Island, ein vulkanischer Sonderfall
In dem evakuierten Fischerdorf Grindavík könnte es jederzeit zu einem Vulkanausbruch kommen. Geologe Markus Fiebig erklärt, warum es auf der Insel so viele Vulkane gibt und eine Eruption eher milder ausfallen wird.
Für die 3800 Einwohner des isländischen Städtchens Grindavík südwestlich der Hauptstadt Reykjavík sind Erdbeben eigentlich etwas Gewöhnliches. Diesmal aber war es anders. Als die Erde am Freitag vor gut einer Woche zu beben begann, habe es sich angefühlt, als nähere sich ein großes Tier, ein Löwe, erzählt die 53-jährige Sólný Pálsdóttir in einem Interview.
In ein paar Hundert Metern Tiefe unter dem Fischerdorf fließt flüssiges Gestein durch einen 15 Kilometer langen Gang in Richtung Meer. Immer weiter arbeitete sich das Magma zuletzt in der unterirdischen Kammer zur Erdoberfläche vor. Tausende Male ließ es die Erde erzittern. An einigen Stellen klaffte der Boden auf. Zwar nahmen die Beben zuletzt ab. Doch nach wie vor misst Islands Wetterdienst alle paar Minuten kleine Erschütterungen auf der Halbinsel Reykjanes.
Dort war der Vulkan Fagradalsfjall in den vergangenen zwei Jahren bereits drei Mal ausgebrochen – allerdings in unbewohnten Gebieten. Es ist nicht klar, ob, wann und in welcher Form das heiße Gestein nun an die Oberfläche dringen wird. Derzeit gehen isländische Experten davon aus, dass die Lava an einer Stelle mitten in Grindavík austreten könnte. Auch die Geothermalanlage Svartsengi ist gefährdet. Ein 104 Tonnen schwerer Bulldozer, der größte des Landes, errichtet Dämme, um das Kraftwerk vor der Lava zu schützen.
„Island ist ein Land aus Feuer und Eis“, sagt Markus Fiebig vom Institut für Angewandte Geologie an der Universität für Bodenkultur Wien. Elf Prozent der Fläche Islands sind mit Gletschern bedeckt, es zählt mehr als 30 aktive Vulkansysteme. „Natürlich ist es schwierig, dass der Ort evakuiert wird, aber wenn Feuer kommt, sollte man nicht überrascht sein.“Warum aber befinden sich derart viele Vulkane auf Island?
Ein Vulkan-Hotspot. Die Insel wird durch den Mittelozeanischen Rücken (MOR) aufgebaut. Der Gebirgszug erstreckt sich entlang der Eurasischen und Nordamerikanischen Platte. Jährlich wächst das Land etwa zwei Zentimeter, da die Kontinentalplatten auseinanderdriften. Dadurch entsteht Platz, neue Magmagänge entstehen, die sich in die Höhe ziehen. „Island ist ein Sonderfall“, so Fiebig. „Normalerweise ist der MOR unter der Wasseroberfläche in 2,5 Kilometer Tiefe. In Island aber wächst er über den Meeresspiegel hinaus und bildet eine große Insel.“
Gleichzeitig wird vermutet, dass Island gleichermaßen auf einem vulkanischen Hotspot sitzt, ebenso wie die Insel Hawaii. Das sei „eine Stelle, an der längerfristig relativ viel heißes Material aus dem Erdmantel nach oben kommt und normalerweise Vulkane bildet“, erklärt Fiebig.
Aufgrund der Lage am MOR sei die vulkanische Tätigkeit auf Island eher spaltenartig und länglich – im Gegensatz zu Eruptionen von Stratovulkanen wie dem Vesuv, sagt Fiebig. Das prominenteste Beispiel ist der Ausbruch der Laki-Krater 1783. Aus 130 Kratern wurde damals Lava ausgestoßen, die tagelang einen 65 bis 70 Kilometer langen Lavastrom bildete. 120 Millionen Tonnen Schwefeldioxid wurden in die Atmosphäre geschleudert und beeinflussten monatelang das Klima in Europa.
In Erinnerung bleibt auch der Ausbruch des Vulkangletschers Eyjafjallajökull 2010. Die damals entstehenden Aschewolken stürzten den internationalen Flugverkehr über Tage ins Chaos.
»Island ist ein Land aus Feuer und Eis. Wenn Feuer kommt, sollte man nicht überrascht sein.«
Prognosen schwierig. Die Stärke eines möglichen Ausbruchs auf Reykjanes sei nicht abschätzbar, die Wahrscheinlichkeit sei aber signifikant hoch, erklärt Geologe Fiebig: „Meistens sind Eruptionen nicht maximal groß. In sehr seltenen Fällen gibt es unangenehme Überraschungen; dass etwas passiert, woran man gar nicht dachte. Je größer die Ausbrüche sind, desto seltener werden sie.“