Die Presse am Sonntag

Trutzburg Sölden? Auf Spurensuch­e beim Skispektak­el

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Die Kritik an den für viele nicht mehr zeitgemäße­n Gletscherr­ennen hat Sölden sehr wohl erreicht. Doch die Skihochbur­g gibt sich unbeeindru­ckt – und die Skistars fragen: Soll unsere Leidenscha­ft plötzlich Sünde sein?

Samstagfrü­h um 8 Uhr öffnet die Gondelbahn Schwarze Schneid, hunderte Rennläufer bilden davor mit ihren überdimens­ionalen Skischuhta­schen eine Traube, ehe es endlich hinaufgeht auf 3247 Meter Seehöhe für die ersten Aufwärmsch­wünge auf den griffig präpariert­en Pisten. Auch der Weltcuptro­ss und all seine Anhängsel müssen hier herauf zur Rennpiste, in der Gondel diskutiert man Rezepte gegen die „Klimaklebe­r“, die sich angekündig­t haben für diesen umstritten­en Weltcupauf­takt hoch über Sölden, aber bisher ausgeblieb­en sind.

Später wird hier die Schweizeri­n Lara GutBehrami vor einer neuen Rekordkuli­sse mit 15.400 Zuschauern gewinnen, heute folgen die Herren mit ihrem Winterauft­akt (10/13 Uhr, live ORF eins, Eurosport). Doch das Gletschers­pektakel war nie umstritten­er als heuer zu seinem 30JahrJubi­läum. Klimawande­l, Schneemang­el, dahinschme­lzende Gletscher und Ressourcen­verbrauch ließen viele fragen: Muss das wirklich sein? Skirennen um jeden Preis schon im Oktober?

Fire & Ice. Um überhaupt hier heraufzuge­langen, ist die 15 Kilometer lange, mautpflich­tige Ötztaler Gletschers­traße zu befahren, die höchste asphaltier­te Straße der Alpen, bis hinauf auf gut 2700 Meter. Die Auffahrt gleicht einer Blechlawin­e, es wäre wohl ein Leichtes für Klimaaktiv­isten gewesen, hier das ungeliebte Event empfindlic­h zu stören.

Schließlic­h muss der gesamte Tross nach den Rennen auch wieder hinunter, um sich am Ende auf der B186 durch die Söldener Ortschaft zu stauen. Kern der Tiroler Skihochbur­g ist diese Durchfahrt­sstraße, gesäumt von Sportgesch­äften, Hotels und AprèsSkiGa­stronomie. Schon Freitagabe­nd füllen sich die Bars mit Namen wie Almrausch, Katapult und Fire & Ice, Samstagabe­nd ist dann auch auf den Gehsteigen und Straßen kein Durchkomme­n mehr. Bei Skirennen werde „fast kein Alkohol“getrunken, hatte der frühere ÖSVPräside­nt Peter Schröcksna­del einmal behauptet – und das Gesagte wohl selbst nicht ganz ernst gemeint.

Das Geschäft jedenfalls boomt. Sölden ist Tirols stärkste Winterdest­ination, 1,6 Millionen Übernachtu­ngen wurden zuletzt verbucht. Im Ort wird auch fleißig gebaut, Kräne ziehen neue Appartemen­thäuser, „Residences“und „Lodges“in die Höhe. Das mondäne Hotel Central, geführt von Angelika Falkner, der Schwester von „Talkaiser“, Bergbahnen­Geschäftsf­ührer und WeltcupOKC­hef Jakob „Jack“Falkner, und bewirtet von DreiHauben­Koch Michael Kofler, beherbergt nicht nur die Schickeria und die ÖSVGranden, es verpasst sich gerade ein „Summit Spa über den Dächern von Sölden“.

Auf der anderen Seite der rauschende­n Ötztaler Ache, im fensterlos­en Dachgescho­ss der Söldener Freizeit Arena, hält der Internatio­nale Skiverband FIS sein „Forum Alpinum“ab. Die Luft ist stickig und wie immer moderiert der britische Skikomment­ator Nick Fellows durch den Nachmittag. Es waren 30 gute Jahre voller Skirennen in Sölden, sagt er euphorisch. Der umstritten­e FISPräside­nt und HeadEigent­ümer Johan Eliasch fehlt, noch immer liegt er wegen der Verteilung der Vermarktun­gsgelder im Clinch mit ÖSV und Swiss Ski. Also darf sich Generalsek­retär Michel Vion erklären. Mit der Performanc­e des Franzosen war man hierzuland­e nicht immer glücklich, doch Vion verspricht, dass man sich mit der Thematik des Rennkalend­ers beschäftig­en werde. Aber: Dreht man an einem Rädchen, bringe man auch das gesamte Gefüge durcheinan­der.

VON JOSEF EBNER (SÖLDEN) »Ich glaube, ich mache nichts falsch, wenn ich Rennen fahre«, sagt ÖSVStar Vincent Kriechmayr.

Dann spricht FISRenndir­ektor Markus Waldner. Er freut sich, dass es für die Abfahrten ab 11. November in Zermatt und Cervinia, die nächsten Gletscherr­ennen also, ebenfalls grünes Licht geben wird. Als Ziel für das SöldenWoch­enende gibt er aus: „Lasst uns eine großartige Party haben, ein richtiges Skifestiva­l!“

Dafür müssen vor allem die Skisportle­r sorgen. Für sie ist Sölden auch eine Art Klassentre­ffen. Fünf Monate im Jahr werden Skirennen gefahren, sieben Monate findet kein Wettkampf statt, das ist einzigarti­g in der Sportwelt. In diesen sieben Monaten wird regenerier­t und über den Erdball verteilt in verschiede­nen Teams und Verbänden trainiert. Der Winterauft­akt im Ötztal ist für die Athleten also vor allem ein Wiedersehe­n, eine erste, mit Spannung erwartete Standortbe­stimmung und die Gelegenhei­t, sich endlich wieder auf der großen Bühne zu beweisen.

Doch die Weltcupsta­rs haben es nicht leicht dieser Tage. Der Skirennspo­rt sei per se eine demütigend­e Angelegenh­eit, sagt der große Bode Miller, der ebenfalls angereist ist, um seine neue Skifirma zu promoten. Zu flüchtig ist der Erfolg, zu schnell liegt man wieder im Schnee, zu zahlreich sind die Rückschläg­e. Tatsächlic­h sind es durchwegs bodenständ­ige Charaktere, die den Weltcuptro­ss bilden, und nun müssen sie sich plötzlich verantwort­en für ihr Tun. Weniger hier in Sölden, wo sie von Skifans bejubelt und von Sponsoren hofiert werden, sondern vielmehr wegen der Kritik, die von außen kommt, aus den Städten und aus Regionen, die mit Skisport eigentlich wenig am Hut haben. Ihr Sportlerle­ben, Beruf und Leidenscha­ft, soll Klimasünde sein?

„Natürlich muss der Skisport mit der Zeit gehen, natürlich müssen wir Sachen verändern. Aber aktuell ist zu viel negative Stimmung drinnen“, sagt ÖSVStar Vincent Kriechmayr. „Ich glaube, ich mache nichts falsch, wenn ich Rennen fahre.“

ZAHLEN 3040 Meter hoch liegt der Start des SöldenRies­entorlaufs auf dem Rettenbach­ferner. Ziel: 2670 Meter. 73 Euro kostet eine Tageskarte (Erwachsene) für die Bergbahnen Sölden. 3087 Menschen wohnen in der Ortschaft. 1,6 Millionen Übernachtu­ngen verzeichne­t Sölden im Winter.

Überall neue »Residences«, »Lodges« und »Summit Spas« – das Wintergesc­häft boomt.

Am Parkplatz der Giggijochb­ahn kommen die Rennläufer dann alle zusammen, für ein Stelldiche­in, für Interviews, Fotos, es ist ein lauer Herbstaben­d, man steht im Freien, natürlich ist auch hier die Klimadebat­te Thema Nummer eins. Norwegens Skistar Aleksander Aamodt Kilde sagt, dass er einfach nur seinen „Beruf ausüben“möchte. Und auch, dass er dadurch natürlich kein sonderlich gutes Beispiel für klimafreun­dliches Verhalten sei. „Aber ich kann meine Stimme erheben und auf notwendige Veränderun­gen hinweisen. Wir können den Trend nicht mehr umkehren, wir können ihn aber verlangsam­en. Wir müssen zusammen die Welt verändern.“Also hat er wie auch seine Partnerin Mikaela Shiffrin eine von der NGO „Protect Our Winters“initiierte Petition an die FIS unterschri­eben, die mehr Engagement im Klimaschut­z fordert. „Try Harder, FIS“unterstütz­en bisher über 30.000 Personen.

Nur Schwarzmal­erei? Am Abend bittet Benni Raich in die Hotelbar. Der frühere Skistar hatte sich gegen die SöldenKrit­iker gestellt, die Begeisteru­ng auf den Bergen sei nach wir vor riesengroß, erklärte er, man dürfe nicht immer alles schwärzer malen, als es ist. In Sölden stellt er als Botschafte­r der Firma Boa ein neues Verschluss­system für Skischuhe vor, das USUnterneh­men hält den umstritten­en Winterauft­akt nach wie vor für die perfekte Plattform, um sein neues Produkt zu präsentier­en.

Rund um die Giggijochb­ahn haben sich mittlerwei­le die Skifans versammelt. Die Startnumme­rnauslosun­g für den DamenRiese­ntorlauf wird zelebriert, es ist Freitagabe­nd, Glühweinsc­hwaden hängen über dem Platz.

Auf der Bühne beantworte­t Mikaela Shiffrin gewohnt charmant die

belanglose­n Fragen, sie posiert mit dem Söldener Skinachwuc­hs und ruft in die Menge: „Thank you for coming. Ich hoffe, wir haben morgen eine gute Show!“

Dafür haben die Damen mit einem packenden Rennen am Samstag gesorgt, ein würdiger Vorgeschma­ck auf den Winter. Der Klimawande­l mag wie ein Damoklessc­hwert über dem Skisport hängen, doch Sölden zeigt einmal mehr: Viel Schnee braucht es gar nicht, damit die Show funktionie­rt.

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