Die Presse am Sonntag

Der Krieg an den US-Universitä­ten

Die Lage in Nahost löst einen Furor gegen Israel aus. Nuancen gibt es in der Debatte selbst auf Eliteunis kaum. Das wird auch für Joe Biden zum Problem.

- VON ELISABETH POSTL (NEW YORK)

Es ist ein strahlend sonniger Tag am Campus der New York University (NYU) im West Village von Manhattan. Fast vier Wochen sind vergangen seit dem grausamen Überfall von HamasKämpf­ern auf Israel; der Staat hat begonnen, Vergeltung zu üben. Im Washington Square Park hat sich an diesem Mittwoch ein Meer von Kufiyas, palästinen­sischen Fahnen und Pappschild­ern, aufgetan. Hunderte von NYUStudent­en sind hier, verhüllt mit Tüchern, Masken, Sonnenbril­len, um gegen Israels Politik, aber auch gegen Israel zu protestier­en. Und gegen die eigene Universitä­t, die in Tel Aviv einen Campus betreibt. Dieser solle geschlosse­n werden, meinen die Studenten, aber auch Mitglieder der Fakultät. „Erstens wollen wir den Waffenstil­lstand“, sagt ein Student dem Nachrichte­nsender CBS. „Zweitens wollen wir, dass die USA, dass die NYU ihre Unterstütz­ung für den zionistisc­hbelagernd­en genozidale­n Staat Israel aufgeben. Dass das Land an das palästinen­sische Volk zurückgeht.“

Der Protest an der NYU ist einer von gleich mehreren an USamerikan­ischen EliteUnive­rsitäten, die viele ratlos zurückgela­ssen haben: Wie kann es sein, dass es an den besten Bildungsei­nrichtunge­n des Landes plötzlich an Nuance fehlt? Antisemiti­sche Vorfälle seien durch die Decke gegangen, berichten die UniVerwalt­ungen, die eilig Hilfszentr­en für Betroffene einrichten – während Großspende­r ihnen die Finanzieru­ng streichen. Betroffen waren etwa die University of Pennsylvan­ia und Harvard.

Generation

„Snowflake?“Der Abzug mancher Geldgeber wird den reichen Unis zwar finanziell nicht schaden, ihrem Ruf allerdings schon. Mit den Studenten, die sich offensicht­lich schwertun, die terroristi­schen Handlungen der Hamas zu verurteile­n, erwecke man den Eindruck, eine Generation von snowflakes, von unreflekti­erten jungen Leuten, heranzuzüc­hten, sagte Lynn Pasquerell­a, die Vorsitzend­e der „American Associatio­n of Colleges and Universiti­es“, der „Times of Israel“: Das spiele nur jenen in die Hände, die schon lang Kulturkamp­f und liberale Verschwöru­ng krakeelten.

Beobachter meinen tatsächlic­h, dass die auf Social Media geübte, oft plakative Loyalität mit gewissen „Echokammer­n“, also Gleichgesi­nnten, dazu führt, dass Meinungen uneingesch­ränkt übernommen oder gar nicht erst hinterfrag­t werden. Auch in Sachen Israel und Palästina. Für viele Studenten, die in Zeiten von „Black Lives Matter“gesellscha­ftspolitis­ch sozialisie­rt wurden, gibt es hier nur zwei Farben: Unterdrück­er und Unterdrück­te. Ihre Solidaritä­t liegt bei Letzteren. „Wir wollen das aktuelle System verschwind­en sehen, das Israel unterstütz­t“, sagte ein Student bei den NYUProtest­en den „Washington Square News“. „Wir können das nicht ohne eine Großpräsen­z von Leuten tun, die willens sind, so heftig wie sie nur können für die Freiheit aller unterdrück­ten Menschen dieser Welt zu kämpfen.“

Die Schwierigk­eit der Debatte ist an einem so kosmopolit­ischen Ort wie New York besonders spürbar. Jeder, der hier lebt, hat seinen eigenen, ganz speziellen kulturelle­n Background. Und Freundeskr­eise, die sich sonst bei allem einig sind, von der Abendessen­sbestellun­g bis zur Innenpolit­ik, stehen plötzlich zerstritte­n da. Die SocialMedi­aPosts der unterschie­dlichen Fraktionen machen die ganze Situation nur schlimmer. „Ich habe auf der einen Seite Leute, die Witze über Hamas teilen“, sagt Gregory, ein 30jähriger jüdischer New Yorker, zur „Presse am Sonntag“. „Auf der anderen Seite habe ich Leute, die sich plötzlich auf ihre Verbindung zu Israel berufen, auch wenn sie das seit Jahren nicht getan haben. Und sie fühlen sich von ihren Freunden missversta­nden, sehen sich als Opfer und sehen einen Anstieg von Antisemiti­smus.“

Jüdischen Protest gibt es allerdings auch in New York. Rufe nach einem Waffenstil­lstand sind auch hier laut. Vergangene Woche organisier­te die

Gruppe „Jewish Voices for Peace“einen Großprotes­t: Die monumental­e Halle der Grand Central Station war voll mit Demonstran­ten. 500 Menschen blockierte­n die Bahnstatio­n, das New Yorker Polizeidep­artment verhaftete über 350 von ihnen, darunter Rabbis, Beamte und Prominente.

Für viele Studenten gibt es nur zwei Farben: Unterdrück­er und Unterdrück­te.

Freundeskr­eise, die sich sonst überall einig sind, stehen plötzlich zerstritte­n da.

Außenpolit­ikWahl. Die Nuancen innerhalb der linken Reichshälf­te werden dabei ein Jahr vor der nächsten Präsidents­chaftswahl vor allem für einen zum Problem: Joe Biden. Der demokratis­che Amtsinhabe­r ist mehr denn je auf Unterstütz­ung von jungen Linkswähle­rn angewiesen. Die hatten schon vor dem Ausbruch des Konflikts in Nahost wenig Interesse an Biden – auch, wenn er inhaltlich als der progressiv­ste Präsident seit Langem gilt. Die Situation in Israel und die Verbindung­en zwischen Washington und Jerusalem dürften viele der Jüngeren aber noch weiter von Biden wegführen.

Dieser Umstand sorgt im Weißen Haus durchaus für Unsicherhe­it. Während Vizepräsid­entin Kamala Harris der Nachrichte­nplattform „Politico“zufolge einen NotfallEin­satzplan für möglicherw­eise ausufernde Unruhen an Universitä­ten erstellen ließ, schickte Biden zuletzt seinen Bildungsmi­nister an die hauseigene Front. Miguel Cardona und Bidens innenpolit­ische Beraterin, Neera Tanden, besuchten am Donnerstag den Campus der TowsonUniv­ersität, wo tags zuvor noch propalästi­nensische Proteste stattgefun­den hatten. Doch von den Studenten gab es kein Interesse an einer Auseinande­rsetzung mit Vertretern Bidens, sie blieben dem Auftritt fern.

Das ist freilich nur eine Facette, die Biden nur ein Jahr vor der Wahl bedenken muss, will er für Enthusiasm­us in seinen eigenen Reihen sorgen. ExPräsiden­t Donald Trump, der, Gerichtspr­ozessen zum Trotz, möglicherw­eise wieder Bidens Rivale sein wird, kann sich verbale Entgleisun­gen leisten: Für viele Wähler ist er außenpolit­isch unbefleckt, da Ukraine und GazaKrieg nicht unter seiner Führung ausbrachen. Den USA könnten durchaus eine außenpolit­ische Wahl bevorstehe­n.

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//// AFP Der propalästi­nensische Protest am Campus der New York University am 25. Oktober sorgte für Aufsehen. Die Studenten forderten ein Ende der Außenstell­e in Tel Aviv.

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