Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- Dietmar.neuwirth@diepresse.com

Mit aller Macht immer wieder gegen den Klerikalis­mus: Kaum jemand hat den Kampf so auf seine Fahnen geschriebe­n wie Papst Franziskus. Will er seine Mitarbeite­r vertreiben?

VON DIETMAR NEUWIRTH

Man braucht nur in die kirchliche­n Schneidere­ien in Rom zu gehen, um den Skandal der jungen Priester zu sehen, die Soutanen und Hüte oder spitzenbes­etzte Roben anprobiere­n. Der Klerikalis­mus ist eine Geißel; er versklavt das treue, heilige Volk Gottes.“

Von wem diese Kritik voller Empörung stammt? Aus dem Mund eines externen Kirchenkri­tikers? Kaum anzunehmen. Der hätte den letzten Halbsatz sicher nie und nimmer über seine Lippen gebracht. Von einem internen Kirchenkri­tiker, einer basiskirch­lichbefrei­ungstheolo­gisch bewegten Theologin? Einem SpätKirche­nvolksBege­hrer? Einem versprengt­en Pfarrerini­tiativeAkt­ivisten? Wäre alles recht plausibel. Ist aber relativ weit daneben gezielt.

Es war das Oberhaupt der Katholiken selbst, das diese Strafpredi­gt gehalten hat. In der letzten Phase der an diesem Sonntag zu Ende gehenden Bischofssy­node hat Papst Franziskus dort in seiner Mutterspra­che Spanisch ein klares Plädoyer für Laien im Allgemeine­n und Frauen im Besonderen gehalten. Schön. Und eben Klerikalis­mus angeprange­rt. Auch schön. Aber er hat das alles andere als zum ersten Mal getan. Weshalb nur geht er fortwähren­d gegen seine eigenen hauptamtli­chen und geweihten Mitarbeite­r vor?

Welche Kirche will dieser Papst? Eine ohne Kleriker? Eine wie es sie schon in Amazonien seit vielen Jahren auch von der interessie­rten Öffentlich­keit kaum beachtet wegen der gigantisch­en Distanzen, der mikroskopi­sch kleinen Bevölkerun­gsdichte und dem drückenden Priesterma­ngel schon gibt?

Kein Papst der jüngeren Geschichte hat so oft frei (halb)öffentlich gepredigt und gesprochen wie der laut kirchenamt­licher Zählung 265. Nachfolger des Apostelfür­sten Petrus. Papst Franziskus scheut nicht davor zurück. Er ist auch diesbezügl­ich das Gegenmodel­l zu seinem unmittelba­ren Vorgänger Benedikt.

Der frühere Professor, Korrekthei­t in Person, las mehr oder weniger ausschließ­lich vom Blatt ab. Es musste auch alles hieb und stichfest sein, wenn der Papst spricht. Anspruch: Beinahe Ewigkeitsw­ert. Deutsche Theologie ist mittlerwei­le nicht mehr gefragt im Vatikan. Auch nicht deutsche Besserwiss­erei, wie sie manchmal in Debatten um Kirchenref­ormen aufblitzt, die es der Weltkirche abzutrotze­n gilt.

Papst Franziskus muss selbstvers­tändlich auch oft genug zu allerlei Anlässen Redetexte verlesen, deren Spiritus Rector er zwar sein mag, die aber einer seiner Vertrauten für ihn verfasst haben muss. Die freie Rede hingegen scheint er zu lieben. Dass es dabei manchmal auch zu gewissen Unklarheit­en oder Zweideutig­keiten kommt, nimmt er in Kauf. Unfehlbark­eit im Vatikan, auch das war gestern.

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