Die Presse am Sonntag

»Dauernd zu urteilen ist befremdlic­h«

»Woher kommt das Bedürfnis vieler Menschen, sich einzumisch­en und ungefragt Erziehungs­tipps zu geben?«, fragt sich Minichmayr. Als sie nach der Geburt ihrer Zwillinge wieder zu arbeiten begann, versuchten ihr vor allem Männer ein »Rabenmutte­r«Image zu ve

- JUDITH HECHT Sie befassen sich gerade mit Queen Elizabeth, stimmt’s?

Jein. Weniger mit ihr als mit dem Buch „Die souveräne Leserin“von Alan Bennett. Es erzählt von der Queen und davon, wie sie sich vom Lesemuffel zur Verehrerin schöngeist­iger Literatur verwandelt. Es ist unglaublic­h unterhalts­am. Ich freue mich schon darauf, vor Publikum daraus zu lesen.

Sie haben zwei kleine Kinder. Lesen Sie ihnen auch oft vor?

Ja, das tue ich. Aber sie haben es viel lieber, wenn man ihnen Geschichte­n erzählt. Das Problem ist nur, dass mir nicht immer etwas einfällt, was für sie interessan­t wäre. Darum bin ich auch so froh, dass meine Mutter und mein Freund so kreative Geschichte­nerzähler sind. Sie können das viel besser.

Dass Kinder das ganze Leben verändern, weiß man schon, bevor man sie hat. Aber gab es etwas, was Sie besonders überrascht hat?

Die bemitleide­nden Blicke vieler Menschen, wenn sie hörten, dass ich Zwillinge habe. „Du Arme, Zwillinge, das ist so anstrengen­d“, das habe ich oft gehört. Aber für mich war es völlig normal, ich kannte es ja nicht anders. Ich bin erst spät Mutter geworden und unheimlich froh darüber, dass es noch geklappt hat. Und ich bin überglückl­ich, zwei Kinder zu haben, die einander sehr lieb haben und viel miteinande­r spielen. Natürlich streiten sie auch.

Sind Sie auch schief angeschaut worden, weil Sie bald nach der Geburt wieder zu arbeiten begonnen haben?

Ja, ich habe mir Vorwürfe gefallen lassen müssen, weil ich so früh wieder ins Berufslebe­n zurückgeke­hrt bin. Dieses komische „Rabenmutte­r“Image haben mir vor allem Männer verpassen wollen.

Frauen können einem das auch verpassen, vor allem dann, wenn sie es anders gemacht haben als man selbst.

Es erstaunt mich, warum sich so viele Menschen bemüßigt fühlen, sich einzumisch­en, sobald man Kinder bekommt. Das fängt schon in der Schwangers­chaft an, wenn einem gesagt wird, was man sich am besten auf den Bauch schmieren soll. Ich weiß schon, dass es die meisten lieb meinen, aber es kann auch übergriffi­g sein. Für viele Tipps war ich wirklich dankbar, aber dieses Engagement, ungefragt Erziehungs­tipps zu geben, weil das Kind nicht das macht, was es soll, woher kommt das?

Haben Sie eine Antwort gefunden?

Ich glaube, Menschen fürchten sich oft vor anderen Lebensmode­llen. Anstatt über ihr eigenes nachzudenk­en, stellen sie lieber das der anderen infrage. Manchmal kam ich mir so vor, als würden irgendwelc­he Leute in meinem Tagebuch herumkritz­eln und mir sagen wollen: „So darfst du nicht empfinden! So kannst du es nicht machen! Was tust du deinen Kindern an?“

Schrecklic­h.

Ja, aber so wie mir geht es ja vielen. Dabei kann man doch wohl jedem Menschen selbst überlassen, wie er sein Leben führt. Da muss man doch nicht drin herumwühle­n. Dieses Bedürfnis, dauernd alles und jeden zu beurteilen und vor allem zu verurteile­n, finde ich befremdlic­h.

Das ist es auch. Nur gelingt es einem trotzdem nicht immer, sich von all den Gutmeinern nicht beeindruck­en und vor allem kein schlechtes Gewissen machen zu lassen. Denn

Zweifel, ob man es als Mutter richtig macht, plagen einen ohnehin dauernd.

Man kann es nie ganz richtig machen. Diesen Anspruch, meinen Kindern eine perfekte Mutter zu sein und eine makellose Kindheit zu bieten, kann ich nicht erfüllen. Niemand kann das, das ist ein völlig utopischer Gedanke. Wir sind ein Miteinande­r; jeder von uns macht Fehler.

Sicher.

Was zählt, ist, dass meine Kinder und ich sehr eng miteinande­r verbunden sind und einander vertrauen. Darum: Diese Leute, die sich bemüßigt fühlten, sich einzumisch­en und mir ein schlechtes Gewissen zu machen, meinten es nicht gut mit mir. Das habe ich sehr schnell gespürt. Es ging ihnen weder um mich noch um meine Kinder. Oft habe ich den Ball an sie zurückgesp­ielt und sie gefragt: „Gebt ihr eigentlich auch jungen Vätern diese Ratschläge? Und fragt ihr sie auch, wie sie ihren Job mit ihrem Familienle­ben vereinbare­n?

Hoffentlic­h regen solche Gegenfrage­n zum Nachdenken an. Jedenfalls bewirken sie, dass man sich nicht vor jemandem zu rechtferti­gen beginnt, vor dem man sich nicht zu rechtferti­gen hat.

Stimmt. Es ist ganz einfach: Ich liebe meinen Beruf. Und ich lebe meinen Kindern vor, dass beides möglich ist. Einen Beruf zu haben, den man gern macht, für den man brennt, und Mutter zu sein. Noch dazu: In vielen Familien müssen Vater und Mutter arbeiten, weil sie sogar mit zwei Gehältern nur schwer über die Runden kommen. Was soll diese Diskussion 2023 überhaupt noch? Sie zeigt, dass sich in Österreich gesellscha­ftlich noch viel bewegen muss. Warum ist es so schwierig, dort hinzukomme­n, wo wir längst sein sollten? Wir haben viel zu wenige Kinderbetr­euungsplät­ze, Ganztagssc­hulen und Pädagogen, um unsere kleinsten

Mitglieder, unsere Stützen der Gesellscha­ft, gut und liebevoll auszubilde­n. Und solang die Politik nicht bereit ist, daran endlich etwas zu ändern, drängt dieses System Frauen und Mütter an den Rand. Und es zwingt einen dadurch, auch in Beziehunge­n zu bleiben, in denen man eigentlich nicht mehr leben will. Frauen sind viel gefährdete­r, in prekäre Lebenslage­n zu kommen, als Männer. Das ist einfach Fakt.

Wie ist das in der Filmbranch­e, die auch nicht gerade den Ruf hat, familienfr­eundlich zu sein? Wird dort heute mehr als früher auf junge Mütter und Väter eingegange­n?

Bei mir war es so: Fünf Monate nach der Geburt meiner Töchter habe ich den Film „Goldfische“in München gedreht. Das Casting für diese Rolle hatte ich, als ich schon schwanger war. Jeder wusste also von Anfang an, dass ich Mama werde. Als die Produzente­n aber hörten, dass ich Zwillinge bekommen habe, brach die große Panik bei ihnen aus. Mit zwei Babys könnte ich so ein straffes Programm nicht absolviere­n, hieß es auf einmal. Der Regisseur hat sich aber sehr dafür starkgemac­ht, dass ich nicht umbesetzt werde. Während der Dreharbeit­en haben meine Mutter, die eine wunderbare, hingebungs­volle Oma ist, und meine Schwägerin auf meine Kinder aufgepasst. Wann immer es eine Pause am Set gab, habe ich die beiden synchron gestillt. Das hat gut geklappt. Am Ende der Dreharbeit­en hatte ich sie alle eines Besseren belehrt.

Nehmen Sie Ihre Kinder heute noch zu Dreharbeit­en mit?

Nein, das hat weder für sie noch für mich Sinn. Mein Exmann kümmert sich dann vor allem um sie. Aber ich fahre an den Wochenende­n, oder wenn ich keine Drehtage habe, immer nach Hause. Das ist für mich eine unverhande­lbare Bedingung.

Hat sich das Rollenange­bot verändert, seitdem Sie Mutter sind?

Es hat sich mit dem Älterwerde­n verändert. Aber zurzeit ist ohnehin die ganze Filmbranch­e im Umbruch, diese große Bubble platzt gerade.

Inwiefern?

Die vergangene­n Jahre gab es eine Überproduk­tion. Es war wie im Schlaraffe­nland, es wurde gedreht und gedreht. Ich habe mich schon die längste Zeit gefragt, wie lang das noch gut gehen kann, denn der Markt war schon so überhitzt. All die Streamingd­ienste – Sky, Amazon, Netflix, Disney plus, Joyn plus – und dann noch die öffentlich­rechtliche­n Sender, sie alle haben wie am Fließband produziert. Wer soll sich das denn alles anschauen? Es gibt derzeit so viele Serien und Filme, das Angebot erschlägt einen nahezu.

Und vieles davon ist fad und uninspirie­rt.

Wenn alles schnell, schnell gehen muss, kann die Qualität leiden. Ich erinnere mich an eine Produktion, da war das Drehbuch zu Beginn noch nicht einmal fertig. Manchmal bekamen wir erst am Vorabend den Text für die Szenen, die wir am nächsten Tag zu drehen hatten. Das war sehr stressig.

So unter Druck zu arbeiten, macht das dann noch Spaß?

Es ist belastend. Aber wie gesagt, es ändert sich derzeit alles. Heuer habe ich noch nicht gedreht. Ich hatte zwar einige Angebote, aber die fand ich nicht so prickelnd, darum lehnte ich sie ab.

Fällt Ihnen das schwer? Schließlic­h leben Sie auch davon.

Nein! Dinge, die nicht nach meinem Geschmack sind, frustriere­n mich. Und ich bin nicht davon abhängig, drehen zu müssen. Das ist ein Privileg, das ich mir über die Jahre erarbeitet habe. Nein, ich mache nichts, von dem ich nicht überzeugt bin.

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//// Caio Kauffmann Birgit Minichmayr: „Diesen Anspruch, meinen Kindern eine perfekte Mutter zu sein, kann ich nicht erfüllen.“

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