Der Krieg an den US-Universitäten
Die Lage in Nahost löst einen Furor gegen Israel aus. Nuancen gibt es in der Debatte selbst auf Eliteunis kaum. Das wird auch für Joe Biden zum Problem.
Es ist ein strahlend sonniger Tag am Campus der New York University (NYU) im West Village von Manhattan. Fast vier Wochen sind vergangen seit dem grausamen Überfall von HamasKämpfern auf Israel; der Staat hat begonnen, Vergeltung zu üben. Im Washington Square Park hat sich an diesem Mittwoch ein Meer von Kufiyas, palästinensischen Fahnen und Pappschildern, aufgetan. Hunderte von NYUStudenten sind hier, verhüllt mit Tüchern, Masken, Sonnenbrillen, um gegen Israels Politik, aber auch gegen Israel zu protestieren. Und gegen die eigene Universität, die in Tel Aviv einen Campus betreibt. Dieser solle geschlossen werden, meinen die Studenten, aber auch Mitglieder der Fakultät. „Erstens wollen wir den Waffenstillstand“, sagt ein Student dem Nachrichtensender CBS. „Zweitens wollen wir, dass die USA, dass die NYU ihre Unterstützung für den zionistischbelagernden genozidalen Staat Israel aufgeben. Dass das Land an das palästinensische Volk zurückgeht.“
Der Protest an der NYU ist einer von gleich mehreren an USamerikanischen EliteUniversitäten, die viele ratlos zurückgelassen haben: Wie kann es sein, dass es an den besten Bildungseinrichtungen des Landes plötzlich an Nuance fehlt? Antisemitische Vorfälle seien durch die Decke gegangen, berichten die UniVerwaltungen, die eilig Hilfszentren für Betroffene einrichten – während Großspender ihnen die Finanzierung streichen. Betroffen waren etwa die University of Pennsylvania und Harvard.
Generation
„Snowflake?“Der Abzug mancher Geldgeber wird den reichen Unis zwar finanziell nicht schaden, ihrem Ruf allerdings schon. Mit den Studenten, die sich offensichtlich schwertun, die terroristischen Handlungen der Hamas zu verurteilen, erwecke man den Eindruck, eine Generation von snowflakes, von unreflektierten jungen Leuten, heranzuzüchten, sagte Lynn Pasquerella, die Vorsitzende der „American Association of Colleges and Universities“, der „Times of Israel“: Das spiele nur jenen in die Hände, die schon lang Kulturkampf und liberale Verschwörung krakeelten.
Beobachter meinen tatsächlich, dass die auf Social Media geübte, oft plakative Loyalität mit gewissen „Echokammern“, also Gleichgesinnten, dazu führt, dass Meinungen uneingeschränkt übernommen oder gar nicht erst hinterfragt werden. Auch in Sachen Israel und Palästina. Für viele Studenten, die in Zeiten von „Black Lives Matter“gesellschaftspolitisch sozialisiert wurden, gibt es hier nur zwei Farben: Unterdrücker und Unterdrückte. Ihre Solidarität liegt bei Letzteren. „Wir wollen das aktuelle System verschwinden sehen, das Israel unterstützt“, sagte ein Student bei den NYUProtesten den „Washington Square News“. „Wir können das nicht ohne eine Großpräsenz von Leuten tun, die willens sind, so heftig wie sie nur können für die Freiheit aller unterdrückten Menschen dieser Welt zu kämpfen.“
Die Schwierigkeit der Debatte ist an einem so kosmopolitischen Ort wie New York besonders spürbar. Jeder, der hier lebt, hat seinen eigenen, ganz speziellen kulturellen Background. Und Freundeskreise, die sich sonst bei allem einig sind, von der Abendessensbestellung bis zur Innenpolitik, stehen plötzlich zerstritten da. Die SocialMediaPosts der unterschiedlichen Fraktionen machen die ganze Situation nur schlimmer. „Ich habe auf der einen Seite Leute, die Witze über Hamas teilen“, sagt Gregory, ein 30jähriger jüdischer New Yorker, zur „Presse am Sonntag“. „Auf der anderen Seite habe ich Leute, die sich plötzlich auf ihre Verbindung zu Israel berufen, auch wenn sie das seit Jahren nicht getan haben. Und sie fühlen sich von ihren Freunden missverstanden, sehen sich als Opfer und sehen einen Anstieg von Antisemitismus.“
Jüdischen Protest gibt es allerdings auch in New York. Rufe nach einem Waffenstillstand sind auch hier laut. Vergangene Woche organisierte die
Gruppe „Jewish Voices for Peace“einen Großprotest: Die monumentale Halle der Grand Central Station war voll mit Demonstranten. 500 Menschen blockierten die Bahnstation, das New Yorker Polizeidepartment verhaftete über 350 von ihnen, darunter Rabbis, Beamte und Prominente.
Für viele Studenten gibt es nur zwei Farben: Unterdrücker und Unterdrückte.
Freundeskreise, die sich sonst überall einig sind, stehen plötzlich zerstritten da.
AußenpolitikWahl. Die Nuancen innerhalb der linken Reichshälfte werden dabei ein Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl vor allem für einen zum Problem: Joe Biden. Der demokratische Amtsinhaber ist mehr denn je auf Unterstützung von jungen Linkswählern angewiesen. Die hatten schon vor dem Ausbruch des Konflikts in Nahost wenig Interesse an Biden – auch, wenn er inhaltlich als der progressivste Präsident seit Langem gilt. Die Situation in Israel und die Verbindungen zwischen Washington und Jerusalem dürften viele der Jüngeren aber noch weiter von Biden wegführen.
Dieser Umstand sorgt im Weißen Haus durchaus für Unsicherheit. Während Vizepräsidentin Kamala Harris der Nachrichtenplattform „Politico“zufolge einen NotfallEinsatzplan für möglicherweise ausufernde Unruhen an Universitäten erstellen ließ, schickte Biden zuletzt seinen Bildungsminister an die hauseigene Front. Miguel Cardona und Bidens innenpolitische Beraterin, Neera Tanden, besuchten am Donnerstag den Campus der TowsonUniversität, wo tags zuvor noch propalästinensische Proteste stattgefunden hatten. Doch von den Studenten gab es kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit Vertretern Bidens, sie blieben dem Auftritt fern.
Das ist freilich nur eine Facette, die Biden nur ein Jahr vor der Wahl bedenken muss, will er für Enthusiasmus in seinen eigenen Reihen sorgen. ExPräsident Donald Trump, der, Gerichtsprozessen zum Trotz, möglicherweise wieder Bidens Rivale sein wird, kann sich verbale Entgleisungen leisten: Für viele Wähler ist er außenpolitisch unbefleckt, da Ukraine und GazaKrieg nicht unter seiner Führung ausbrachen. Den USA könnten durchaus eine außenpolitische Wahl bevorstehen.