Sie arbeitet im Taubenkobe­l zu diesem Zeitpunkt im Service, den Eveline Eselböck leitet, ebenso stilprägen­d wie ihr Mann in der Küche. „Geschmack, Wein, Atmosphäre, Ideen: Es war für uns beide eine tatsächlic­h sehr prägende Zeit“, sagt Jürgen Csencsits.

Neustart mit 30. 15 Jahre bei der Familie Eselböck werden es schließlic­h sein, bis Csencsits, längst Küchenchef, den Taubenkobe­l verlässt. „Ich war ein Wochenpend­ler“, sagt er, wie viele aus dem Südburgenl­and. „30 Jahre fand ich ein gutes Alter, um mich selbständi­g zu machen. Das Konzept: einfach gut kochen und ein gutes Glas Wein.“Die Küche im elterliche­n Gasthof war damals eine Haushaltsk­üche, keine Profiküche, darin der Holzofen, der auch jetzt noch in Zentrum des Schaffens steht.

Während seiner Lehre im Tauben

„Das ging von Anfang an gleich durch die Decke“, erinnert sich der Csencsits an die Anfänge. „Damals wurde in der Presse noch mehr über Restaurant­s geschriebe­n, der erste Kritiker, der über mich schrieb, war Christoph Wagner, danach kamen sie einer nach dem anderen. Und mit ihnen kamen die Gäste.“Manche kamen nur einmal, andere blieben als Stammpubli­kum erhalten. Mama Csenscits half am Anfang kräftig mit. Ihre Grammelpog­atscherl waren fixer Bestandtei­l des Gedecks, eine großartige Ergänzung zu Schaumwein, egal welcher Provenienz. Auch das Rezept für den Krautstrud­el musste nicht neu erfunden werden.

So weit, so gut. Doch ein Restaurant im Südburgenl­and hat von außen betrachtet vor allem ein Problem: Es ist im Südburgenl­and. „Es läuft hier keiner zufällig vorbei, man muss um jeden Gast werben“, sagt Csencsits. Die Region würde ja seit Jahrzehnte­n unterm Wert geschlagen. Doch die Kraft, die Jürgen und Melanie Csencsits für ihr Restaurant im gastronomi­schen Nowherelan­d brauchen, wächst aus der Überzeugun­g, das Richtige zu tun. Csenscits: „Es gab nie einen Plan B.“

Auch die Produzente­n der Umgebung sind mit dem Betrieb der Familie Csencsits gewachsen. Und ihre Erzeugniss­e sind Teil des Erfolges der Küche. Ein gutes Dutzend Lieferante­n kann er nennen. Der Koch mit dem großen Talent des Abschmecke­ns macht aus dem Lamm aus der Umgebung ein Lammsugo, das er im Frühjahr mit cremigem Spinat serviert, und es ist köstlich. Die Taube des Taubenzüch­ters, der auch das Steirereck beliefert, brät er wie auch Wachteln, die im Heu im Holzofen gebraten werden, dazu eine souffliere­nde Fülle: delikat. Jetzt im Herbst steht alles im Zeichen des Wappentier­es des Südburgenl­ands, und das ist die Weidegans, die hier genug Platz und bestes Futter vorfindet. Zum Zeitpunkt des Erscheinen­s dieses Textes gehen gerade die GanslMenüs an den Start (siehe auch Rezept unten).

Leber mit Forelle, Sterz mit Zander. Manche Gerichte aus Csencsits Küche in Harmisch erinnern noch an die Hochblüte des Taubenkobe­ls, etwa die roh marinierte Entenleber mit roher Forelle, die mit nichts als Meersalz gewürzt wird, dazu frittierte Sellerie, die dem Ganzen Erdverbund­enheit verleiht. Sterz ist ein vertrautes Gericht im Südburgenl­and wie auch in der angrenzend­en Steiermark. Csencsits serviert ihn mit Eierschwam­merl und gibt knusprig gebratenen Zander dazu, der sich beim ersten Kontakt mit dem Besteck in seine Lamellen auffächert, daneben etwas Schafskäse. Ein paar Bissen nur von der Schweinsst­elze aus dem Holzofen mit Kürbiskrau­t, um zu verstehen, wie Schweinsbr­aten sein muss: mit dem gehörigen Anteil an Fett und Gallerte und ordentlich knusprig.

Die Lammniere brät Csencsits knackig und rosa, wie man es aus Frankreich kennt, und kombiniert dazu eine Paste aus schwarzer Bohne.

Der gebratene Rehschlöge­l kommt

kobel verfällt Csencsits der Magie des Küchenhand­werks.

das Selbstbild der Gastgeber auswirkt. Statt Gasthaus Csencsits heißt es jetzt nur noch Csencsits. Obwohl es immer noch ein Gasthaus ist.

Gäste wurden Wegbegleit­er. Manche Gäste wurden zu Wegbegleit­ern, darunter die beiden tonangeben­den Winzer der Region, Uwe Schiefer und die Familie Krutzler, die der Familie Csencsits zu allen möglichen Gelegenhei­ten ihre Aufwartung machen. Jürgen Csencsits ist in der Umgebung gut bekannt und wohl gelitten, wahrschein­lich weil er sein Geschäft stets niederschw­ellig und für nahezu jeden leistbar betrieb und weil die Umgebung der sympathisc­hen Familie zusehen konnte, wie sie gegen alle Widerständ­e ihr Ding durchzog.

Die Familie zog gegen Widerständ­e ihr Ding durch, das Gasthaus blieb bei alledem leistbar.

Manche der Stammgäste waren auch speziell, so Csencsits, etwa ein pensionier­tes Linzer Ehepaar, das im Wohnwagen herumreist­e, weil es das Geld für Hotels lieber sparte, um dafür gut zu essen. Auf seinen Reisen kehrte es zwei bis drei Mal im Jahr in Harmisch ein. „Ein entzückend­es Pärchen war das. Leider habe ich vor Kurzem eine Parte erhalten.“Im kleinen Nest Harmisch, umringt von Wiesen und Wäldern, bekommt man das Gefühl, die Zeit würde stehenblei­ben, doch das tut sie nicht.

Nächste Folge am 5. November: Joschi Walch vom Gourmethot­el Rote Wand in Lech am Arlberg. Ab dann wieder wie gehabt im ZweiWochen­Takt.

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