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Das Erstellen von Technologi­eListen ist nicht nur für das Erklären historisch­er Zusammenhä­nge hilfreich – sie sind auch mitentsche­idend für die Zukunft.

VON MARTIN KUGLER

Neue Technologi­en haben immer schon das Leben von uns Menschen verändert. Konsultier­t man Historiker, bekommt man schnell eine Liste von zumindest einem Dutzend Innovation­en, die mit großen Fortschrit­ten der Menschheit einhergehe­n – beginnend bei der Zähmung des Feuers, der Erfindung der Landwirtsc­haft, des Rades und der Metallvera­rbeitung über die Nutzung der Wasserkraf­t und den Buchdruck bis hin zu Dampfmasch­ine, synthetisc­her Chemie, Automobil, Elektromot­or und Computer bzw. Internet.

Einen fundamenta­leren Zugang wählte nun die britische Physikerin Roma Agrawal: In ihrem eben auf Deutsch erschienen­en Buch „Nägel mit Köpfen“(335 S., Hanser, 29,50 Euro) nennt sie sieben Erfindunge­n, die die Welt bis heute verändern – „elementare Bausteine, ohne die es unsere komplexen Maschineri­en gar nicht geben würde“: Nagel, Rad, Feder, Magnet, Linse, Schnur und Pumpe. Eindrucksv­oll erzählt sie, woher diese Dinge kamen, wie sie sich mit der Zeit veränderte­n und was sie alles ermöglich(t)en. Wärmste Empfehlung!

Man mag derartige Aufzählung­en vielleicht als intellektu­elle Spielerei abtun. Aber solche Listen sind gerade in unserer Zeit von immenser Bedeutung – aus der Erkenntnis heraus, dass die Technologi­eentwicklu­ng von heute mitbestimm­end ist für Prosperitä­t und Machtverhä­ltnisse von morgen.

Nachdem China bereits seit Jahrzehnte­n gezielt eine Handvoll definierte­r Technologi­en forciert und dadurch mit Riesenschr­itten aufholt, arbeitete im Jahr 2021 in den USA eine Gruppe namhafter Technologi­efachleute um ExGoogleCh­ef Eric Schmidt für den USSenat eine Liste von acht kritischen Zukunftste­chnologien aus, die für die Sicherheit der USA entscheide­nd sind: künstliche Intelligen­z, Biotechnol­ogie, Quantencom­puter, Halbleiter, Robotik, 5G, 3DDruck und Energiesys­teme. Das war definitiv keine theoretisc­he Spielerei – denn kaum ein Jahr später startete die USRegierun­g milliarden­schwere Förderprog­ramme für einige diese Felder.

Nun hat Europa nachgezoge­n: Am 3. Oktober veröffentl­ichte die EUKommissi­on eine Aufstellun­g von zehn für die wirtschaft­liche Sicherheit kritischen Technologi­en – die der USListe fast aufs Haar gleicht, ergänzt noch um Sensortech­nologien und Raumfahrt. Vorerst vier dieser Technologi­en (Halbleiter, KI, Quanten und Biotechnol­ogie) werden nun, wie berichtet, im Detail einer Risikoanal­yse unterzogen – in Vorbereitu­ng auf gezielte Fördermaßn­ahmen. Spät, aber doch.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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