Klima machte Menschen
Das Unwirtlichwerden von Habitaten brachte manchen Frühmenschen das Ende, das Überlappen brachte neue hervor. Das zeigen Simulationen des Paläoklimas.
VON JÜRGEN LANGENBACH
Dass Neandertaler und Denisova
Menschen sich paaren konnten, lag am milden Klima.
Vor etwa 90.000 Jahren begegneten einander im sibirischen Altai zwei ganz unterschiedliche Frühmenschen, eine NeandertalerFrau und ein DenisovaMann, die einander doch als Menschen erkannten, auch im biblischen Sinn, das Ergebnis war ein Kind, in dessen Genen Svante Pääbo und Bence Viola (Leipzig) 2018 die gemischte Herkunft bemerkten (Nature 561, S. 113). Dass diese zustande gekommen war, war nicht allzu verwunderlich – auch jeder von uns hat um die zwei Prozent seiner Gene von Neandertalern, und in Südostasien haben sich Gene von Denisova erhalten –, ein Rätsel blieb eher, wie Neandertaler und Denisova einander überhaupt begegnen konnten. Beide lebten vor etwa 400.000 bis etwa 40.000 Jahren in Eurasien, aber geografisch weit getrennt, die Neandertaler vor allem in Europa, die Denisova in Zentralasien.
Aber in einem bestimmten Zeitfenster brachte das Klima bzw. die von ihm geprägte Umwelt sie zusammen: Neandertaler bevorzugten milde Mischwälder und Grasländer, Denisova hatten sich in raue Nadelwälder und Tundren eingelebt. Aber ihre beiden Klimazonen bzw. Naturräume überlappten sich periodisch, im Takt der Himmelsmechanik, die in nach ihrem Entdecker benannten MilankovicZyklen die Umlaufbahn der Erde um die Sonne und die Neigung der Erdachse so veränderte, dass es im Norden milder wurde. Dann breiteten sich auch die Mischwälder und Grasländer weiter nach Osten aus, „das erhöhte die Chance der Vermischung von Neandertalern und Denisova“. So formuliert es Axel Timmermann (Pusan National University, Korea), der mit diesem Befund die jüngste Ernte eines Wandels im Blick auf die Evolution und die Wanderungen des Menschen eingefahren hat, die er seit Jahren vorantreibt (Science, 10. 8.).
Früher stützte man sich bei Versuchen der Rekonstruktion vor allem auf Funde von Fossilien und Gebrauchsgegenständen, Steinmessern etwa, aber diese sind oft rar und für sich allein wenig aussagekräftig, deshalb will man Fossilien seit geraumer Zeit in ihren ökologischen Kontext einbetten, und der hängt vor allem am Klima. Das hat man natürlich immer schon miteinbezogen, berühmtestes Beispiel ist die erstmals 1925 formulierte Hypothese, der Mensch habe seinen aufrechten Gang einem Schwund von Wäldern zugunsten von Savannen zu verdanken: Er musste von den Bäumen herabsteigen und in der neuen Umgebung zurechtkommen, die Hitze ertragen – ein aufrechter Körper strahlt mehr Wärme ab – und den Überblick im hohen Gras gewinnen. (Nature 115, S. 195).
Das ist so plausibel wie ungesichert, und schon Darwin hat eine ganz andere Möglichkeit ins Spiel gebracht: Der Mensch habe sich zum Kämpfen – mit Seinesgleichen – erhoben, zum Zuschlagen mit den Händen, geballten oder Waffen führenden. Dass die Schlagkraft durch die aufrechte Haltung in der Tat stark steigt, hat David Carrier (University of Utah) 2011 experimentell gezeigt und vermutet, man habe das so lang übersehen, weil auch Anthropologen eher ausgeblendet haben, dass „Menschen eine aggressive Art“sind (PLoS One 0019630).
SavannenHypothese. Wie auch immer: Die SavannenHypothese passt zum großen Trend des Klimas, das sich im Lauf der Geschichte der Menschen – deren Ahnen sich vor sechs Millionen Jahren von jenen der Schimpansen getrennt haben – etwa auf halbem Weg geändert hat: Im Pliozän (vor 5,3 bis 2,6 Mio. Jahren) war es wärmer und feuchter, im Pleistozän (vor 2,6 Mio. bis 11.000 Jahren) wurde es kühler und trockener und ist zugleich häufiger ins Schwanken geraten; das lässt sich aus Eisbohrkernen, Meeressedimenten und Tropfsteinen lesen. Aber das gilt global und ist nicht allzu aussagekräftig für die Region, die als Wiege der Menschheit gegolten hat: Ostafrika. Dort suchte man am intensivsten, später kam Konkurrenz erst mit Südafrika, dann mit anderen Regionen in diesem Kontinent.
Um mehr Licht in die Entwicklung erst in Afrika und dann auch in Eurasien zu bringen, hat Timmermann im Vorjahr an seinem Supercomputer, Aleph, eine präzedenzlos detaillierte Rekonstruktion des Klimas der letzten zwei Millionen Jahre erarbeitet und sie in Veränderungen der Habitate übersetzt, in denen sechs Frühmenschen gelebt haben. Dabei zeigte sich, dass es periodisch für manche eng wurde und es periodisch zu Überlappungen der Habitate kam: So dünnten sich die Lebensräume für den südafrikanischen Homo heidelbergensis vor 340.000 bis 310.000 Jahren stark aus, und als sie wieder wirtlicher waren, kehrte H. heidelbergensis trotzdem nicht wieder. Stattdessen kam H. sapiens, der sich vermutlich aus H. heidelbergensis entwickelt hatte.
Ganz ähnlich war es später in Europa, wo auch H. heidelbergensis lebte und aus ihm die Neandertaler hervorgingen (Nature 604, S. 495). Im Hintergrund steht für Timmermann die Hypothese der „Selektion auf Variabilität“, derzufolge in der Evolution jene begünstigt waren, die sich an wandelnde Klimata anpassen konnten. Diese Hypothese hat allerdings das Problem, dass ausgerechnet der erste aufrecht Gehende, Homo erectus, schon kurz nach seiner Entstehung vor 1,8 Millionen Jahren auch in Eurasien aufgetaucht ist – im georgischen Dmanisi –, bald darauf in Ostasien, er konnte sich an viele Klimata anpassen.
An alle jedoch nicht: Vor 1,5 Mio. Jahren ist ein Frühmensch, vermutlich H. erectus, auch nach Europa gekommen, in den milden Süden, das bezeugen Fossilien. Aber dann hat deren Geschichte eine Lücke, von 1,1 Mio. bis 850.000 Jahren. Sie kam nicht daher, dass man nichts gefunden hätte: Vor der Küste Portugals stieß Vasiliki Margari (University College London) in Bohrkernen auf Isotopenspuren extremer Kälte vor 1,1 Mio. Jahren – sieben Grad weniger als zuvor –, zugleich zeigten Pollen, dass das Land eine Halbwüste geworden war, Timmermann konnte das bisher übersehene Ereignis mit seinen Klimasimulationen bestätigen (Science, 10. 8.). Diesmal passt die Adaptationshypothese: Als der nächste kam, H. heidelbergensis, und sich aus dem der Neandertaler entwickelt hatte, konnte er härteste Eiszeiten überleben. Warum er doch ging – vor etwa 40.000 Jahren, als gerade H. sapiens eingewandert war –, bleibt allerdings ein so großes Rätsel wie das, warum von allen Menschen nur wir geblieben sind.
Dass H. erectus, die Ersten in
Europa, dort wieder verschwanden, lag am rauen Klima.