Wenn Sport zur Sucht wird
Fachfrage. Der Grat zwischen Leidenschaft und Besessenheit ist schmal. Wann sprechen wir eigentlich von einer »Sportsucht«? Eine Einordnung.
Wie viel Sport ist gesund?
Katharina Hüfner: Die WHO empfiehlt 150 Minuten moderate körperliche Aktivität pro Woche, dazu zweimal pro Woche muskelkräftigende Übungen. In Österreich erfüllen nur zwischen einem Viertel und einem Drittel der Menschen diese Empfehlung.
Ab wann macht er uns krank?
Das ist sehr viel weniger erforscht. Es gibt keine Menge an Minuten, ab der man sagt, es ist zu viel. Da braucht man andere Kriterien.
Und zwar?
Es geht um medizinische Suchtkriterien für körperliche Bewegung, wie man sie von anderen stoffungebundenen Suchterkrankungen kennt, wie zum Beispiel der Spielsucht: Wenn man andere Interessen vernachlässigt, man die Dosis immer weiter steigern muss oder man es nicht schafft, den Trainingsumfang zu reduzieren, obwohl man das eigentlich möchte. Oder wenn man eine Art von Entzugserscheinungen verspürt, wenn man es nicht mehr macht, zum Beispiel unausgeglichen oder leicht reizbar ist.
Oder wir trainieren, auch wenn wir krank sind oder der Körper nicht voll funktionsfähig ist. Man macht trotz negativer körperlicher Auswirkungen weiter. Wenn man dabei Schmerzen hat, man verletzt ist oder einen Infekt hat, und man eh selbst merkt, man sollte nicht trainieren. Wenn der Körper Ruhe braucht und man trotzdem trainieren geht, weil der Suchtdruck größer ist als die Vernunft.
Wann sprechen wir von einer „Sportsucht“? Wir verwenden das Wort „Sucht“umgangssprachlich oft im positiven Sinn. Die „Bergsucht“etwa oder „süchtig nach Schokolade“. In der Art: Man macht etwas gern. Das ist wichtig, aber es hat nichts mit den medizinischen Suchtkriterien zu tun, weil man es dann nicht mehr macht, weil man es gern macht. Es ist eine Krankheit.
Wann wird es gefährlich?
Es gibt zwei Ebenen: Wenn negative körperliche oder wenn negative psychische Begleiterkrankungen bzw. Symptome auftreten. Wenn man so viel läuft, dass man Knieprobleme entwickelt und diese nicht auskuriert, sodass es zu irreversiblen Schäden kommt. Oder dass man wirklich manifeste psychische Begleiterkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen entwickelt.
Wie können sich Betroffene von dieser Stimme befreien, die sie zum Sport zwingt?
Das Wichtige ist, erst einmal zu schauen, was die darunterliegende Störung ist. Eine Essstörung gehört anders behandelt, als wenn es um reinen Sport geht. Manchmal wird die Bewegung bei Personen, die eine Depression oder Angststörung haben, auch als eine Art „Selbsttherapie“verwendet, und was eigentlich die Angst oder Depressionssymptome bessern soll, gerät außer Kontrolle.
VON BARBARA SCHECHTNER »Man macht weiter, obwohl man die negativen körperlichen Auswirkungen spürt.« KATHARINA HÜFNER Sportpsychiaterin, MedUni Innsbruck
Und was können Außenstehende tun? Bremsen lassen sich Betroffene nicht gern.
Man sollte das Verhalten nicht passiv unterstützen, indem man die Person deckt, wenn sie es nach außen hin verheimlichen will. Wenn man feststellt, sie macht zu viel Sport, ihr Gewicht ist zu niedrig, sollte man das ansprechen, ihr rückmelden, was einem aufgefallen ist, und ihr Unterstützung anbieten.