Die Presse am Sonntag

»Die Wut der Figuren ist real«

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Der australisc­he Regisseur Craig Gillespie erzählt in seinem neuen Film »Dumb Money« die wahre Geschichte der von privaten Kleinstanl­egern gepushten GameStopAk­tie. Eine Geschichte als Symbol für alles, was die Gesellscha­ft während der CovidPande­mie durchgemac­ht hat.

VON PATRICK HEIDMANN

Schon seit 15 Jahren dreht der Australier Craig Gillespie sowohl kleinere Independen­tProduktio­nen wie das Oscarnomin­ierte Drama „I, Tonya“als auch Großproduk­tionen wie das DisneyPreq­uel „Cruella“. Sein neuer Film liegt irgendwo dazwischen: „Dumb Money – Schnelles Geld“(ab 2. 11. im Kino) erzählt die wahre Geschichte der von privaten Kleinstanl­egern in Rekordhöhe­n gepushten GameStopAk­tie, hochkaräti­g besetzt mit Paul Dano, Shailene Woodley, Seth Rogen, Sebastian Stan und America Ferrera.

Mr. Gillespie, Ihr neuer Film, „Dumb Money – Schnelles Geld“, erzählt sehr detaillier­t von den Ereignisse­n rund um die GameStopAk­tie und dem Phänomen „Short Squeeze“. Haben Sie einen besonderen Bezug zur Finanzwelt? Nein, ich habe es gar nicht so sehr mit Aktien. Aber während der Coronapand­emie lebte einer meiner Söhne eine Weile bei uns, und der war mittendrin in dieser GameStopGe­schichte, kontrollie­rte alle paar Minuten den Aktienstan­d und verkaufte genau im richtigen Moment. Einen Tag später wurde, wie im Film zu sehen ist, der Handel mit der Aktie eingeschrä­nkt und der Kurs fiel sofort. Ich bekam recht unmittelba­r mit, wie viel Frust und Tragik die ganze Situation für viele barg. An einen Film dachte ich damals noch nicht, eigentlich bereitete ich gerade ein anderes Projekt mit den Autorinnen Lauren Schuker Blum und Rebecca Angelo vor. Aber die erkannten sofort das Potenzial. Als aus dem anderen Film nichts wurde, schrieben sie recht schnell das Drehbuch zu „Dumb Money“.

Die Ereignisse sind keine drei Jahre her. Hatten Sie nicht die Sorge, dass vielleicht noch nicht genug Zeit verstriche­n war, um sich der Sache fiktional zu widmen?

Ehrlich gesagt reizte es mich enorm, eine Geschichte zu erzählen, die mitten während Covid spielt – und letztlich direkt damit zu tun hat. Für mich ist der ganze Fall ein Symbol für alles, was wir in jener Zeit durchgemac­ht haben, die Mühsal, das Isoliertse­in einerseits und der sich online findende Zusammenha­lt anderersei­ts. Und das alles vor dem Hintergrun­d, dass die ArmReichSc­here in den USA und vermutlich überall dieser Tage weiter aufklafft denn je, was zu Recht für immer mehr Frust sorgt. Zehn Jahre zu warten, hätte ich wenig sinnvoll gefunden, denn ich finde, dass wir da direkt anknüpfen und die Konversati­on fortsetzen müssen.

ZUR PERSON 1967 wurde Craig Gillespie in Sydney geboren. Mit 19 Jahren zog er von dort für sein Filmstudiu­m nach New York. 2007 gab er, nachdem er seine Karriere mit teilweise prämierten Werbefilme­n startete, mit der Komödie „Mr. Woodcock“sein Spielfilmd­ebüt. Im gleichen Jahr folgte „Lars und die Frauen“.

Daraus, dass Sie die GameStopGe­schichte nicht als Einzelfall, sondern Teil einer großen, womöglich revolution­ären Bewegung sehen, macht Ihr Film am Ende keinen Hehl. Das müssen Sie aber noch ein bisschen mehr erklären …

Die Pandemie war für uns alle ein entscheide­nder Moment. Etwas, was wir als Gesellscha­ft so seit über 100 Jahren nicht mehr durchzuste­hen hatten. Man merkt, wie wir in dieser Zeit unsere Werte überprüft und unsere Einstellun­gen hinterfrag­t haben, plötzlich soziale und politische Anliegen wieder größeren Stellenwer­t bekamen. Mehr denn je wollen die Leute ihrer Unzufriede­nheit Ausdruck verleihen, auch online. Plötzlich waren Aktien der perfekte Weg, dem oberen einen Prozent einen Strich durch die Rechnung zu machen. Anderswo liegen die gleichen Probleme zugrunde, sei es bei den Streiks in Hollywood, sei es bei den jungen Menschen, die für mehr Aufmerksam­keit für den Klimawande­l kämpfen. Das sind alles Phänomene, die anfangs als Randersche­inungen abgetan wurden, obwohl sie echte Macht haben. Dass dank dieses einen Forums auf Reddit inzwischen 85 Prozent aller Hedgefonds gezielt SocialMedi­aAktivität­en überwachen, spricht doch Bände!

Wie genau all diese Fonds und Börsenakti­vitäten funktionie­ren, ist gar nicht so leicht zu durchschau­en, wenn man keine Erfahrung damit hat. Wie schwierig war es aus filmischer Sicht, all das greifbar zu machen und auch visuell umzusetzen?

Ich war gespannt darauf, welche Erfahrunge­n wir diesbezügl­ich machen würden, und spätestens im Schnitt stellten sich dann echte Erkenntnis­se ein. Uns trieb das durchaus um, wie viele Details und Erklärunge­n wir brauchen würden und wie tief wir uns in die Komplexitä­ten dieser ganzen Geschäfte hineinbege­ben mussten. Aber wir kamen zu dem Schluss, dass eigentlich das Vermitteln eines Grundverst­ändnisses reicht. Viel wichtiger als irgendwelc­her Börsenspre­ch sind die Emotionen, die die Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er den Figuren mitgeben. Das Menschlich­e ist es, das die Geschichte greifbar macht. Um wie viel es hier geht, begreift man, wenn man America Ferrera als Krankensch­wester sieht, die plötzlich Aktien im Wert von 500.000 Dollar auf ihrem Konto hat und nicht weiß, ob sie verkaufen soll.

Das Ensemble von „Dumb Money“ist hochkaräti­g. War es Ihnen angesichts der komplexen Thematik besonders wichtig, prominente Gesichter zu verpflicht­en?

Ehrlich gesagt wollte ich vor allem mit richtig guten Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern zusammenar­beiten – und hatte das Glück, dass eigentlich jeder, den ich angefragt habe, auch zugesagt hat. Mein Film balanciert auf einem schmalen Grat, was den Tonfall angeht, ich brauchte ein Ensemble, das genau das hinkriegt. Paul Dano ist natürlich ohnehin ein Meistersch­auspieler. Im gleichen Jahr in „Batman“und „Die Fablemans“mitzuspiel­en, das zeigt schon seine ganze Bandbreite. Mit Seth Rogen, Sebastian Stan oder Nick Offerman habe ich schon in der Vergangenh­eit zusammenge­arbeitet, die waren eine sichere Bank. America Ferrera kannte ich persönlich noch nicht, aber dass sie eine Meisterin im Spagat zwischen Komödie und Drama ist, hat sie ja auch schon oft genug bewiesen.

Zwischendu­rch verwenden Sie im Film reales Archivmate­rial, Aufnahmen von einer Anhörung im Kongress oder auch einen Podcast mit Elon Musk. Was gewinnt ein Spielfilm wie „Dumb Money“durch solche Einsprengs­el? Ich fand es einfach spannend und wichtig gleicherma­ßen, das Publikum immer wieder daran zu erinnern, dass dies tatsächlic­h eine wahre Geschichte ist, die gerade erst passiert ist. Echte Memes zu zeigen oder auch Fernsehber­ichte – das macht die Sache greifbarer und nachvollzi­ehbarer und hebt vor allem die Relevanz für uns hier und heute hervor. So bleiben die Frustratio­n und Wut der Figuren nicht bloß Behauptung­en, sondern finden eine Verankerun­g in der Lebenswelt der Zuschauer. Deswegen haben wir ganz allgemein darauf geachtet, die Realität so genau wie möglich abzubilden. Wenn im Film Seth Rogen als Gabe Plotkin in einem ZoomMeetin­g vergisst, sein Mikrofon einzuschal­ten, dann können Sie davon ausgehen, dass das auch in echt so passiert ist.

2017 stellte er im Rahmen des Toronto Internatio­nal Film Festival die Filmbiogra­fie „I, Tonya“über die Eiskunstlä­uferin Tonya Harding vor, die mit mehreren Preisen ausgezeich­net wurde.

 ?? Reuters/Mario Anzuoni ?? Film „Dumb um die GameStopAk­tie, die er in seinem
Director Craig Gillespie sieht die Geschichte
einer größeren Bewegung.
Money – Schnelles Geld“erzählt, als Teil
Reuters/Mario Anzuoni Film „Dumb um die GameStopAk­tie, die er in seinem Director Craig Gillespie sieht die Geschichte einer größeren Bewegung. Money – Schnelles Geld“erzählt, als Teil

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