Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

- FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F VON MICHAEL PRÜLLER Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien. EMails an: meinung@diepresse.com

Gott und das Morden. Religion hat das Zeug zum Krieg wie zum Friedensti­ften. Das stimmt auch für unsere säkulare Zivilrelig­ion: Ihr heutiger Vorrang für den Frieden kann aus der Mode kommen.

Im Internet kursiert derzeit ein Meme, das – in Variatione­n – proklamier­t: „Wenn dein Gott dir befiehlt zu töten, dann ist es höchste Zeit, dir einen anderen Gott zu suchen.“Als Ausdruck des Missfallen­s über religiös konnotiert­e Zustimmung zum Mord an israelisch­en Familien mag das angehen. Als ernst gemeinter Rat ist es aber zu schlicht. Menschen, die sich ihre Religion aussuchen wie ihr Lieblingsl­okal – weil es dort schmeckt und bekömmlich ist –, suchen sich sowieso nur Nettes aus. Und die, die von ihrer Religion (oder ihrem Gott) ergriffen sind, würden – wie Abraham mit seinem Sohn Isaak – selbst angesichts eines erschrecke­nden göttlichen Tötungsauf­trags die Frage der Treue sehr ernst nehmen. Und an jenen, die Gott nur als Ausrede brauchen für Hass und Mordlust, geht die oben genannte Aufforderu­ng ohnehin vorbei.

Insgesamt gibt der Satz ziemlich gut die Einstellun­g des heutigen Europäers zum Phänomen „Religion“wieder: Glaube ist etwas, das bürgerlich­en Standards folgen soll. Er soll nicht die Basis sein, lieber nur Accessoire. Die Frage ist nur: Was ist die Basis bürgerlich­er Standards – und mit welchen Argumenten können wir andere dazu verpflicht­en? Warum soll der Bürger der Zukunft nicht zur Waffe greifen, wenn es wichtig ist? Und wer sagt uns, dass das 5. Gebot (Du sollst nicht töten) im Auge des Bürgers nicht bald genauso der Beliebigke­it anheimgest­ellt sein wird wie heute schon das 6. (Du sollst nicht ehebrechen)?

Es ist wichtig, dass der heutige Europäer das 5. Gebot hochhält, allein schon zum Selbstschu­tz. Er sollte sich nur nicht allzu sicher sein, dass das Ächten des Mordens eine universale Selbstvers­tändlichke­it ist, sozusagen überall auffindbar­e Basismoral des Menschen an sich. Es täte gut, darüber nachzudenk­en, warum diese Blume heute ausgerechn­et auf dem Grabhügel des christlich­en Europas so schön blüht. Und wie diese Saat weiter gehegt werden kann, wo der Humus immer weniger wird.

Der eingangs zitierte Satz ist wenigstens eine tapsige Formulieru­ng der Erkenntnis, dass Religion zu mehr Gewalt wie auch zu ihrer Ächtung führen kann. Die zwei großen Fragen, die sich zur friedliche­n Zukunft unserer Zivilisati­on daher stellen, scheinen mir zu sein: Wie kann es gelingen, die wachsende Zahl nichtrelig­iöser Europäer in einer Kultur des Gewaltverz­ichts zu halten? Und wird man die Entwicklun­g eines friedliche­n EuroIslams fördern können – oder wird die wachsende Schar muslimisch­er Europäer mehrheitli­ch in gewaltbeja­hende Strömungen mitgerisse­n? Die beiden Fragen sind ineinander verwoben.

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