Ein kühles Geisterhaus für die Leidenschaft der Kunst
»House of Inciting Passion« heißt das Motto der Ausstellung der heurigen Vienna Art Week. Sie läuft in einem desolaten, verlassenen Haus beim Westbahnhof. Ein perfekter Ort für intensive Werke wie Bill Violas »Silent Mountain«-Video oder Li Xinmos Desaste
Auf der Fassade des Hauses steht groß „Druckerei“. Wenn man aus den Fenstern blickt, sieht man vorn die Gleise des Westbahnhofs, hinten einen Innenhof, in dem Bettwäsche zum Trocknen hängt. Ein kleiner Sonnenschirm schützt die Leinen sehr ungenügend vor dem Regen. Alles ist desolat hier, die Innenräume verlassen, ruinenhaft, kalt. Und doch ist dieses Haus in der Rosinagasse 19 der perfekte Ort für die Ausstellung der Vienna Art Week (VAW).
2004 begonnen, versteht sich diese Veranstaltung als Plattform der Wiener Kunstszene. Heuer versammelt sie 70 Kunstinstitutionen und andere Programmpartner, um über 100 kostenfreie Veranstaltungen von geführten Galerientouren bis zu 50 Atelierbesuchen anzubieten – darunter sogar am 15. November ab 20.30 Uhr ein Performanceabend in der Jesuitenkirche in der Inneren Stadt. Ihr Ziel sei es von Anfang an gewesen, „die Leidenschaft für Kunst zu wecken“, erklärte DorotheumGeschäftsführer und VAW-Mitbegründer Martin Böhm beim Pressetermin.
Anfangs exklusiv angelegt, hat sich diese Herbstveranstaltung immer weiter bis zu einem breiten Inklusionsprogramm heuer geöffnet.
Herzstück der Kunstwoche ist die Ausstellung, die heuer unter dem Thema „Inciting Passion“steht, Leidenschaft entfachen. „Wir wollten ein positives Thema“, sagt VAW-Leiter Robert Punkenhofer. Im Hauptraum der ehemaligen Druckerei läuft Bill Violas „Silent Mountain“-Video: Acht Minuten lang sehen wir die Gesichter eines Mannes und einer Frau, die von ihrem emotionalen Druck überwältigt werden. Nebenan lässt Maaijke Middelbeek verschiedene Schwammerl auf Fast-Fashion-Gewandhaufen wachsen. Ihre beiden punktgenau ausgeleuchteten Skulpturen erscheinen in der abrissreifen Kammer wie stille Helden einer Tragödie – und passen zugleich perfekt zum Geist des Hauses. Denn im ersten Stock webte die Firma Fanni Lemmermayer früher ihre Strickmoden. Sie verließ ihre Büroräume anscheinend fluchtartig. Von Tischen und Schränken bis zu Kaffeehäferln und Wanddekorationen stehen wir hier mitten in einer längst vergangenen, so erschreckend wie faszinierend biederen Atmosphäre – der die Super-8-Filme aus den 1990erJahren von Ashley Hans Scheirl eine schrille Sexualität entgegensetzen.
In einer der sieben leeren, völlig abgelebten Wohnungen im nächsten Stockwerk hat Rudi Molacek seine „Gärten des Rudi“eingerichtet: ein Einblick in mehr als 30 Jahre Kunst mit Blumenmotiven – ein fröhlicher Gegenpol zu den so depressiven wie beeindruckenden Werken von Li Xinmo, die in einem Aushang die tragischsten Stationen ihres Lebens erzählt. Ihre Bilder sind leider nur gescannt und ausgedruckt, sie nahm die Originale für ihre dreiwöchige Residency in Wien nicht aus Peking mit, erzählt sie. Was die Intensität aber kaum mildert.
Caos. Ob die weißen, an einer Stahlkette hängenden Hände von David Meran oder Miriam Hamanns bewusst falsch geschriebenes Neon-Wort „caos“und ihre den Schattenwurf der Sonne aufgreifende Neonskulptur: Alle hier ausgestellten Werke stehen im engen Austausch mit den Räumen, mit den Spuren, mit den Geistern der ehemaligen Mieter. Gerade weil es kein perfekter, vom Alltag abgeschnittener Ort ist, entfachen die Werke hier starke Emotionen, von Lust bis zu Verlust. In diesem zwischengenutzten Haus erinnert die heurige Vienna-Art-Week-Ausstellung „House of Inciting Passion“an die griechische Tragödie, in der wir schaudernd zur Katharsis, zur Reinigung finden – und damit am Ende jegliche Leidenschaft positiv erleben können.