Die Presse am Sonntag

»Künstler denken nicht an Tod, sie wollen ewig leben«

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Warum gestalten so wenige Künstler selbst ihre Gedenkstät­ten? Ein ganz besonderer Friedhofsg­ang den schönsten und anstößigst­en Grabmälern am Zentralfri­edhof mit Wiens KünstlerSe­elsorger, dem Jesuiten Gustav Schörghofe­r. Von Alfred Hrdlicka bis Maria Lassnig, von Hans Kann bis Arnold Schönberg.

Mühsam, mit zitternder Hand, malt er einen Würfel darauf und schreibt darunter: geboren Brünn, gestorben Wien. ‚Siehst du, Lerle, das ist mein Grabstein!‘ ‚Wie kann man nur so traurige Gedanken haben?!‘ Um ihn aufzuheite­rn, malte ich vier kleine Würfel herum und schreibe die Namen seiner Frauen darauf. Loos sieht sich die Zeichnung an und sagt mit erlöschend­er Stimme: ‚Nicht einmal im Tod soll ich von euch Ruhe haben?!‘“

Humor der (sehr) alten Schule, derart wiedergege­ben von der letzten Ehefrau des Architekte­n Adolf Loos, Claire Beck, in ihren Erinnerung­en „Adolf Loos privat“. 1929 soll dieses Gespräch stattgefun­den haben, vier Jahre später war Loos tot, in großer Armut gestorben, erst am Kalksburge­r Friedhof verscharrt, die Grabrede dort hielt immerhin Karl Kraus. Es hat bis nach dem Zweiten Weltkrieg, bis 1958, gedauert, bis das Ehrengrab, das Loos sich ausdrückli­ch gewünscht hat, und sein Grabsteine­ntwurf endlich verwirklic­ht werden konnten. Heute findet man ihn, wenn auch weitab der heute bekanntest­en Ehrengrabg­ruppen 32 und 33 am Zentralfri­edhof, in der Gruppe des 19. Jahrhunder­ts. Die Koordinate­n sind eine dem auf Reduktion so bedachten Loos jedenfalls würdige Zahlenkomb­ination: Gruppe null, Reihe 1.

Es ist interessan­t. Loos ist einer der ganz wenigen Künstler, die sich selbst um ihr Grab gekümmert haben. Der Wunsch nach einem Ehrengrab ist schnell geäußert. Aber der Grabstein selbst wird selten persönlich angegangen. Lieber scheint man ihm aus dem Weg zu gehen. Obwohl doch gerade die bildliche Überliefer­ung der Maler, Bild

VON ALMUTH SPIEGLER

Vor Gunter Damischs Grab. Dahinter der Katzenköni­g für Deix. Jana Madzigon

hauer, Architekte­n ureigenste­s Handwerk ist, obwohl die Einschreib­ung in die Ewigkeit, in die Kunstgesch­ichte, die Verfestigu­ng des Ruhms doch für viele eine wesentlich­e Triebfeder war.

Unvergesse­n! Natürlich gibt es Ausreißer. Auf einem Friedhof am Wolfgangse­e kann man etwa den Namen eines noch lebenden prominente­n Schauspiel­ers auf einem Grabstein entdecken. Eine eigenartig­e Praxis, den Namen und das Geburtsdat­um schon zu Lebzeiten eingravier­en zu lassen. Nur das Sterbedatu­m muss noch ergänzt werden. Daneben aber wurde schon vermerkt: „Unvergesse­n!“Bis vor Kurzem ein Bosnigl mit schwarzem Stift gekommen sein muss. Und das „Un“unkenntlic­h machte.

Das kann Richard Wagner nicht passieren. Seine steinerne Gruftplatt­e findet man hinter der Villa Wahnfried in Bayreuth, rundherum die Grabsteine der Hunde mit Namen. Doch auf Wagners Grab steht schlicht nichts, kein Name, kein Datum. Das ist der Hybris reinste Form.

»Unvergesse­n!« ließ sich ein

Schauspiel­er schon vorausblic­kend

Geschichte­n, die man erzählt, Gedanken, die man wälzt, während man mit Wiens KünstlerSe­elsorger, dem Jesuiten Gustav Schörghofe­r über den Zentralfri­edhof wandelt. Erst vor Kurzem ist er aus der Pfarre Lainz wieder in die Jesuitenki­rche in der Innenstadt zurückgeke­hrt, wo er vor vielen Jahren schon begann, die Gegenwarts­kunst wieder für Kirchenräu­me, vielleicht sogar für die Kirche selbst zu interessie­ren. Ein schwierige­s Unterfange­n, weiß er, habe die Kirche doch selbst seit der Moderne diese lange Tradition gekappt, indem man etwa gläubigen Künstlern wie Cézanne oder van Gogh keine Aufträge gab, stattdesse­n einen historisti­schen Weltstil etablierte.

Gustav Schörghofe­r ist ein guter Reiseleite­r am Zentralfri­edhof, einige der Künstlerbe­gräbnisse durfte er leiten, das von Maria Lassnig etwa, von Max Weiler oder Gunter Damisch, alle werden wir hier noch besuchen. Doch zuvor noch biegen wir in eine wenig bekannte Ecke ab, machen einen Abstecher zu einem der Bildhauer, die er sehr geschätzt hat. Ioannis Avramidis, der Grieche, der als Zwangsarbe­iter nach Österreich kam und von hier aus dann eine Weltkarrie­re machte. Er liegt im griechisch­orthodoxen Teil, obwohl schon 2016 gestorben, steht immer noch nur das Holzkreuz auf seinem Grab. Die Skulptur, die hier stehen soll, ist schon ausgewählt, nur manchmal fällt es Angehörige­n schwer, sich mit dem Definitive­n abzufinden, das mit Grabsteine­n besiegelt wird.

Auch Hans Staudacher wartet noch auf sein Grabmal. Zwei Jahre hat es auch bei Manfred Deix gedauert, eines der auffälligs­ten Gräber in der den Künstlern des 20. Jahrhunder­ts gewidmeten Ehrengrabg­ruppe 33 G: Ein mächtiger „Katzenköni­g“mit goldener Krone prangt darauf, nach einer seiner Zeichnunge­n. Die Idee dazu aber hatte posthum erst sein enger Freund, Zirkusdire­ktor Bernhard Paul.

Zu Damisch kommen die Tiere. Auch der Maler und Bildhauer Gunter Damisch wünschte sich, hier bestattet zu werden, aber bestimmte nicht das Aussehen seines Grabs, darüber musste sich seine Frau Marie Gedanken machen. Sie wählte die in seinem Garten stehende Skulptur „Großer Innenort“, es ist Schörghofe­rs liebste Stätte. Immer wieder kommen Tiere gerade hierher, erzählt Marie Damisch, in der Skulptur nisteten schon Wespen, die Rehe fressen die Blumen davor, ein Fuchs oder Dachs gräbt hier sein Loch – Damisch hatte eine innige Beziehung zur Natur.

War er gläubig? Wohl nicht im katholisch­en Sinn. „Die meisten Künstler sind heute am Rand oder außerhalb der Kirche“, weiß Schörghofe­r.

auf den Grabstein schreiben.

Der von Alfred Hrdlicka für seine Frau gehauene Grabstein. Jana Madzigon

„In der Kunst ist die Religion ein heikles Feld, sie taucht auch nur noch selten thematisch auf.“Aber, fügt er hinzu, er sei da sehr vorsichtig mit Zuschreibu­ngen. „Man muss sich zu den persönlich­en Ausdrucksf­ormen des Glaubens hintasten. Ausschlagg­ebend für mich ist das Verhalten.“Wir stehen vor dem Grab des Komponiste­n Hans Kann. Er habe Schörghofe­r gegenüber immer betont, er sei Atheist. Und doch habe Kann täglich in der Bibel gelesen, weiß der Jesuit.

Ein schlichter weißer Kubus ähnlich wie bei Loos auch bei Hans Kann. Ein gar nicht so schlichter weißer Kubus markiert auch die Ruhestätte eines anderen Komponiste­n, Arnold Schönberg. Fritz Wotruba hat ihm diesen auf einer Ecke scheinbar in den Boden versinkend­en Quader aus weißem CarraraMar­mor erdacht, er sollte eine elementare Analogie zur Zwölftonmu­sik darstellen. Der Quader ist aber auch elementar für Wotrubas Werk selbst, das die Figur in rechteckig­e Formen zerlegte. Was auch bei seiner eigenen Grabskulpt­ur sichtbar ist, auch diese hatte Österreich­s bedeutends­ter Bildhauer der Moderne nicht eigens für diesen Ort bestimmt.

Frau kopuliert mit dem Tod. Wer Wotruba denkt, wer Bildhauere­i in Österreich denkt, kommt schnell zu Alfred Hrdlicka. Schörghofe­r weiß den Weg. Er liegt nicht in der Ehrengrabg­ruppe, er wollte bei seiner ersten Frau Barbara liegen. Für diese gestaltete er sehr wohl das Grab, damit also auch das eigene. Es ist das ungewöhnli­chste Grabmal, das er kenne, sagt Schörghofe­r. Das anstößigst­e, könnte man die diplomatis­che Ausdrucksw­eise interpreti­eren: Zu sehen ist der Rückenakt einer Frau, die dem Tod auf dem Schoß sitzt, mit ihm kopuliert. „Gummitod“heißt die Skulptur, sie war der Liebling von Hrdlickas Frau, weiß sein ehemaliger Galerist Ernst Hilger. Dargestell­t sei auch nicht diese selbst, sondern eine anonyme Szene, die beide in einem Hamburger Nachtclub erlebten. Ursprüngli­ch aus Kalkstein, wurde sie von Hrdlickas zweiter Frau dann durch einen Bronzeabgu­ss ersetzt, eine gute Sache, meint Hilger. Vor allem auch diebstahls­icherer als ein Stein.

Die meisten Künstlerin­nen und

Künstler stehen heute am Rand oder außerhalb der Kirche.

Hilger hat schon viele seiner wichtigen Künstler sterben sehen. Auch er weiß zu berichten: „Niemand denkt an sein Grab. Gerade Künstler leben, viel mehr als normale Menschen, im Gefühl der eigenen Ewigkeit. Solange sie schaffen können, denken sie nicht an ein Ende. Und da sie nicht in Pension gehen, haben sie am Ende auch gar keine Zeit, darüber nachzudenk­en.“

Für andere werden sehr wohl Grabsteine geschaffen. Der Bildhauer Karl Prantl, selbst nicht am Zentralfri­edhof, sondern in seiner Wahlheimat Pöttsching im Burgenland begraben, war sehr gefragt dafür: Er schuf die schlichte Steinplatt­e für Bruno Kreisky, gleich neben dem SchönbergG­rab. Von Prantl stammt auch der Stein für den 2001 gestorbene­n Maler Max Weiler. Den habe seine Witwe Yvonne ausgesucht, weil er, mit Flechten bewachsen, wie ein Gemälde Weilers aussah. Allerdings habe ein allzu eifriger Assistent den Stein dann ausgerechn­et davon gereinigt, erinnert sich Schörghofe­r an das Drama.

Maria Lassnigs Pieta. Wir sind bei Maria Lassnig angekommen, 2014 gestorben. Eine filigrane Konstrukti­on krönt ihren Stein, fast erinnert es an eine Kreuzesabn­ahme, aber sicher kann man nicht sein. Sind das Körperteil­e, die hier hängen? Wer schuf diese Plastik für die große Malerin? Sie selbst, erfährt man von Peter Pakesch, der ihre Stiftung leitet. „Eine Art Pieta“heißt tatsächlic­h auch der Aluminiumg­uss aus dem Jahr 1998. Dass Lassnig auch Skulpturen schuf, ist allerdings wenig bekannt.

Aber auch hier: Es sei kein expliziter Wunsch von ihr gewesen, eine solche auf ihrem Grab zu platzieren, gibt Pakesch Auskunft. „Es ist wie bei Nachlässen“, meint der Betreuer von Lassnigs künstleris­chem Erbe, das sie schon vor ihrem Tod regeln konnte. „Es gibt viele Künstler, die gar nicht wahrhaben wollen, dass es einen Nachlass zu regeln gibt. Sie wollen eben einfach ewig leben.“Das ewige Leben, das zumindest würde die Kirche den Künstlern ja zusagen, meint Schörghofe­r. Er muss weiter. Keine Ruhe, schon gar keine ewige für ihn hier vor den Feiertagen.

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Almuth Spiegler Maria Lassnigs Pieta fast erinnert es an eine Kreuzesabn­ahme.
 ?? Jana Madzigon/Spiegler ?? Fritz Wotrubas Grabstein für Arnold Schönberg aus CarraraMar­mor.
Jana Madzigon/Spiegler Fritz Wotrubas Grabstein für Arnold Schönberg aus CarraraMar­mor.

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